Frage zu Positionen A-Z
Sehr geehrter Herr Schäfer,
ich kann mich mit dem Wahlprogramm der Humanisten identifizieren. Allerdings gibt es da einen Punkt was mir Unbehagen bereitet.
Zum Thema Beschneidung schreibt ihre Partei: "Wir setzen uns für das Recht auf körperliche Unversehrtheit auch bei Kindern ein. Dieses Recht ist höher zu gewichten als das Recht auf freie Religionsausübung der Eltern."
Abgesehen davon, dass dieser Punkt meiner Meinung nach gegen Art.4 II GG verstoßen könnte, sehen sie die Gefahr nicht, dass religiöse Familien die Beschneidung auf andere, medizinisch nicht sichere, Wege durchführen könnten? Wie erklären Sie einem Juden oder Muslimen, die seit Jahrhunderten ihre Kinder beschneiden, dass das auf einmal nicht mehr geht? Halten Sie es für realistisch, dass die Mitglieder sich daran halten werden oder fördert man dadurch nicht eher die im schlimmsten Fall, nicht medizinische Beschneidung, im besten Fall, die Beschneidung in Nachbarländern. Gibt es aus mediz.Sicht Argumente dagegen?
Lieber Herr D.,
vielen Dank für ihre Frage zu einem viel zu wenig beleuchteten Thema.
Die Gefahr, dass Familien Kinder die Beschneidung auf medizinisch unsicheren Wegen durchführen, ist auch bei der gegenwärtigen Regelung real. Häufig werden die Beschneidungen nicht von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt.
Aus medizinischer Sicht gibt es eine Menge Dinge, die gegen eine nicht nötige Beschneidung sprechen, beispielsweise die schützende Funktion der Vorhaut oder ein verringertes Lustempfinden durch Beschneidung. Ich hänge Ihnen die Stellungnahme von Dr.med. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, zur Anhörung am 26. November 2012 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: „Entwurf eines Gesetzes über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“ an. Weitere Quellen sammelt mogis e.V. unter Weltweiter Tag der Genitalen Selbstbestimmung 2024 | Weltweiter Tag der genitalen Selbstbestimmung (genitale-selbstbestimmung.de) und Weiterführende Links zum Thema Genitale Selbstbestimmung | Weltweiter Tag der genitalen Selbstbestimmung (genitale-selbstbestimmung.de).
Das Argument der Religionsfreiheit schließlich halte ich für nicht valide, da Freiheit nur von der freien Person selbst ausgelebt werden kann. Im Falle der Beschneidung leben Eltern ihre Religionsfreiheit darin aus, eine Körperverletzung (klingt drastisch, die Formulierung aber ist korrekt) an ihrem Kind vorzunehmen. Das Kind selbst hat aber auch eine Religionsfreiheit, was eine negative Religionsfreiheit einschließt, also die Freiheit, auch keiner Religion anzugehören, wenn man das möchte. Daher sollten Kinder selbst im zustimmungsfähigen Alter entscheiden, ob sie einen solchen Eingriff bei sich vornehmen lassen wollen oder nicht.
Die Durchführung der Beschneidung in Nachbarländern oder ohne staatliche Kontrolle kann immer passieren, darüber haben wir keine Kontrolle. Das ändert aber nichts an meiner Position, dass wir solche Verletzungen nicht gestatten sollten. Zudem haben andere Staaten im Gegensatz zur BRD kein Gesetz, welches die Beschneidung explizit erlaubt.
Das Thema selbst ist mir durchaus ein Herzensthema, weshalb ich selbst regelmäßig am WWDOGA teilnehme und Reden halte. Hier die Rede aus 2022: https://www.youtube.com/watch?v=gyomWKpXtOY&pp=ygUVd3dkb2dhIGxhc3NlIHNjaMOkZmVy
Herzliche Grüße
Lasse Schäfer