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Frage von Horst P. •

Frage an Harald Koch von Horst P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Koch,

ich möchte auf das kostenlose e-book von Herrn Bernd Hückstädt hinweisen mit dem Titel
"Gradido" natürliche Ökonomie des Lebens. Die Grundlage ist die Bionik: Leben mit den Gesetzen der Natur.

Meine Fragen:
1. Sind Sie bereit, dieses Buch zu lesen?
2. Sind Sie bereit zu einer öffentlichen Stellungnahme?

Bitte antworten Sie nur mit JA oder NEIN Die Stellungnahmen von Kollegen, die das Buch noch nicht einmal gelesen haben, waren: geht nicht, nicht finanzierbar ... die allgemeinen Sprüche. Diese Fragen stelle ich allen Abgeordneten und öffentlichen Personen !!

MfG
Horst Primke
gradido (Danke)

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Sehr geehrter Herr Primke,

danke für Ihre Frage und den damit verbundenen Literaturhinweis!
Als Mitglied des Finanzausschusses interessiere ich mich sehr für alternative und solidarische Wirtschaftsmodelle. Das E-Book von Herrn Hückstädt habe ich mir ausgedruckt und - aufgrund des Umfangs - gründlich quergelesen.

Zu Ihrer 1. Frage: JA, ich war und wäre bereit, das Buch zu lesen.
Zu Ihrer 2. Frage: Es hängt davon ab, was sie unter "öffentlich" verstehen. Grundsätzlich bin ich dazu bereit.

Seit geraumer Zeit wird der Ansatz der Wirtschaftsbionik - den auch sie verfolgen - in der Fachwelt diskutiert. In der Wirtschaft und in Unternehmen kann man gewiss von gewissen Naturkreisläufen in der Tier- und Pflanzenwelt lernen. Gerade im Managementbereich wird in diesem Kontext über Krisenlösungsstrategien auf bionischer Basis öfter debattiert. Doch die Erkenntnisse der Wirtschaftsbionik umspannen mittlerweile ein noch viel weiteres Feld. Der Grundsatz lautet "die Natur ist das erfolgreichste Unternehmen aller Zeiten", Anpassungen an die Umgebung sind im Tier- und Pflanzenreich als auch in Unternehmen stets vonnöten.

In dem E-Book "Gradido" bleibt aber vieles unklar und wird mit vielen erschlagenden, wohlfeilen Worten und niedlichen Geschichtchen vernebelt. Es ist beispielsweise nicht klar, wie in dem "Joytopia-Modell" immer und immer wieder Geld geschöpft werden soll, das auf Dauer auch einen Wert hat und ihn einige Zeit behält. Werte, für die man etwas kaufen kann, müssen erstmal geschaffen werden. So wie das auf Dauer geschaffen werden muss, das andere kaufen möchten und das für ein gesellschaftliches Zusammenleben unbedingt erforderlich ist. Angebot und Nachfrage kommen wie Dienstleistungen ins Spiel. Wer schafft aber noch dauerhaft und nachhaltig Werte, wenn jeder Staatsbürger jeden Monat 1000 "Gradido" als "aktives Grundeinkommen" bekommt? Harte, unangenehme Arbeit würde niemand mehr machen wollen. Hier ist eine bessere Bezahlung und Aufteilung von Arbeit sowie Arbeitsschutz notwendig. Ich glaube insgesamt gerade nicht, dass das "Gradido-System" für "höhere Leistungsanreize" (S.95 f.) sorgt.

Unklar bleibt auch, wie ein umfassendes Sozialsystem und Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge von guter Qualität dauerhaft finanziert würden. "Einfach mal so" durch den Staat Geld, also Gradidos, schöpfen zu lassen, reicht bestimmt nicht aus. Und was ist, wenn jemand nicht die fest eingeplanten "Leistungen für die Gemeinschaft" bringen möchte - wird dieser dann dazu gezwungen? welche Sanktions- und Unterdrückungsmechanismen gibt es in diesem System, wenn jemand mal nicht so "mitspielt" und eben doch kein perfekter Mensch ist? Große Probleme habe ich damit, dass in dem Buch von einer "Schenkwirtschaft" ausgegangen wird, in der es stets "free lunch" gibt. Dies alles klingt schön, aber auch schön naiv!

Grundsätzlich: Viele der unter Wirtschaftsbionik zusammengefassten Manangementstrategien sind alles in allem sehr offensichtlich, geradezu plakativ und sind seit Langem evident. Oft, aber nicht immer, werden mir persönlich zu platte Vergleiche zu Geschehnissen in der Natur gezogen. Evolutionäre Prozesse in Natur und Wirtschaft folgen aber zumeist doch ihren eigenen Regeln und sind eben nicht 1 zu 1 zu übertragen. Solche Übertragungen können jedoch einen Zugang (von vielen) zu einem zu lösenden Problem bieten. Vorteile von der Bionik verspreche ich mir zum Beispiel bei der Analyse von Herdenverhalten und anderen Massenphänomenen.

Ein solches in "Gradido" ausgemaltes System setzt eine gänzlich andere Welt mit höchst selbstlosen, altruistischen Menschen voraus, die sich dem Dogma "zurück zur Natur" unhinterfragt hingeben. Ich habe nichts gegen Utopien, man muss sich auch die Zukunft ausmalen können, und ich strebe auch eine demokratisch-sozialistische Zukunft mit solidarischer Ökonomie und einem sozialen Rechtsstaat an. Da kann man sich vieles ausmalen, und dies muss auch erlaubt sein. Deshalb habe ich gerne meine Fantasie etwas durch das E-Book beflügeln lassen. Man erkennt in Ihrem Modell zudem einige Parallelen zum Bedingungslosen Grundeinkommen, das in unserer Partei auch zurzeit kontrovers diskutiert wird und dem ich auch nicht besonders abgeneigt wäre, wenn sich einige Unstimmigkeiten klären ließen.

Kurzum: Wirtschaftsbionik ist ein relativ neuer, interessanter Forschungsbereich, aber erst die Zukunft wird zeigen, ob sich fundierte Strategien aufgrund neuer und valider Bionik-Erkenntnisse entwickeln lassen. Dann können wir erst sagen, ob Wirtschaftsbionik nur (Geld bringende) Mode und Trend oder ernsthafte wissenschaftliche Methode geworden ist.

Freundliche Grüße und einen schönen Tag
Harald Koch, MdB