Frage an Gerhard Pfisterer von Hasan E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Gerd,
nach dem 1.01.2014 werden ca. 4.000 bis 6.000 (ich denke es werden eher 10.000 und mehr) zusätzliche EU-Bürger (sogenannte Armutsflüchtlinge mit Kindern) aus Bulgarien und Rumänien zu uns nach Dortmund kommen. Die meisten von diesen wirklich armen Menschen/ Flüchtlingen können weder deutsch, haben keine Berufsausbildung und 80 % Ihrer Frauen und Mädchen sind Analphabeten. Der dortmunder Wohnungsmarkt (und auch der Arbeitsmarkt) ist "angespannt". Die finanziellen Mittel der Stadt Dortmund zur Bekämpfung solcher Ereignisse mit sozialexplosivem Charakter sind sehr begrenzt. Was kannst und willst du kurzfristig unternehmen, um diese klar ersichtlichen, vorhersehbaren und auf uns zukommenden Probleme für alle betroffenen Menschen vor Ort (vor allem aber für die in der Nordstadt) zu mildern bzw. zu beheben? Geld gibt es ja von der EU und vom Land/Bund (noch) nicht!?
Hallo Hasan,
wegen Krankheit hat sich meine Antwort verzögert.
Deine Frage ist nicht einfach zu beantworten. Weder ich noch jemand anders kann hier kurzfristig was unternehmen, um die auf uns zukommenden Probleme zu mildern bzw. zu beheben. Die Frage ist sehr komplex und entzieht sich einer pragmatischen Lösung.
Was sind die allgemeinen Ursachen für Flüchtlingsströme? Das ist im wesentlichen eine Folge des Diktats des heute allein herrschenden internationalen Finanzkapitals und eine Folge der z.T. jahrhundertelangen Politik des Kolonialismus und Neokolonialismus. Es hat u.a. zur Folge: wirtschaftliche Zerrüttung bis zur Auflösung jeglicher staatlicher Ordnung, chronische Staatsverschuldung, Hungersnöte, unzählige Kriege um Einflussgebiete, Macht, Rohstoffe - oft in Form von Stellvertreterkriegen - und Umweltzerstörung und regionale Umweltkatastrophen durch Raubbau an der Natur usw. Bezogen auf die EU: die Gründung und die Erweiterung der EU folgte dem Interessen und unter dem Diktat der europäischen Übermonopole, die die EU als wirtschaftliche, politische und militärische Machtbasis gegenüber den anderen Machtblöcken (USA, Japan, China, aber auch aufstrebende BRIC-Staaten) brauchen. Der in Osteuropa existierende sogenannte "reale Sozialismus" war nichts anderes als ein dem westlichen Kapitalismus unterlegener bürokratischer Kapitalismus. Nach seinem Zusammenbruch und der Übernahme des Modells des westlichen Kapitalismus brach in den osteuropäischen Ländern nicht etwa der Wohlstand aus, sondern zum Teil Verhältnisse, wie wir sie aus der Entstehung des Kapitalismus in Westeuropa kennen. Für die führenden imperialistischen Länder in der EU sind Länder wie Rumänien und Bulgarien hauptsächlich interessant als Absatzgebiete und billige Produktionsstätten. Es besteht keinerlei Interesse an dem Aufbau einer eigenständigen Wirtschaft usw. Durch die Eurokrise im Folge der Weltwirtschafts- und Weltfinanzkrise spitzt sich die sozialen und politischen Widersprüche gerade in diesen Ländern wie auch in Südeuropa z.T. dramatisch zu. Auch eine Folge des Diktats der EU, EZB und Weltbank gegenüber diesen Ländern. Dass Menschen in dieser Situation meinen, keinen anderen Ausweg mehr zu haben, als in ein anderes Land zu fliehen, ist nachzuvollziehen und kann ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden. Gleichzeitig ändert dieser individuelle Ausweg nichts an den gesellschaftlichen Verhältnissen. Es ist notwendig, dass die Menschen erkennen, dass dies keine Lösung ist und lernen, dass sie dort, wo sie leben, sich zusammenschließen, sich organisieren und für grundlegend andere gesellschaftliche Verhältnisse kämpfen müssen. Deshalb arbeitet die MLPD auch mit am Aufbau der ICOR, einer Internationalen Organisation zur Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen, die sich auch gegenseitig beim Aufbau revolutionärer Parteien unterstützt, auch in Bulgarien und Rumänien. Kurz zusammengefasst: wer verhindern will, dass Menschen zu Flüchtlingen werden, muss für eine grundsätzlich andere Gesellschaft kämpfen. Das ist für mich der echte Sozialismus!
Zur aktuellen Debatte: es gibt u.a. SPD-Politiker, die auf der einen Seite Rassismus verurteilen, gleichzeitig aber die Belastung der kommunalen Haushalte durch die Flüchtlinge beklagen. Dazu gehört auch NRW Arbeitsminister Schneider. TAtsache aber ist, dass nur 9,6% aller in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen Sozialleistungen bezogen. Insgesamt haben sie mehr in die Steuerkasse und Sozialversicherung eingezahlt. ( http://www.zeit.de/wirtschaft/2013-08/mythos-armutszuwanderung ). Die Einnahmen gehen an den Bund und Länder, die Ausgaben werden auf die Kommunen abgewälzt.
Konkret denke ich wäre folgendes notwendig:
Wir müssen eine Aufklärungsarbeit über die Ursachen der Flüchtlingsströme auf der Welt machen.
Schleuserbanden muss genauso das Handwerk gelegt werden, wie den Miethaien, die aus der Not der Flüchtlinge Profit schlagen.
Förderung, Unterstützung und Zusammenarbeit mit Organisationen - auch starken Gewerkschaften - , die in den einzelnen Ländern den Kampf um die grundlegenden sozialen Interessen der Bevölkerung führen. Gemeinsamer Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten.
Niederschlagung der Schulden, die diese Länder bei den Banken und Versicherungen haben.
Die deutschen Banken verdienen an der Eurokrise ebenso wie die Bundesregierung, weil sie das Geld von der EZB fast umsonst bekommen, teuer verleihen bzw. an den extrem niedrigen Zinsen für Staatsanleihen verdienen. Die "Kosten", die den Kommunen durch die Flüchtlinge entstehen, müssen zentral von dort abgeschöpft und die Kommunen dadurch von Kosten befreit werden. Daraus könnte nicht nur entsprechender Wohnraum, sondern auch ein umfassendes Bildungs- und Erziehungsprogramm für Kinder, Jugendliche und Erwachsene finanziert werden.
Wir müssen unter der deutschen Bevölkerung und den Flüchtlingen, die zu uns kommen ein Bewusstsein und eine Einsicht schaffen, dass wir die Spaltung überwinden und gemeinsam entsprechende Forderungen durchkämpfen. Dazu gehört auch die Kritik an rücksichtlosem, unsolidarischem Verhalten unter Flüchtlingen ebenso wie an unberechtigter oder gar spalterischen Kritik gegenüber den Flüchtlingen.