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Cornelia Behm
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Frage von Frank S. •

Frage an Cornelia Behm von Frank S. bezüglich Verkehr

Sehr geehrte Frau Behm!

Werden Sie für die Bahnprivatisierung und damit für Verschleuderung von Volksvermögen und Aufgabe großer Teile der Entscheidungsgewalt über ein wichtiges Instrument zum Umweltschutz stimmen? Der große Teil der Bevölkerung ist nach den letzten Umfragen gegen jede Privatisierung der Bahn. Dann müssten Sie sich als Volksvertreterin doch daran orientieren und gegen die Privatisierung stimmen?

Grüße!

Frank Schmidt

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schmidt,

vielen Dank für Ihr Schreiben, in dem Sie Kritik an der Privatisierung der Deutschen Bahn AG äußern. Ihre Bedenken teile ich voll und ganz. Wir Grüne lehnen das Vorgehen der Großen Koalition zur Bahnprivatisierung entschieden ab.

Das Bundeskabinett hat am 30. April 2008 die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG beschlossen. Da die DB-Aktie schon am 5. November an der Börse notiert werden soll, wurde auf ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren verzichtet. Stattdessen hat die Koalition einen lediglich einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, der die Privatisierung begrüßt. Dabei wird darin auf einen Antrag der Koalition vom November 2006 verwiesen, in dem es klipp und klar heißt, dass die Bahnprivatisierung mit einem Privatisierungsgesetz erfolgen soll. Davon ist keine Rede mehr. Heute, am 30. Mai 2008, wurde dieser Antrag im Hauruckverfahren beschlossen und die parlamentarische Debatte um die Bahnprivatisierung für beendet erklärt.

Fünf Gründe gegen die Bahnprivatisierung der Großen Koalition:

§ Vor allem der Personenfernverkehr wird unter Renditedruck kommen. Nachdem der Interregio schon abgeschafft worden ist, steht jetzt der Intercity-Verkehr auf der Kippe. Viele Städte drohen vom Fernverkehr der Bahn abgehängt zu werden. Die werden dann nur noch vom zu zwei Dritteln aus Staatsmitteln finanzierten Regionalverkehr angefahren und die Bahnkunden die bleiben, müssen in die teureren ICE´s einsteigen und Umwege fahren. Das steigert Auslastung und Gewinn des Fernverkehrs zur Freude der Investoren, schadet aber den Bahnkundinnen und Bahnkunden.

§ Die Privatisierung von Fahrscheinverkauf von Fahrplanwesen, die zum Personenverkehr gehören, lassen britische Verhältnisse befürchten, wenn die Zahl der Bahnanbieter steigt. Denn die Deutsche Bahn AG verkauft nur eigene Fahrkarten und schließt andere Anbieter systematisch aus ihrem Vertriebssystem aus. Daher wird es in Zukunft immer weniger durchgängige Fahrscheine geben, sondern jeder Zug muss neu bezahlt werden. Daher muss der Vertrieb als öffentliche Aufgabe genau so wie das Schienennetz gesichert werden.

§ Investitionen in internationale Logisitikaktivitäten sind viel lukrativer als neue Züge in Deutschland fahren zu lassen. Schon heute ist DB Schenker der größte Lkw-Spediteur in Europa. Private Investoren werden das Lkw-Geschäft ausbauen, weil sich hier schneller Geld verdienen lässt als mit ungleich teureren und weniger flexiblen neuen Lokomotiven und Güterwaggons.

§ Mehdorn bleibt Herrscher über einen gemeinwohlorientierten Infrastruktur- und einen renditeorientierten Transportbereich. Die Gemeinwohlorientierung der Infrastruktur ist dabei nicht mehr als ein frommer Wunsch der Politik, denn das Schienennetz wird weiterhin vor allem nach den Bedürfnissen der DB Transportgesellschaften entwickelt. Nur ein eigentumsrechtlich unabhängiges Netz würde Anreize schaffen, um mehr Verkehr auf die Schiene zu holen - auch Züge, die kein DB-Logo tragen. Die Konstruktion einer dreiviertelstaatlichen Transportgesellschaft, die Lkw-Flotten in den USA, Eisenbahnen in Spanien und Großbritannien und Logitistikniederlassungen auf der ganzen Welt unterhält, ist hoch riskant. Verspekuliert sich die Konzernführung, haften die deutschen Steuerzahler.

§ Durch den Verzicht auf eine konsequente Trennung von Netz und Transport bei gleichzeitiger Hereinnahme privater Investoren wird die Bahnpolitik in Zukunft noch stärker im DB-Konzern gemacht als bisher. Die Große Koalition verzichtet auf eine eigenständige Schienenverkehrspolitik, sondern setzt statt dessen alles auf die Karte "Global Champion" Deutsche Bahn AG.

Was ist zu tun? Grüne Forderungen für eine bessere Bahnpolitik:
Wir Grüne sind für mehr und besseren Schienenverkehr zum Wohl der Bahnkundinnen und Bahnkunden und als wirkungsvoller Beitrag zum Klimaschutz. Statt Börsenplänen brauchen wir endlich ein integriertes Bahnkonzept, mit dem mehr Menschen und mehr Güter mit diesem umweltfreundlichen Verkehrsmittel bewegt werden können.

Wir fordern

§ eine Investitionsoffensive für den Schienenverkehr mit mehr Geld für den umweltfreundlichen Regionalverkehr,

§ eine Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auf Fernverkehrstickets, damit Bahnfahren für breite Bevölkerungsschichten bezahlbarer wird,

§ eine Verdoppelung der Finanzmittel für den Lärmschutz an Schienenwegen

§ eine massive Aufstockung der Bundesmittel für Umschlagsanlagen für den kombinierten Verkehr

§ und eine Umschichtung der Schieneninvestitionen von überteuerten Hochgeschwindigkeitsstrecken (z.B. die ICE-Neubaustrecke Hannover - Hamburg/Bremen, "Y-Trasse") und Prestigebahnhöfen ("Stuttgart 21") zu schnell wirksamen kapazitätssteigernden Maßnahmen, wie einer Entlastung von Eisenbahnknoten (z.B. in Köln, Hamburg und Hannover) und einer Reaktivierung bzw. Ertüchtigung von Nebenstrecken unter Einbezug von privaten Bahnnetzen.

Zudem müssen ordnungspolitische Leitplanken verankert werden, die die schlimmsten Fehlentwicklungen einer privatisierten Bahn verhindern:

§ Es braucht Mindeststandards für den Fernverkehr. Vergleichbar dem Regionalverkehr können Ausschreibungen von stark frequentierten Fernverkehrslinien mit schwach ausgelasteten Fernverkehrslinien dafür sorgen, dass auch mittelgroße Städte an den Fernverkehr angeschlossen bleiben.

§ In der Satzung der DB AG muss festgelegt werden, dass ein Vorstand der DB Holding nicht auch Vorstand der neu zu gründenden Unterholding für Verkehr und Logistik, die über den Transportgesellschaften installiert werden soll, sein darf.

§ Öffentliches Geld für die Schieneninfrastruktur gibt es nur auf der Basis einer transparenten und überprüfbaren gesetzlich geregelten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, die die Steigerung der Schienenkapazität als zentrales Kriterium enthält. Schlechtleistungen der DB Netz führen unmittelbar zu Strafzahlungen und zum Entzug von Strecken.

§ Regionale Netze sollten mit einem finanziellen Ausgleich an die Bundesländer gehen, die dann Nahverkehr, Bahnhofsgestaltung und Streckenunterhalt aus einer Hand organisieren können, und dies zu einem Bruchteil der Kosten, den die DB bisher dafür ansetzt.

§ Eine Stärkung der Bundesnetzagentur sorgt für eine echte Anreizregulierung, die der willkürlichen Trassenpreisfestsetzung der DB ein Ende setzt.

Selbst die Debatte eines Länder-Gesetzentwurfs, der am 23. Mai 2008 im Bundesrat mit großer Mehrheit beschlossen wurde, wird nicht mehr abgewartet. Minister Tiefensee erklärte dazu am 28. Mai 2008 im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: "Dieser Gesetzentwurf ist überflüssig." Das gesamte Verfahren der Bahnprivatisierung ist eine Farce, die zudem die Länder vor den Kopf stößt. Besonders skandalös ist, dass Berichte und Verträge mit der Deutschen Bahn AG die die notwendigen Grundlagen für eine Privatisierung darstellen, bis zum heutigen Tag nicht vorliegen.

Die Koalitionsfraktionen haben damit einer Privatisierung zugestimmt,

§ ohne einen Beteiligungsvertrag zwischen Bund und Deutscher Bahn AG zu kennen, der die Privatisierung im Detail regelt,

§ ohne genau zu wissen, wie der Zustand des bundeseigenen Schienennetzes (Infrasstrukturzustands- und entwicklungsbericht) ist und

§ ohne einen fertig verhandelten Vertrag (Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung), der den jährlichen Zuschussbedarf von jährlich 2,5 Milliarden Euro regeln soll.

In geradezu unverantwortlicher Weise haben sich die Parlamentarier aus CDU/CSU und SPD bei der Bahnprivatisierung selbst entmachtet.

Die SPD hat sich damit meilenweit von ihrem eigenen Parteitagsbeschluss vom Oktober 2007 entfernt. Dieser sah vor, dass eine Privatisierung allenfalls über die Ausgabe von Volksaktien erfolgen dürfte, anderenfalls müsse erneut ein Parteitag über die Bahnprivatisierung entscheiden. Die SPD-Linke hat der Privatisierung nach dem Holding-Modell ohne erneute Parteitagsbefassung unter der Maßgabe zugestimmt, dass die Privatisierung auf 24,9% begrenzt wird und das dies tarifvertraglich festgelegt wird. Unabhängig von der Frage, ob eine solche Privatisierungssperre in einem Tarifvertrag Bestand gehabt hätte, haben die Gewerkschaften Transnet und GDBA mit einem Beschäftigungssicherungsvertrag aber schon jetzt die Tür für eine weitergehende Privatisierung aufgestoßen und damit die SPD düpiert. Die Union sieht in dem Beschluss über eine Privatisierung von 24,9% ohnehin nur eine ersten Schritt. Der Verkauf von knapp einem Viertel der Transportgesellschaften an Investoren ist damit nur der Anfang einer Vollprivatisierung. Wenn die SPD tatsächlich eine weitergehende Privatisierung hätte ausschließen wollen, hätte dafür das Grundgesetz geändert werden.

Maßgebliche Politiker der Union haben immer eine klare eigentumsrechtliche Trennung von Netz und Transport befürwortet. Das war auch das Ziel der 1994 beschlossenen Bahnreform von 1994. Mit dem jetzt beschlossenen Holding-Modell wird der integrierte Konzern in absurder Form weitergeführt. Denn die Regelung zum konzerninternen Arbeitsmarkt werden die privaten Investoren schnell für sich zu nutzen wissen: Nicht mehr benötigte Arbeitskräfte aus den Transportgesellschaften werden dann in die rein staatlichen Infrastrukturgesellschaften verschoben. Dabei hätte man bei einer eigentumsrechtlichen Trennung eine echte Beschäftigungssicherung vereinbaren können, ohne einen Verschiebebahnhof zur Renditemaximierung privater Investoren zu schaffen.

Einem grünen Antrag zur Trennung von Netz und Betrieb, der inhaltsgleich von Grünen, FDP und CDU (!) im hessischen Landtag angenommen worden ist, hat die Union im Bundestag die Zustimmung verweigert und damit gezeigt, dass ihr ordnungspolitischer Kompass der Koalitionsräson geopfert wurde.
Nach jahrelangem Tauziehen ist damit eine Entscheidung gefallen, die zu Lasten der Bahnkundinnen und Bahnkunden geht. Die Schiene als umweltverträglicher Verkehrsträger, die mit einem flächendeckenden Netz auch im ländlichen Raum die soziale Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten ermöglicht, droht einer Renditebahn geopfert zu werden, die nur noch dort fährt, wo es sich rechnet.

Die Bahnprivatisierung soll auf der Basis des sogenannten Holding-Modells erfolgen. Die Bahn wird in zwei Säulen geteilt: ein Infrastrukturbereich zu dem Netz, Bahnhöfe und Energie gehören, der weiterhin der Deutschen Bahn AG direkt unterstellt bleibt, und ein Transportbereich, zu dem Personenfern- und -nahverkehr und der gesamte Bereich Güterverkehr und Logistik gehören, der in einer neuen DB Mobility Logistics AG zusammengefasst wird. Nur diese DB Mobility Logistics AG wird zunächst zu 24,9 Prozent privatisiert.

Wir sind entschieden gegen das Holding-Modell, das nach mehr als zwei Jahren Modelldiskussionen als ziemlich fauler Kompromiss herausgekommen ist. Am Ende ging es den Privatisierungsbefürwortern nur darum, dass ein Einstieg in die Privatisierung geschafft wird, egal wie. Für uns gilt hingegen: Schienenverkehr ist eine öffentliche Aufgabe und darf auch nicht indirekt dem Einfluss von Privatinvestoren ausgesetzt sein. Daher sind wir für einen sofortigen Stopp der Bahnprivatisierung.

Mit freundlichen Grüßen

Cornelia Behm