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Frage von Orsolya S. •

Frage an Björn Niklas Semrau von Orsolya S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Eine lebendige, freie und kritische Zivilgesellschaft ist genauso unverzichtbar für jede demokratische Gesellschaft wie freie Medien. In Ungarn werden unbequeme NGOs von der Regierung mit administrativen Mitteln drangsaliert sowie regelmäßig durch Schmutzkampagnen diskreditiert.

Das “Stop Soros” Gesetz vom Sommer 2018, welches etwa die Unterstützung von Geflüchteten als “Beihilfe zur illegalen Migration” unter Strafe stellte sowie eine Sondersteuer auf Spenden aus dem Ausland einführte, war nur die Spitze des Eisbergs. Bereits 2014 warnte der Menschenrechtskommissar des Europarats vor stigmatisierenden Äußerungen ungarischer Regierungspolitiker über Organisationen, die damals den NGO-Fonds des EWR und Norwegens verwalteten.

2017 nahm die Fidesz-Mehrheit im ungarischen Parlament ein Anti-NGO-Gesetz an, das laut der Venedig-Kommission eine Gefahr für Grundrechte darstellt. Der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen kritisierte dieses Gesetz und die EU-Kommission reichte deswegen eine Klage beim EU-Gerichtshof ein.

Im April 2018 veröffentlichte die Fidesz-nahe Zeitschrift “Figyelö” eine Liste von 200 regierungskritischen Experten und Aktivisten, die angeblich daran arbeiteten, “die Regierung zu stürzen”. Dieser Schritt wurde u.a. auch vom OSZE-Beauftragten für die Freiheit der Medien scharf kritisiert.

Organisationen, die der Regierung Orbán politisch unbequem sind, erhalten schon seit langem keine Zuwendungen aus staatlichen Mitteln und haben auch Mühe, private Spender zu finden. Zudem ist die Regierung bestrebt, finanzielle Unterstützung dieser NGOs aus dem Ausland zu unterbinden.

Die Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie in Ungarn gefährdet die Zukunft der europäischen Integration. Wie kann Europa diejenigen Teile der ungarischen Zivilgesellschaft, die sich der Verteidigung europäischer Werte verschrieben haben, unterstützen? Welche Maßnahmen würden Sie diesbezüglich im Europäischen Parlament initiieren bzw. mittragen?

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau S.,

Vielen Dank für Ihre Frage.

Der politische (religionspoli Rechtsruck in Ungarn seit der Regierungsübernahme der nationalkonservativen Partei Fidesz und der darauf folgende Angriff auf liberalen Teile der ungarischen Gesellschaft, wie die Pressefreiheit, stellt einen Angriff auf die Europäische Union (EU) und ihren gemeinsamen Wertekanon dar. Diese Grundwerte sind aber der moralische Kern des gesamten Union. Sie definieren unser Selbstverständnis als Gesellschaft und sind die Basis für die europäische Integration. Ohne diese Werte sind wir nur eine große Freihandelszone und politisch alleine, und somit auf der globalen Bühne bei der Verhandlung unser Interessen weitgehend machtlos gegen große Konkurrenten wie Russland oder China. Daher ist es von immenser Bedeutung, dass die Wertegemeinschaft, die die EU bildet, intakt bleibt.

Die nationalistische und auch zuweilen anitsemitische Politik von Viktor Orbán und seiner Fidesz-Partei, sowie die Inszenierung Ungarns als christliches Bollwerk gegen den die Migrationsbewegungen aus dem Nahen und Mittleren Osten, stelle eine Verhöhnung der europäischen Wertegemeinschaft dar. Mit dem Beitritt zur EU geht man die Verpflichtungen ein, die gemeinsamen Werte zu achten. Die Politik Orbáns ignoriert diese Verpflichtung und führt tatsächlich Teile der europäischen Werte ad absurdum.

Eine Tolerierung dieser Politik kommt nicht in Frage, will die EU nicht die Grundfesten ihrer Existenzberechtigung verlieren. Natürlich kann man nicht das ganze Land für die Taten einer einzigen, tendenziell autokratisch handelnden und idealerweise zeitlich begrenzt eingesetzten Regierung verurteilen. Ein Sanktion sollte sich daher auf die Regierung konzentrieren, die unsere gemeinsamen Werte mit Füßen tritt, dafür aber unkritisch EU-Hilfen zur Förderung der heimischen Wirtschaft annimmt.

Die Lösung hierfür ist ja schon auf den Weg gebracht und würde auch von mir und meinen Parteikollegen unterstützt werden: Das Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge, das als absolute Sanktion den Entzug der Stimmrechte vorsieht. Das würde Ungarn die Möglichkeit zur Mitgestaltung der EU nehmen. Sollte das nicht reichen kann man darüber nachdenken Ungarn die wichtigen EU-Hilfen zu kürzen oder gar ganz zu streichen. Mit einer solch starken Sanktion würde Viktor Orbán und Fidesz unter gehörigen Druck geraten und ein eventuelles Einlenken erzeugen.

Eine weitere Idee wäre, dass man diese oder andere EU-Hilfen in zivilgesellschaftliche Projekte in Ungarn investiert, die sich für eine freiheitliche Gesellschaft im Sinne der europäischen Grundwerte einsetzen, um so die ungarischen Zivilgesellschaft über die Vorzüge der europäischen Integration und ihrer gemeinsamen Werte zu informieren.

Die Wahl aber, welchen Weg Ungarn in Zukunft gehen möchte, mit oder ohne die EU, muss das ungarische Volk selber treffen. Eine EU ohne Ungarn wäre eine mindestens kulturell ärmere EU, weswegen ein Austritt Ungarns keine optimale Lösung darstellt. Ungarn muss sich entscheiden, ob es lieber alleine in Europa und der Welt, aber dafür autokratisch, unfrei und dafür ohne Migranten sein möchte, oder ob Teil einer freien Gemeinschaft von Völker sein möchte, die einander helfen. Dafür allerdings müsste es eine Einigung von Viktor Orbán geben oder das Volk müsste sich für eine andere Regierung mit anderen ideologischen Vorzeichen entscheiden.

Mit freundlichem Gruß,

Björn Niklas Semrau