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Frage von Gerhard R. •

Frage an Wolfgang Neškovic von Gerhard R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Neskovic,

laut Ihrem gestrigen Vortrag in Eutin gibt es in Deutschland eine geheime Liste über Terrorverdächtige, in die auch Unschuldige geraten können.

Wer erstellt diese Liste?

Welche Auswirkungen hat die Eintragung im privaten Bereich?

Wie erfährt jemand, ob er dort eingetragen ist?

Wie kann man sich gegen eine falsche Eintragung wehren?

Obwohl ich Zuhörer war, muß ich diese Fragen stellen, da Ihre Behauptungen (Beispiel "Ziviler Tod" für die Eingetragenen) ungeheuerlich waren und ich sicher sein will, alles richtig verstanden zu haben.

Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth

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Sehr geehrter Herr Reth,

vielen Dank für Ihre Fragen, die ich wie folgt beantworten möchte:

1. Es gibt nicht nur eine, sondern es existieren gleich zwei in diesem Zusammenhang wichtige Listen, die auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind. Die eine wird bei den Vereinten Nationen (die sog. UN-Terrorliste), die andere wird vom Rat der Europäischen Union geführt (EU-Terrorliste). Die Vereinten Nationen haben durch die Sicherheitsratsresolutionen 1267 (1999), 1333 (2000) und 1390 (2002) alle Staaten aufgefordert, die Finanzierung terroristischer Handlungen zu bekämpfen und als Sanktionsformen Finanzrestriktionen und Reisebeschränkungen beschlossen. Zur Umsetzung dieser Sanktionen wurde eine Liste geschaffen, auf der diejenigen Personen und Organisationen aufgeführt werden, auf die die Sanktionen Anwendung finden sollen. Über die Aufnahme in die Liste entscheidet auf Antrag eines Staates ein eigens vom Sicherheitsrat dafür eingerichteter Sanktionsausschuss. Dessen Entscheidung ergeht dabei unter Ausschluss der Öffentlichkeit und binnen so kurzer Zeit (bis vor kurzem innerhalb von 48 Stunden, inzwischen gilt eine 5 Tages Frist), dass von einer rechtstaatlichen Entscheidung nicht gesprochen werden kann. Durch EG-Verordnung 2580/2001 schuf die EU - zusätzlich zu der bereits bestehenden UN-Terrorliste - auch eine eigene EU-Terrorliste, die vom Rat selbst verwaltet und aktualisiert wird.

2. Die Listung einer Person löst, wie bereits angesprochen, zwei verschiedene Sanktionen aus: Finanzrestriktionen und Reisebeschränkungen. Die Finanzrestriktionen wirken sich dabei in zwei Richtungen aus. Zum einen werden alle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen eingefroren, das heißt im Wesentlichen, dass sämtliche Konten gesperrt werden. Für die gelistete Person bedeutet dies, dass sie urplötzlich über keinerlei finanzielle Mittel mehr verfügt, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Darüber hinaus dürfen diesen Personen aber auch keine Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen mehr zur Verfügung gestellt werden. Dies geht so weit, dass die Auszahlung von Gehalt oder Arbeitslosengeld zum Problem wird. Die Reisebeschränkungen bestehen darin, dass für die gelisteten Personen ein komplettes Ein- und Durchreiseverbot in oder durch die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen besteht.

3. Für die Frage, wie jemand erfährt, dass er auf einer der Listen steht, spielt wiederum die Unterscheidung zwischen der UN- und der EU-Terrorliste eine Rolle, bei der UN-Terrorliste war es früher so, dass die Betroffenen von einer Listung vollkommen überrascht wurden und erst dann von ihr erfuhren, wenn sie beispielsweise bei der Einreise in ein Land gehindert wurden oder die Auszahlung am Bankautomaten verweigert wurde. Nach und nach ist es jedoch zu einigen Verbesserungen gekomme, so enthält die Sicherheitsresolution 1735 aus dem Jahr 2006 detaillierte und verpflichtende Vorgaben dazu, wie die in die Liste aufgenommenen Personen oder Institutionen von ihrer Aufnahme zu benachrichtigen sind. Auch bei der EU-Terrorliste war zunächst nicht vorgesehen, dass die gelisteten Personen von der Listung und vor allem von den Gründen hierfür in Kenntnis gesetzt werden mussten. Dies änderte sich erst durch eine Entscheidung des Gerichtes erster Instanz (EuG) vom 12. Dezember 2006, durch die ein Ratsbeschluss zur Aufnahme in der Terrorliste annulliert wurde, weil das Gericht neben den Verteidigungsrechten und dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz insbesondere auch die Begründungspflicht verletzt sah. Seitdem werden auch in der EU die Betroffenen von ihrer Listung informiert.

4. Der Rechtsschutz gegen die Listeneintragung ist unbefriedigend und kompliziert, wobei wiederum zwischen der UN-Terrorliste und der von der EU geführten Liste zu unterscheiden ist. Bei der UN-Terrorliste konnten die Betroffenen jahrelang selbst keinen Antrag auf Streichung von der Liste stellen. Ein Betroffener musste sich an sein Heimatland wenden und konnte nur darauf hoffen, dass dieses sich für ihn auf diplomatischem Wege für ihn einsetzt. Seit 2006 hat sich zwar eine Neuerung ergeben, nach der sich betroffene Personen und Institutionen unmittelbar an die Vereinten Nationen wenden können. Hierfür wurde ein eigenes Gremium ("Focal Point for De-listing") geschaffen. Die Streichung kann jedoch noch immer nicht gegen den Willen desjenigen Staates erreicht werden, der den Betroffenen ursprünglich auf die Liste hat setzen lassen (i.d.R. die USA). Eine Kontrolle durch eine unabhängige Instanz findet nicht statt. So gibt es beispielsweise keinen internationalen Gerichtshof, der von den Individuen angerufen werden könnte. Etwas günstiger sieht die Situation bei der EU-Terrorliste aus. Hier haben bereits zahlreiche Klagen vor dem EuG zum Erfolg geführt. Da die Aufhebung des Listenbeschlusses bisher allerdings immer allein mit dem Fehlen jeglicher Begründung für den massiven Grundrechtseingriff begründet wurde, hatte dies zum Teil die absurde Konsequenz, dass die Begründung einfach nachgeschoben wurde und die Betroffenen auf der Liste verblieben.

5. Angesichts der gravierenden rechtsstaatlichen Defizite der Listenpraxis (die dargestellten leichten Verbesserungen ändern an dieser Einschätzung nur wenig) halte ich die Formulierung "zivile Todesstrafe" nicht für überzogen. Sie stammt im Übrigen nicht von mir, sondern von dem Ermittler des Europarates Dick Marty, der diesem hinsichtlich der Terrorlisten einen äußerst kritischen Bericht vorgelegt hat. Die Fraktion DIE LINKE wird sich auf einer ihrer kommenden Sitzungen eingehend mit der derzeitigen Listenpraxis beschäftigen und hat dazu eine anerkannte Expertin eingeladen.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Neskovic