Frage an Wolfgang Kreissl-Doerfler von Jörg S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kreissl-Dörfler ,
ich habe gelesen, Sie sind Mitglied im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten.
Warum haben Sie der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zugestimmt?
Ich glaube, wie das Gesetz zum "Großen Lauschangriff" ist auch dieses Gesetz nicht mit unserer Verfassung vereinbar.
Findet dadurch nicht so etwas wie ein Paradigmenwechsel in der Bundesrepublik Deutschland statt? (Ich gebrauche ausdrücklich "Bundesrepublik Deutschland", weil wir als Land so etwas ähnliches in der DDR ja schon mal hatten...)
Sehen Sie durch die Vorratsdatenspeicherung nicht alle Bürger unter einen Generalverdacht gestellt? Wie stehen Sie persönlich dazu? Stehen Sie zu diesem Abstimmungsverhalten oder ist es das Ergebnis eines Fraktionszwangs bei Ihnen?
Ich habe mich der Sammelklage gegen dieses nationale Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht angeschlossen.
Mit freundlichen Grüßen
J.Stöckel
Sehr geehrter Herr Stöckel,
Sie haben recht: Datenschutz ist eine Grundvoraussetzung für eine demokratisch verfasste Gesellschaft. Gerade deshalb haben wir Sozialisten im Europäischen Parlament die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung so hart verhandelt. Und ich möchte betonen: als Mitglied des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Inneres und Justiz war ich an den Verhandlungen dieser Richtlinie direkt beteiligt. Und ich denke das Ergebnis kann sich sehen lassen. Übrigens: Auch die Kollegen in meiner Fraktion haben ohne Zwang zugestimmt - viele haben es sich dabei sicherlich nicht leicht gemacht. Die Frage war ja, ob man auf EU-Ebene Pflöcke einschlagen kann, die den Datenschutz auf nationaler Ebene absichern. Denn ohne die EU-Richtlinie gäbe es jetzt einen Wildwuchs an unterschiedlichen nationalen Gesetzen, mit unterschiedlicher Länge(Polen wollte die Dtaen für 15 Jahre speichern!), mehr oder weniger Datenschutz, eher mehr als weniger zu speichernden Daten.
Nachdem der Ministerrat sich dafür ausgesprochen hatte, das Thema im Verfahren der Mitentscheidung zu behandeln, konnten wir in harten Auseinandersetzungen mit dem Rat dafür sorgen, an zentralen Punkten Veränderungen vorzunehmen. So beschränkt sich der Geltungsbereich der Richtlinie nur auf schwere Straftaten. Es ist gelungen, die Speicherung erfolgloser und unbeantworteter Anrufe sowie das Ende der Standortdaten beim Mobiltelefonieren, durch die die Erstellung eines Bewegungsprofils möglich wäre, herauszunehmen. Wir konnten Datenschutzbestimmungen einbringen, die für den Zugang der Unternehmen auf die Daten gelten. Dies ist ohnehin ein interessanter Punkt, der in der Datenschutzdiskussion oft übersehen wird: Private Unternehmen erstellen zunehmend durch Analyse von Kundendaten, Bonusprogrammen und Kreditkarteninformationen Kundenprofile, die im Einzelfall ebenfalls weitgehende Konsequenzen für den Einzelnen haben können, beispielsweise bei der Gewährung von Kundenkrediten - aber darüber spricht kaum jemand.
Da wir einen Konsens mit dem Rat in den uns wichtigen Punkten erzielen konnten, haben wir für die Richtlinie gestimmt. Damit wurde ein Präzedenzfall geschaffen, der es möglich macht, zukünftig in den Bereichen, die die Sicherheit betreffen, mitentscheiden zu können. Im konkreten Fall der Vorratsdatenspeicherung haben wir so zum Beispiel die Möglichkeit, eine spätere Revision vorzunehmen. Und natürlich werden wir dabei erneut zwischen dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit und den Grundrechten des Einzelnen abwägen.
Weiter können wir durch die Mindestharmonisierung in der Vorratsspeicherung von Daten verbindliche Garantien schaffen, was zum Beispiel den Datenschutz und die Datensicherheit betrifft. Letztlich werden wir in zukünftigen Legislativvorhaben, die die innere Sicherheit betreffen, im Verfahren der Mitentscheidung eingebunden sein und somit die Bürgerrechte so weit wie möglich schützen können. Sollte die von vielen als Heilsbringer für den Datenschutz betrachtete Klage Irlands vor dem EuGH übrigens erfolgreich sein, droht viel größerer Ungemach: Denn Irland klagt vor allem, weil die nationalen Bestimmungen in Irland viel weitergehend sind als die nun europaweit geltende Rahmengesetzgebung. Im Falle eines dann drohenden Beschlusses des Ministerrates ohne Mitentscheidung des Parlaments sind also viel tiefere Eingriffe zu befürchten.
Wie Sie sehen, sagt es nicht viel über die Beweggründe und die Tätigkeit eines Abgeordneten aus, wann er mit ja oder nein abgestimmt hat. Die Wirklichkeit ist oft viel komplexer, als sie die Medien widergeben können.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Kreissl-Dörfler