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Frage von Martin L. J. •

Frage an Wolfgang Heubisch von Martin L. J. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Dr. Heubisch,

Sie lehnen die Wiedereinführung der "Dipl.-Ingenieur"-Abschlüße durch die TU München ab mit der Begründung,dies sei "ein irreführendes Signal für die Akzeptanz der Bologna-Reform".

1.) Heißt dies nicht schlicht: wir haben die Reform, also bleibt es bei der Reform (egal was die Praxis zeigt)?
2.)Wann hat die Bologna-Reform in Bayern eine parlamentarische Hürde genommen, d.h. wann und mit welchem Gesetz ist diese Reform verabschiedet worden?
3.)Welche Erkenntnisse haben Sie aus Kontakten mit der TU München, warum diese die "Dipl.-Ing."- Abschlüsse wieder einführen möchte?

Vielen Dank für Ihre Antwort und
Mit freundlichen Grüßen

Martin L. JACOB

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Jacob,

Ihre Fragen darf ich wie folgt beantworten:

Zu 1.: Nach meiner Überzeugung müssen wir alles daran setzen, dass die Bolognareform ein Erfolg wird, denn ihre Ziele (Verbesserung der Mobilität und Durchlässigkeit für Studierende und Absolventen; vergleichbare Qualitätsstandards in einem gemeinsamen Europäischen Hochschulraum; kürzere Studienzeiten bis zum Erstabschluss und eine konsequentere Orientierung von Studienkonzepten an Qualifikationszielen und an den Bedarfen von Wirtschaft und Gesellschaft) sind unverändert richtig. Nur so können Qualität und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Hochschulabschlüsse auf Dauer gewährleistet werden.

Dass diese Ziele auch bei den betroffenen Studierenden auf Akzeptanz stoßen, zeigen etwa die Ergebnisse einer von der Universität Konstanz im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in 2009 durch-geführten Untersuchung „Bachelor-Studierende, Erfahrungen in Studium und Lehre, eine Zwischenbilanz“ (vgl. unter http://www.bmbf.de/pub/bachelor_zwischenbilanz_2010.pdf ). Diese ergeben, dass über 80% aller befragten Studierenden die internationale Ausrichtung des Prozesses, die Akkreditierung der Studiengänge oder die Vergleichbarkeit der Standards für wichtig, darunter nahezu die Hälfte sogar für sehr wichtig halten.

Die Studierendenproteste im letzten Jahr, aber auch Untersuchungen, die wir hier in Bayern durchgeführt haben, wie etwa der im Juli 2010 vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung im Auftrag des Staatsministeriums erstellte „Zwischenbericht zu Stand und Perspektiven bayerischer Bachelorstudiengänge“ (vgl. unter http://www.ihf.bayern.de/?download=Zwischenbericht_IHF_Bachelorstudiengaenge.pdf ) zeigen, dass es bei der Umsetzung der Reform umfassenden Verbesserungsbedarf gibt. Dies betrifft insbesondere die Punkte Orientierung der Studienkonzepte an Learning Outcomes aus der Perspektive der Studierenden, Anerkennung von Prüfungsleistungen, Modularisierung und Prüfungsdichte.

Hier haben wir auf staatlicher Seite, aber auch zusammen mit den bayerischen Hochschulen und mit Unterstützung der Studierenden in den letzten Wochen und Monaten zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht. Zu nennen sind hier neben wesentlichen Änderungen der „Ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen“ durch Beschluss der Kultusministerkonferenz der Länder vom 04.02.2010 (vgl. unter http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2003/2003_10_10-Laendergemeinsame-Strukturvorgaben.pdf ) insbesondere die am 07. Juni 2010 gemeinsam von Universität Bayern e.V., Hochschule Bayern e.V., der Landes-AStenkonferenz Bayern und dem Staatsministerium verabschiedeten „Leitlinien zur Weiterentwicklung des Bolognaprozesses in Bayern“, deren Wortlaut Sie unter http://www.stmwfk.bayern.de/Presse/pdf/100607_leitlinien.pdf einsehen können. Diese enthalten zahlreiche konkrete Empfehlungen zu den o.g. Punkten. Ein gemeinsamer Koordinierungsausschuss von Universität Bayern e.V., Hochschule Bayern e.V., der Bayerischen Landes-Astenkonferenz und dem Staatsministerium begleitet die Umsetzung kontinuierlich.

Zu 2.: Der Bayerische Landtag hat bereits in 2006 ein neues Bayerisches Hochschulgesetz beschlossen, das am 1. Juni 2006 in Kraft getreten ist. Dies enthält in Art. 57 Abs. 4 BayHSchG die Festlegung, dass spätestens mit Beginn des Wintersemesters 2009/2010 die Aufnahme des Studiums in Bachelorstudiengängen für Studienanfänger und Studienanfängerinnen in Studiengängen, die zu einem Hochschulabschluss führen, die Regel sein soll. Zu dem enthält das Hochschulgesetz 2006 zahlreiche Regelungen zur Umsetzung des Bolognaprozesses, wie etwa die verpflichtende Einführung eines Leistungspunktesystems, die verpflichtende Einführung des Diploma Supplement und eine Bestimmung zur unmittelbaren Anwendbarkeit von KMK-Empfehlungen oder Vereinbarungen der Länder, mit der die Einheitlichkeit oder die Gleichwertigkeit der Ausbildung oder der Abschlüsse und die Möglichkeit des Hochschulwechsels gewährleistet werden. Darunter fallen insbesondere auch die o.g. „Ländergemeinsamen Strukturvorgaben“ in ihrer jeweiligen Fassung.

Zu 3.: Nach meinem Eindruck ist die Diskussion um die Wiedereinführung des akademischen Grades Dipl.-Ing. von sehr unterschiedlichen Interessen bestimmt. Zum Teil steht hier tatsächlich die Sorge im Vordergrund, eine jedenfalls in Deutschland eingeführte Bezeichnung eines akademischen Grades ohne Not einer im Übrigen notwendigen Reform (vgl. Antwort zu 1) zu opfern. Teilweise dient diese Diskussion aber auch dazu die Interessen derjenigen zu unterstützen, die auch in einem zweistufigen System mit Bachelor und Master den Masterabschluss als äquivalent zum alten Diplomabschluss als Regelabschluss sehen und nicht bereit sind, die o.g. Ziele der Bolognareform zu akzeptieren und an deren Umsetzung konstruktiv mitzuarbeiten. Dass es diese Tendenzen gibt, wird nicht zuletzt auch daran deutlich, dass insbesondere die TU München in ihren jüngsten Pressemitteilungen immer wieder betonen muss, dass es ihr nur um die Beibehaltung der alten Bezeichnung des akademischen Grades geht, nicht aber um eine Abkehr von der Reform.

In einer Situation, in der alle Anstrengungen darauf konzentriert werden müssen, die Ziele der Reform umzusetzen, sind solche Diskussionen, die nicht nur im Hochschulbereich, sondern vor allem auch in der Wirtschaft und bei künftigen Studierenden und Absolventen zu großer Verunsicherung führen, kontraproduktiv.

Denn auch für die Studiengänge der Ingenieurwissenschaften muss gelten, dass sie im Sinne der Reformziele weiterentwickelt und weiter verbessert werden. Ein Festhalten an alten akademischen Graden ist in diesem Kontext ein zumindest psychologisches Hindernis.

Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass eine Wiedereinführung des Dipl.-Ing. auch nicht erforderlich ist, denn um zu verdeutlichen, dass Masterstudiengänge in den Ingenieurwissenschaften mindestens die Qualität und die Qualifikationsziele verkörpern, die die bisherigen Diplomstudiengänge an Universitäten ausgezeichnet haben, ist es, wie von der TU München praktiziert, völlig ausreichend, diesen Sachverhalt an geeigneter Stelle (z.B. im Abschlusszeugnis, in der Urkunde über die Verleihung des akademischen Grades oder in Diploma Supplement) hervorzuheben.

Hinweisen möchte ich zudem darauf, dass Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge aufgrund des Bayerischen Ingenieurgesetzes nach wie vor die Berufsbezeichnung Ingenieur tragen dürfen, wobei dies bereits für Bachelorabsolventen der Fall ist.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Dr. Wolfgang Heubisch
Staatsminister