Thoralf Koß
Bündnis 90/Die Grünen
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Thoralf Koß zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Peter B. •

Frage an Thoralf Koß von Peter B. bezüglich Wirtschaft

Hallo Herr Koß

Sehr mutig von Ihnen, sich in das Politikgetümmel zu stürzen, vor allem deshalb, da Sie sich wohltuend von dem grünen "Guru" Joseph Martin Fischer absetzen, schon weil Sie einen Beruf haben. ;-)

Mich interessiert, wie Sie glaubwürdig grüne Politik vertreten wollen, da Sie sich ja in einer Partei engagieren, die in den letzten 7 Jahren so ziemlich alle einstigen Ideale in den Wind geschrieben hat und eigentlich an geschluckten Kröten erstickt sein müßte. Die gesamte Regierungsbilanz der SPD, die Ihre Partei als Appendix aufrecht hält, ist so desaströs, daß es im Grunde ein Gebot der nationalen Nächstenliebe ist, Ihre Partei und die des Medienkanzlers Schröder in die Wüste zu schicken. Welche Möglichkeiten sehen Sie bei sich, das Steuer herumzureißen und warum sollten die gebeutelten Wähler Ihnen abermals vertrauen?

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Hallo Herr Berg,

vielen Dank für Ihre wirklich freundliche und auch mal mit etwas Ironie formulierte Frage, die mir beweist, dass nicht nur todernste und frustrierende Dinge zählen. Eine neue Politik sollte endlich wieder lebendig, mutig und viel unabhängiger sein, als dies derzeit der Fall ist. Und vor allem eins/zwei sollte sie sein: gerecht & ehrlich!
Aus genau diesem Grunde bin ich für Bündnis 90/Die Grünen angetreten - denn diese Partei besitzt den Mut, mich, der in vielerlei Beziehung nicht ausschließlich konform mit deren Programm ist, als Direktkandidaten aufzustellen ... und noch schlimmer, ich bin PARTEILOS und unterliege in meinem Engagement und bei meinem Stimmverhalten in erster Linie ausschließlich meinem Gewissen und eben keinem Parteibuch! Und was ich schreibe, ist einfach nur ehrlich und nicht unbedingt perteienkonform.
Nur eins muss ich zugeben, "meine" Partei steht mir und meinen Vorstellungen am nächsten, da sie noch immer (trotz einiger Fischer-Vertrauensfragen) die friedliebendste (Ich bin absolut pazifistisch eingestellt!) und die am ökologisch denkendste ist, die das Leben auch in der Natur und nicht nur beim Menschen akzeptiert.
Wir brauchen in der Politik wieder Menschen mit Visionen statt selbst verliebte und gut bezahlte Parteisoldaten. Übrigens kann ich garantieren, dass ich mit Peter Hetllich, der für die Grünen im Bundestag sitzt und den ich als außergewöhnlichen Menschen und völlig untypischen Politiker an meiner Seite stehen habe, sogar ein Vorbild für mich bei dieser Partei gefunden habe. Er zumindest erfüllt die Anforderungen, die ich an eine moderne Politik stelle!
Ähnlich wie Sie es schreiben, habe auch ich das Verhalten der in der Öffentlichkeit stehenden Grünen-Spitzenpolitiker wahrgenommen. Das Verhalten der B90/Grünen an der Basis ist ein oft ganz anderes. Darum besteht meine Hoffnung darin, dass jemand wie ich, der direkt von der Basis kommt, endlich im politischen Überbau zumindest das Traumgebilde der meisten Spitzenpolitiker hinterfragen und im günstigsten Falle zum Einsturz bringen kann (Ach, das ist doch schon wieder eine Vision!?).
So – und damit sie jetzt ordentlich etwas von meinen Möglichkeiten zu lesen haben, das Steuer rumzureißen, einen Medienkanzler in die Wüste zu schicken (Sie haben ja so recht!) und endlich eine ehrlichen Menschen, aber verdammt kantigen Politiker wie mich in den Bundestag zu schicken, werde ich hier einfach mal ein paar Schwerpunkte zu meinen Vorstellungen „neuer“ Politik aufzählen. Aber Vorsicht, jetzt wird’s lang, aber dafür gibt’s keine politischen Sprechblasen zu lesen! Übrigens habe ich die Schwerpunkte, die ich hier anführe, durch eine Umfrage der Torgauer Zeitung festgelegt.
Los geht’s:

1. Subventionen…
Wir haben in Deutschland das Problem, dass eine Vielzahl von Subventionen in Unternehmen einfließt, die seit Jahren nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können oder beispielsweise schädigend für die Umwelt sind. Ein kluges Umdenken erfolgte nie. Umdenken heißt, die Subventionen in die Bereiche fließen zu lassen, die eine Zukunft haben (Wissenschaft, alternative Energien, Bildung, Begabtenförderung usw.) und so unsere Wirtschaft voran bringen. Kluge Ideen sind gefragt statt antiquiertem Traditionsdenken.

2. Steuerpolitik…
Deutschland hat seine Wirtschaftskraft in erster Linie durch einen unüberschaubaren bürokratischen Wust enorm geschwächt. Das beste Beispiel dafür ist das undurchschaubare Steuersystem, das vielleicht Steuerberatern Arbeit schafft, aber viele Unternehmer abschreckt. Eine radikale Vereinfachung mit logisch überschaubaren Steuersätzen ist unbedingt notwendig. Allerdings reicht dafür noch nicht ganz ein Bierdeckel aus, aber für den normalen Arbeitnehmer dürfte es nicht über eine Seite hinausgehen.

3. Hartz IV…
Das beste Beispiel für das Totalversagen der Politik, wenn es um das Erklären und ordentliche Informieren zu politisch notwendigen Veränderungen geht. Grundlegend ist Hartz IV notwendig gewesen, um einerseits die Lebensgrundlagen Arbeitsloser zu erhalten und andererseits die unermesslichen Staatsausgaben zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit zu steuern. Leider wurde diese Reform aber nie denjenigen, die sie betraf, deutlich erläutert, sondern man erschlug die Betroffenen wiederum mit Bürokratie.

4. Familienpolitik…
Solange Kinder als Hinderungsgrund für die persönliche Entwicklung und als Risiko für den beruflichen Werdegang ihrer Eltern verstanden werden, steuert Deutschland einer dramatischen Situation entgegen. Dies durch die Erhöhung von Kindergeld zu steuern, ist der falsche Weg. Es muss ein einheitliches soziales Netz aufgebaut werden, dass die Eltern bei der Betreuung und auch Erziehung der Kinder unterstützt und berät. Dabei muss dessen Finanzierung in Abhängigkeit zur sozialen Situation der Eltern stehen.

5. Rentensicherung…
Der Blüm-Spruch: „Die Rente ist sicher!“ gilt schon längst nicht mehr. Momentan versucht man mit Hilfe der Ökosteuer die Rentenlücke auszugleichen. Es ist die Pflicht der jüngeren Generation, solidarisch die ältere Generation bei der Absicherung ihres Lebensabends zu unterstützen. Allerdings wird unsere Gesellschaft immer älter, die jungen Menschen fehlen oder verlassen das Land. Die Renten werden zwar nicht fallen, aber eine Erhöhung ist schwierig. Gegenseitiges Verständnis ist für diese Situation ist wichtig.

6. Föderalismus…
Für eine funktionierende Demokratie ist der Föderalismus eine Grundvoraussetzung. Für unsere derzeit katastrophale Bildung aber nicht. Allein diese Tatsache beweist, dass wir eine grundlegende föderalistische Reform brauchen, bei der die Verantwortlichkeit von Bund und Ländern verändert werden muss. Dabei gehören die Bildungskompetenzen vorrangig zum Bund und nicht zum Land. Das schafft endlich eine gerechte, durchschaubare Behandlung aller Betroffenen und keine engstirnige Kleinstaaterei.

7. Ostförderung…
Das größte Problem bei der Ostförderung ist und war, dass zwar viel Geld in Richtung Osten floss, man allerdings die Kontrolle, wie es verwendet wurde, sträflich vernachlässigte. So wurden beispielsweise Schulen gebaut und saniert, die man jetzt einfach wegen Schülermangel wieder schließt. Ähnliche Tendenzen gibt es überall. Das Nutzen der Fördergelder mit mehr Sinn und (Fach-)Verstand sowie eine bessere Kontrolle würde den Aufbau Ost garantiert voranbringen.

8. Infrastruktur…
Da sind wir gleich wieder beim Aufbau Ost. Sachsen ist die Region mit dem dichtesten Straßennetz Europas. Trotzdem werden 2005 und 2006 in Sachsen 1,3 Milliarden Euro in den Bau neuer Straßen investiert, statt auch auf vorhandene Verkehrswege (Schiene / Wasser) zurückzugreifen. In Forschungs- und Technologieförderung werden in Sachsen nur 150 Mio. Euro investiert. Ein zu krasser Widerspruch. Darum sollte der politische Ansatz nach dem Motto verlaufen: „Mehr Aufbau Ost – weniger Straßenbau!“

9. Arbeitsmarkt…
Das Lesen der Arbeitslosenstatistiken ist erschütternd! Besonders im Osten erfolgt ein Abwanderungsverhalten junger Menschen in den Westen oder ins Ausland. Sie gehen dorthin, wo sie noch Arbeit finden. Wenn sich die Unternehmen allerdings hier ansiedeln wollen, steht ihnen dabei oft ein bürokratisches Monster im Wege, das Ideen und Mut mit Pragmatik und Verwaltungswahn bekämpft. Ein erster Schritt für Verbesserungen am Arbeitsmarkt bedeutet auch, die unsägliche deutsche Bürokratie zu bekämpfen.

10. Konflikt Ökologie-Ökonomie…
Warum tut man eigentlich so, als hätte ökologisches Wirtschaften gleichzeitig zur Folge, ökonomischen Denken im Wege zu stehen? Umweltpolitik schafft Arbeitsplätze statt sie zu zerstören. In Deutschland arbeiten 1,4 Millionen Menschen im Unweltbereich, also mehr als im Maschinenbau. So wird nicht nur die Umwelt geschont, sondern auch dauerhafte Berufe geschaffen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gestärkt. Und unsere Lebensgrundlage ist nun mal die Umwelt und die Natur.

„Auf den Punkt gebracht“ (Hier durfte ich für die Zeitung mit höchstens zwei Sätzen zu einem vorgegebenen Wort meine Ansicht äußern!)

1. Arbeit: Eine Lebensgrundlage für jeden Menschen ist das Gefühl, gebraucht zu werden und arbeiten zu dürfen. Die Politik muss mit allen Mitteln versuchen, dem Menschen diese Lebensgrundlage (zurück) zu geben statt sie ihm zu entziehen.
2. Familie: Unsere Gesellschaft orientiert viel zu stark auf dem Egoismus des Einzelnen statt auf einer familienfördernden Politik. Wir müssen wieder das Bewusstsein entwickeln, dass das Leben in der Familie mehr Bedeutung und Gewicht hat als das eines Einzelkämpfers.
3. Ehrlichkeit: Eine Eigenschaft, die die wahre Größe des Menschen und auch eines Politikers ausmachen sollte. Denn durch Ehrlichkeit vermittle ich auch Vertrauen, welches in der derzeitigen Politik größtenteils abhanden gekommen ist.
4. Europa: Ob Deutschland oder Europa, ein Land oder eine Nation ist immer so gut, wie die Menschen, die sich darin einbringen. Und solange Grundlage dafür die Menschenwürde, Freiheit und Demokratie sind, können wir stolz auf Europa sein.
5. Politischer Gegner: Auch von einem politischen Gegner können überzeugende Ansätze kommen, mit denen man sich fair und verständnisvoll beschäftigen muss. Einzige Ausnahme sind dabei Parteien, die demokratische (Spiel-)Regeln ablehnen, wie beispielsweise die NPD.
6. Ökologie: Mensch und Natur sollten sich als Freunde und nicht als Gegner betrachten. Ökologisches Denken ist nichts Schlimmes, es ist die Grundlage dafür, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder noch etwas von dieser Welt haben.
7. Nationalismus: Wer stolz auf seine Nation ist, ist deswegen nicht gleich fremdenfeindlich. Stellt man seine Nation allerdings intolerant über andere Nationen, dann wird es gefährlich für unser Land!
8. Parteidisziplin: Für mich als Parteilosen beantwortet sich die Frage ziemlich leicht. Das Gewissen eines Politikers darf niemals hinter das Parteibuch zurücktreten, denn dann wird aus dem politisch engagierten Menschen nur noch ein funktionierender Partei-Soldat.
9. Ostalgie: Wer vergessen hat, dass die DDR ein Land war, das seine Menschen einsperrte und ihm damit humanistische Grundrechte nahm, hat ein Verdrängungsproblem. Wer versucht, diese (N)Ostalgie zu vermarkten oder dabei mitzumachen, der hat ein moralisches Problem.
10. Reformen: Ein von der Politik viel zu oft bemühtes Wort, um dahinter steckende, mitunter unlogische Kleinigkeiten (z.B. die schreckliche Deutsche Rechtschreibreform) aufzuwerten und Gelder zu verschleudern. Reformen sind grundlegende Veränderungen hin zum Besseren statt einem scheinheiligen Herumdoktorn an Missständen, die dadurch nicht behoben werden.

Puhh, das soll’s gewesen sein!

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diese waghalsigen Ausführungen zu lesen. Wenn nicht, haben Sie zumindest meinen Dank nicht mitbekommen ;-)

Viele freundlich-unbeschwerte Grüße von Thoralf Koß