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Steffen-Claudio Lemme
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Frage von Heidemarie H. •

Frage an Steffen-Claudio Lemme von Heidemarie H. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Lemme,

1. seid Jahrzehnten werden die Kosten für Präventionsmaßnahmen zu Lasten der Versicherten reduziert. Diese erzielten Ersparnisse werden sich langfristig bei den Krankenkassen so bemerkbar machen wie die Bahn jetzt von ihrer Personalpolitik eingeholt wurde. Wann wird hier nicht mehr von einem Extrem (alles wird gezahlt wie in den 60er Jahren) ins andere gewechselt (nichts mehr wird gezahlt wie aktuell) sondern ein für die Versicherten und die Kostenträger vernünftiger Mittelweg eingeschlagen? Welchen Beitrag würden Sie in Ihrer Funktion dafür leisten das wir aus der vorhandenen 3-Klassen-Medizin zurückfinden in das Solidarsystem?
2. Warum sind so viele Krankenkassen, und damit entsprechend viele und zu bezahlende Vorstände, die mit 95% gleichen Leistungen agieren, notwendig?
3. Das schon in anderen Fragen besprochene "Klinksterben" steht im Zusammenhang mit vielen gesetzlichen Vorgaben: wenn die Politik ungenügende Rahmenbedingungen für Kliniken (Akut wie Rehabilitation) setzt und die Wirtschaftlichkeit an die erste Stelle setzt, kann nicht auf der anderen Seite die Schließung von Kliniken verdammt werden. Welche Rahmenbedingungen würden Sie hier verändern?
4. Wie stehen Sie zur Frage z.B. Physiotherapien etc. nach OP´s auf den ambulanten Sektor zu verschieben und damit ein weiteres Kliniksterben, hier der Rehabilitationskliniken, zu verantworten?

vielen Dank im Voraus für Ihre Antworten.
Mit freundlichem Gruß
Heidemarie Hille

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Hille,

vielen Dank für Ihre Fragen. Ich beantworte sie Ihnen im Folgenden sehr gerne.

Zu Frage 1:
Sie haben Recht mit Ihrer Beobachtung, dass in den letzten vier Jahren viel zu wenig im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung getan wurde. Das hat die schwarz-gelbe Bundesregierung und insbesondere der Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zu verantworten!
Er hat das dringend notwendige Präventionsgesetz vor sich her geschoben und das Thema stiefmütterlich behandelt. Auf den letzten Metern hat die Bundesregierung dann einen Gesetzentwurf zur Prävention vorgelegt, der den Namen nicht verdient hat. Er wurde bei der öffentlichen Anhörung von zahlreichen Expertinnen und Experten scharf und zu Recht kritisiert.
Ich vertrete die Ansicht, dass gesundes Aufwachsen, ein gesundes Lebens- und Arbeitsumfeld und möglichst gesund alt zu werden, nicht länger von der sozialen Lage abhängen dürfen. Deshalb werden wir als SPD Prävention und Gesundheitsförderung zu Schwerpunkten unserer Politik machen. Und wir werden dabei den gesetzlichen Auftrag nach § 20 SGB V, dass Prävention und Gesundheitsförderung einen Beitrag zur Verringerung ungleich verteilter Gesundheitschancen leisten soll, berücksichtigen.
Wir wollen mit einem umfassenden Präventions- und Gesundheitsförderungsgesetz in der nächsten Wahlperiode eine wirksame Präventionsstrategie umsetzen. Insbesondere Prävention in Lebenswelten wie Kita, Schule und Arbeitswelt muss ausgebaut werden, um sozial ungleiche Gesundheitschancen auszugleichen. Dazu gehört eine Erhöhung der Ausgaben für Prävention und eine Steuerung gemeinsamer Maßnahmen von Ländern, Kommunen und allen Sozialversicherungsträgern auf der Ebene der Länder.
Darüber hinaus setzt sich die SPD dafür ein, dass die Bürgerversicherung als Krankenvoll- und Pflegeversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt wird. Dazu werden wir für alle Kassen, die an der Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege teilnehmen, einen einheitlichen und solidarischen Wettbewerbsrahmen schaffen. Mit der Bürgerversicherung halten wir an einem gegliederten, öffentlich-rechtlichen und selbstverwalteten Kassensystem als tragender Säule der gesetzlichen Krankenversicherung fest. Wir wollen es stärken. Für alle Neu- und bislang gesetzlich Versicherten wird die Bürgerversicherung verbindlich eingeführt. Menschen, die bisher privat versichert sind, können für ein Jahr befristet wählen, ob sie wechseln wollen.
Wir wollen in der Bürgerversicherung die Solidarität zwischen den hohen und den niedrigen Einkommen stärken. Und Arbeitgeber sollen wieder den gleichen Beitrag leisten wie Beschäftigte, die tatsächliche Parität muss wiederhergestellt werden. Wir werden mehr Nachhaltigkeit durch die Einführung einer stetig ansteigenden Steuerfinanzierung erreichen. Wir werden den Zusatzbeitrag abschaffen und den Krankenkassen die Beitragssatzautonomie zurückgeben. Unser Ziel ist, für alle einen gleich guten Zugang zu medizinischer Versorgung zu schaffen und Privilegierungen im Gesundheitssystem abzubauen, also die Zwei-Klassen-Versorgung beenden.

Zu Frage 2:
Wir haben aktuell ca. 130 gesetzliche Krankenkassen in Deutschland. Im Jahr 2005 waren es mit 267 noch doppelt so viele. Es werden also schon deutlich weniger.
Bei den 130 Krankenkassen handelt es sich um eine bunte Vielfalt an Kassen: u.a. die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK), die Ersatzkassen (z.B. BARMER/GEK und Techniker Krankenkasse), die Betriebskrankenkassen und die Innungskrankenkassen (IKK). Historisch gesehen, haben alle Kassenarten ihre Berechtigung. Denn sie waren ursprünglich an die Bedürfnisse des Versichertenklientels angepasst: hatte beispielsweise ein Unternehmen eine eigene Betriebskrankenkasse, so waren alle Beschäftigten dort versichert und die Krankenkasse konnte speziell auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden Angebote und Leistungen bereithalten.
Erst seit 1996 gibt es die freie Wahl der Krankenkassen. Jede/r kann sich also dort versichern, wo er oder sie möchte. Mit dieser politischen Entscheidung hat der Wettbewerb um Versicherte enorm zugenommen. Viele Krankenkassen haben seitdem fusioniert, was aber auch noch andere Gründe hat.
Wenn Sie in den Zeitungen lesen, dass ein Krankenkassen-Vorstand ca. 200.000€ im Jahr verdient, kann ich verstehen, dass Sie sich darüber wundern. Auch ich finde, dass das viel Geld ist. Jedoch darf man die Verantwortung und die Masse an Aufgaben, die Krankenkassenvorstände zu bewältigen haben, nicht unterschätzen. Und die Vorstandsgehälter sind gemessen an den Gesamtausgaben der Kassen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn eine mittelgroße Krankenkasse ca. 1 Millionen Versicherte hat, so beteiligt sich jeder mit 20 Cent an dem Vorstandsgehalt. Die großen Ausgabenblöcke im Gesundheitswesen sind die Krankenhäuser, die Arzneimittelversorgung und der ambulante Sektor.
Ich gehe davon aus, dass die Anzahl der Krankenkasse noch etwas schrumpfen wird und sich dann auf dem Niveau einpendelt.

Zu Frage 3:
Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir uns intensiv mit dem Krankenhaussektor und den bevorstehenden Herausforderungen in diesem Bereich auseinandergesetzt. Ich möchte beispielshaft auf ein paar unserer Vorschläge eingehen, um die stationäre Versorgung innovativ, effizient und patientenorientiert gestalten zu können:
Im Bereich der Finanzierung sind wir für die weitere Angleichung der Landesbasisfallwerte an einen bundeseinheitlichen Basisfallwert sowie für die Gewährung von Sicherstellungszuschlägen nach bundeseinheitlich geltenden Kriterien.
Wir wollen ökonomisch motivierte Mengensteigerungen stoppen und verhindern und die Weiterentwicklung der Qualitätsmessung und Qualitätssicherung, z.B. der Krankenhaus-Qualitätsberichte und der BQS-Daten vorantreiben. Ebenso wollen wir uns für einen verbindlichen Anspruch auf ein Zweitmeinungsverfahren vor planbaren Operationen einsetzen. Außerdem sollen Patientinnen und Patienten nach jedem Eingriff einen Patientenbrief in allgemein verständlicher Sprache erhalten.
Sehr wichtig sind uns verbindliche bundeseinheitliche Mindestpersonalstandards und die Implementierung eines Frauenförderplans in den Krankenhäusern.
Das gesamte Positionspapier zur Krankenhausreform können Sie hier nachlesen:
http://www.spdfraktion.de/veroeffentlichungen

Zu Frage 4:
Ich kann einen direkten Zusammenhang zwischen ambulant tätigen Physiotherapeuten und –therapeutinnen und dem von Ihnen beschriebenen Kliniksterben derzeit nicht erkennen. Physiotherapeuten und -therapeutinnen haben im ambulanten Sektor durchaus ihre Berechtigung. Denn sie bieten den Menschen wohnortnah die Versorgung, die sie benötigen. Wenn Menschen in ihrer gewohnten Umgebung sind und ihre sozialen Kontakte um sich herum haben, werden sie auch schneller gesund. Das haben viele wissenschaftliche Studien gezeigt.

Mit freundlichen Grüßen
Steffen-Claudio Lemme, MdB