Frage an Rudolf Henke von Dr. Lienhard W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag, lieber Henke!
Alle Parteien machen sich stark für den Mittelstand. Besonders die CDU. Das ist gut so. Aber wie kommt es dann, daß der Mittelstand trotzdem seit Jahrzenten schrumpft wie Eis in der Sonne?
Meine Frage an Sie bezieht sich auf AMBULANTE ARZTPRAXEN. Offenbar ist eine mächtige Lobby der Medizinkonzerne dabei, unser Gesundheitssystem in aller Stille radikal umzubauen.
Ich zitiere aus einem Stellenangebot, in dem ein Konzern für den „GESCHÄFTSBEREICH AMBULANTE MEDIZIN“ einen Vertriebsmanager sucht. Seine Aufgabe: die „AKQUISE UND INTEGRATION NEUER PRAXEN“ in die Konzernstruktur. Mit anderen Worten: der neue Mann soll unabhängige Arztpraxen aufkaufen und in den Konzern integrieren.
Das Aufkaufen von freien Arztpraxen durch Medizinkonzerne hat schwerwiegende Folgen. Aus selbständigen Ärzten werden Angestellte, die den Anweisungen des Konzerns (z. B. Helios mit allein in Deutschland 80 Kliniken und einem Konzernumsatz von 6 Milliarden Euro) gehorchen müssen.
Mit der Unabhängigkeit der Ärzte geht wieder ein Stück Mittelstand verloren. Die Ärzte, die ihre Unabhängigkeit verloren haben, werden laut Stellenanzeige herangezogen zur regelmäßigen „BESPRECHUNG DER MONATSABSCHLÜSSE UND DER WIRTSCHAFTLICHEN ENTWICKLUNG“. In QUARTALS-/MONATSGESPRÄCHEN müssen die Ärzte jede Entscheidung rechtfertigen, ob sie im Sinne der Konzerns ist.
Die Folgen für Deutschland sind: Die freien Arztpraxen werden wirtschaftlich ausgebremst, viele werden Pleite gehen. Mit den unabhängigen Ärzten verschwindet nicht nur die medizinische Vielfalt und Wahlfreiheit.
Die konzerneigenen Ärzte sind auch angewiesen, ihre Patienten in konzerneigene Kliniken zu überweisen. So höhlen die Medizinkonzerne schleichend auch die freie Arztwahl aus.
Daher meine Frage als Patient an Sie: Wie steht die CDU zu dieser Tendenz? Was tut sie praktisch, um die freie Ärzteschaft zu stützen?
Beste Grüße
Lienhard Wawrzyn
Sehr geehrter Herr Dr. W.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Zeilen, die sich auf die zunehmende Präsenz von Finanzinvestoren in den ambulanten Versorgungsstrukturen unseres Gesundheitswesens beziehen.
Die ambulante Versorgung durch niedergelassene Ärzte und Zahnärzte erfolgt in Deutschland in verschiedenen Organisations- und Rechtsformen. Nach der Lektüre Ihres Textes nehme ich an, dass es hier insbesondere um die 2004 geschaffene Betriebsform des medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) geht. Deren gesetzliche Gründungs- und Zulassungsbedingungen sind in § 95 SGB V („Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung“) definiert und in den vergangenen Jahren mehrfach überarbeitet worden. Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz von 2012 reagierte auf die zunehmenden Gründungsaktivitäten von Investoren ohne fachlichen Bezug zur medizinischen Versorgung und schloss unter anderem fachfremde Leistungserbringer sowie die Aktiengesellschaft als zulässige Rechtsform aus. Durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz von 2015 sind MVZ-Gründungen durch Kommunen und die Gründung von arztgruppengleichen Zentren möglich, zum Beispiel rein hausärztlicher MVZ. Heute sind folgende Akteure gründungsberechtigt: zugelassene Ärzte, zugelassene Krankenhäuser, Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen, bestimmte gemeinnützige Träger, anerkannte Praxisnetze und wie gesagt Kommunen.
Zuletzt über neue Regulierungserfordernisse beraten hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu Jahresbeginn 2019 – im Zusammenhang mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hatte sich dabei im Bundesrat für weitergehende Maßnahmen gegen die zunehmende Monopolbildung eingesetzt. Zu den Vorschlägen aus Nordrhein-Westfalen zählte unter anderem die Stärkung von regionalen Ärztenetzen, um diesen bei Bedarf grundsätzlich die MVZ-Gründung aus der Hand der Ärzteschaft zu gestatten. Zudem regte der Bundesrat gegenüber dem Deutschen Bundestag an, räumlich-regionale und weitere fachliche Beschränkungen im MVZ-Betrieb einzuführen. Nach dieser Argumentation sollte etwa nicht mehr zulässig sein, dass ein Krankenhaus ein eigenes MVZ in großer räumlicher Entfernung betreibt. Zudem schlug der Bundesrat wegen der teils offensichtlichen Fokussierung auf besonders lukrative Leistungen vor, die Sitzvergabe mit Verpflichtungen für ein bestimmtes, grundversorgendes Leistungsspektrum zu verknüpfen. Leider hat sich diese Sicht in den parlamentarischen Beratungen zum TSVG nur teilweise durchgesetzt. Beschlossen und seit Mai 2019 in Kraft sind aber deutlich enger gefasste Gründungskriterien für zahnmedizinische Versorgungszentren durch Krankenhäuser. Außerdem dürfen Erbringer von solchen Dialyseleistungen, die nicht ärztlicher Natur sind, seither nur noch fachbezogene MVZ gründen. Meines Erachtens bleiben weitere Maßnahmen notwendig, um der schleichenden Industrialisierung des Gesundheitswesens entgegenzuwirken.
Klaus Holetschek, Präsident des Kneipp-Bundes und prominenter CSU-Gesundheitspolitiker im Bayerischen Landtag, hat Mitte Januar folgenden Trend skizziert: „Wenn der Ausverkauf der Facharztpraxen an Kapitalgesellschaften so weiter geht, werden wir in Deutschland in wenigen Jahren keine freien Facharztpraxen mehr haben, sondern rein gewinnorientierte Kapitalunternehmen, die die Versorgung zugunsten von Profit verschlechtern und rationieren.“ Eine solche Entwicklung dürfen wir nicht hinnehmen. Daher begrüße ich es sehr, dass das Bundesministerium für Gesundheit vor wenigen Tagen ein externes Gutachten zur Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen von MVZ in Auftrag gegeben hat. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit diesem Gutachten eine Chance haben werden, die Debatte über Organisations- und Trägerstrukturen neu zu führen. Unabhängig davon sehe ich mich der Aufgabe verpflichtet, allen nachrückenden Ärztinnen und Ärzten den Stellenwert ihrer Freiberuflichkeit im Sinne der Bundesärzteordnung vor Augen zu führen.
Mit freundlichen Grüßen
Rudolf Henke MdB