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Frage von Peter M. •

Frage an Rainer Spiering von Peter M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Spiering,

Im Folgenden gehe ich auf einen aus meiner Sicht zentralen und in keiner Weise akzeptablen Punkt des am Donnerstag zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurf zur „Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ ein:

Obwohl die Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 31 Abs. 1 GFK) die Inhaftierung von Schutzsuchenden untersagt, ist diese in Deutschland gängige Praxis. Das geplante Gesetz sieht sogar noch eine Ausweitung vor. Es sieht vor, Schutzsuchende allein aus dem Grund zu inhaftieren, weil sie aus einem anderen Dublin-Staat eingereist sind, bevor dort über ihren Asylantrag entschieden worden ist (§ 2 Abs. 15 Satz 2). Da Deutschland von diesen Staaten umgeben ist, träfe dies den Großteil der Geflüchteten, die unter die Dublin-III-Verordnung fallen. Hierbei würde das Gesetz gegen die Dublin-III-Verordnung selbst verstoßen (§ 28 Abs. 1 der Dublin-III-VO).
Außerdem sollen Geflüchtete u.a. inhaftiert werden können, wenn sie ihre Identitätspapiere vernichtet, „eindeutig unstimmige oder falsche Angaben gemacht“ oder zu ihrer „unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge für einen ‚Schleuser‘ aufgewandt“ haben. All dies seien Anhaltspunkte für „Fluchtgefahr“ – zynischer hätte es der Gesetzgeber kaum formulieren können. Hier drängen sich die Fragen auf: Wer entscheidet eigentlich darüber, was „eindeutig unstimmige oder falsche Angaben“ sind? Wie sollen Geflüchtete ohne Fluchthelfer*innen nach Europa gelangen, wenn keine legalen Einreisewege bestehen?

Sehr geehrter Herr Spiering, mit diesem Appell reihen ich mich ein in die Stellungnahmen von Amnesty International, Pro Asyl, UNHCR, terre de femmes, kritnet und weiteren Organisationen. Ich fordere Sie ausdrücklich dazu auf: Setzen Sie sich ein für
• die besondere Schutzbedürftigkeit von minderjährigen Geflüchteten,
• legale Fluchtwege nach Deutschland,
• Bleiberecht statt Inhaftierung.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Müller

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für ihre Frage.

Am 2. Juli 2015 hat der Deutsche Bundestag den betreffenden Gesetzentwurf abgestimmt. Bei der Abstimmung habe ich mich aus Gewissensgründen enthalten.
Für mich ist klar: Kompromisse sind elementarer Bestandteil einer Demokratie. Wer etwas erreichen möchte, muss Verhandeln und Zugeständnisse machen. Insofern ist das Gesetz ein Kompromiss.
Im Gesetzentwurf konnten wichtige, im Rahmen des Koalitionsvertrages vereinbarter humanitäre Forderungen, umgesetzt werden, wie etwa der alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete bei nachhaltiger Integration - ein Ziel, dass wir seit Beginn der Verhandlungen zum Zuwanderungsgesetz vor über einem Jahrzehnt kontinuierlich verfolgt haben. Voraussetzung für die Bleiberechtsregelung ist für Alleinstehende ein mindestens achtjähriger Voraufenthalt. Für Eltern minderjähriger Kinder reichen sechs Jahre. Dabei hat die SPD-Bundestagsfraktion gegenüber dem Koalitionspartner CDU/CSU durchgesetzt, dass die Betroffenen keine volle Lebensunterhaltssicherung nachweisen müssen, wie sie im Aufenthaltsrecht sonst üblich ist, sondern nur eine überwiegende. Das betrifft insbesondere Antragsteller, die im Niedriglohnsektor tätig und auf aufstockende SGB II-Leistungen angewiesen sind. Auch diese bekommen jetzt eine dauerhafte Perspektive in unserem Land. Ergänzend schaffen wir eine noch günstigere Regelung für Jugendliche und Heranwachsende bis zum 21. Lebensjahr. Hier reicht ein vierjähriger Voraufenthalt. Dieser vorliegende Kompromiss war nach langen Verhandlungen das Maximum, was wir als SPD für die betroffenen Flüchtlinge herausholen konnten.

Obwohl die SPD auch einige Kompromisse eingehen musste: Das neue Gesetz pauschal als Asylrechtsverschärfung zu verurteilen entspricht schlicht nicht den Tatsachen. An vielen Stellen konnten wir Verbesserungen ins Gesetz einbringen. Es lockert die geltenden Bestimmungen und schafft neue Perspektiven für viele Flüchtlinge die zu uns nach Deutschland kommen und um unsere Hilfe bitten. Zu den erheblichen Verbesserungen gegenüber den bestehenden Regelungen zählen:

* Einführung einer allgemeinen alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung für langjährige Geduldete (neuer §25b).
Das ist eine wesentliche Verbesserung, auf der die SPD bereits im Koalitionsvertrag bestanden hatte. Zehntausende Geduldete werden voraussichtlich davon profitieren. Unabhängig vom Einreisedatum oder Alter hat nun jede/-r Geduldete nach 8 bzw. 6 (mit minderjährigen Kindern) Jahren Aufenthalt und bei nachhaltiger Integration (z.B. Deutschkenntnisse) ein Bleiberecht.

* Erweitertes Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche (§25a und §60a)
Für gut integrierte Jugendliche wurde das Bleiberecht erweitert: Es gilt jetzt für junge Flüchtlinge bis zum 21. Lebensjahr (davor Einreise bis 14 Jahre); der Voraufenthalt wurde von 6 auf 4 Jahre herabgesetzt. Zusätzlich konnten wir einen neuen § 60a durchsetzen, in der ausdrücklich eine Ausbildung als Duldungsgrund verankert wird. Dies schafft Rechtssicherheit für Arbeitgeber bei der Einstellung von Geduldeten und Asylsuchenden mit offenem Verfahrensausgang.

* Verbesserungen für Resettlement-Flüchtlinge
Die im Koalitionsvertrag vorgesehene Verstetigung der Verfahren wurde damit umgesetzt. Resettlement-Flüchtlinge erhalten außerdem Zugang zu BAföG und werden bei Familiennachzug und Aufenthaltsverfestigung (Niederlassungserlaubnis nach drei Jahren) mit Asylberechtigten und Flüchtlingen nach Genfer Konvention gleichgestellt.

* Verbesserungen für Opfer von Menschenhandel
Aus den bisherigen Kann-Regelungen zur Erteilung von Asyl konnte eine Soll-Regelung gemacht werden, die Zeitspannen für die Befristung verlängern, einen erhöhten Ausweisungsschutz durchsetzen und Familiennachzug ermöglichen.

* Neue Aufenthaltserlaubnis zur Anerkennung eines ausländischen Abschlusses
* Verfestigung humanitärer Aufenthaltstitel,
Aufenthaltstitel, die nicht Asylberechtigung, Flüchtlingseigenschaft nach Genfer Konvention oder subsidiärer Schutz sind, waren bisher schlechter gestellt bei Erteilung der Niederlassungserlaubnis (sieben statt fünf Jahre). Die Niederlassungserlaubnis wird jetzt, wie auch bei den anderen Titeln, nach fünf Jahren vergeben.

Die zunehmende Verschlechterung der weltweiten Menschenrechtslage, insbesondere durch zahlreiche bewaffnete Konflikte in der unmittelbaren europäischen Umgebung, erfordert von Deutschland ein deutliches Bekenntnis zu einer Asylpolitik, die die Betroffenen im Zentrum sieht. Trotz der humanitären Verbesserungen, die die SPD-Bundestagsfraktion im Gesetzgebungsverfahren durchsetzen konnte, gibt es auch einige kritikwürdige Punkte.
So wurde beispielsweise im Asylrecht die Ausweisungsgründe auf Drängen der Union verschärft, z.B. wenn eine Person zu Hass auf die Bevölkerung aufruft und dabei auf Kinder und Jugendliche einwirkt. Dieser Passus gilt jetzt auch für das Einwirken auf Erwachsene. Im Gegenzug dazu konnte die SPD jedoch eine Entschärfung im Ausweisungsrecht für Minderjährige und Opfer von Menschenhandel durchsetzen.
Ein viertägiges Ausreisegewahrsam wurde neu geschaffen und bleibt meiner Ansicht nach kritisch. Leider hat die Unionsfraktion diesen Punkt zur Bedingung für das gesamte Gesetz gemacht. Es bleibt die Hoffnung, dass dadurch wenigstens Nacht- und Nebel-Abschiebeaktionen seltener werden.
In den Bereichen der Einreise- und Aufenthaltssperre musste die SPD Zugeständnisse machen, konnte jedoch durch einige rechtliche Klarstellungen verhindern, dass die neuen Bleiberechtsregelungen durch Einreise- und Aufenthaltssperren konterkariert werden: Verbote werden nicht bei unverschuldeten Duldungsgründen verhängt und sollen beim Vorliegen von Voraussetzungen für die Bleiberechtsregelung oder anderen humanitären Aufenthaltstiteln aufgehoben werden. Die Sperren wurden darüber hinaus auf ein absolutes Minimum reduziert und umfassen nunmehr lediglich Personen aus sicheren Herkunftsstaaten und Personen, deren zweiter Asylfolgeantrag abgelehnt wurde.
Die CDU hatte bereits bei den Koalitionsverhandlungen auf eine Verschärfung des Ausweisungsrechtes bestanden und hätte ohne diese jede Verbesserung für Asylsuchende und Geduldete blockiert. Wenn auch, meinem Verständnis nach, einige Neuregelungen problematisch sind, halte ich es für unwahrscheinlich, dass das Gesetz zu deutlich mehr Abschiebungen führt. Aber es ist eben auch möglich, dass wir zukünftig wieder mehr Menschen in Abschiebegefängnissen sehen werden. Wir Sozialdemokraten werden die Auswirkungen des Gesetzes deshalb genau beobachten.
Mit all diesen Verbesserungen hat die SPD dem Gesetz ihren erkennbaren Stempel aufgesetzt.

Dennoch konnte ich den Gesetzentwurf nicht mittragen und habe mich, wie bereits gesagt, bei der Abstimmung im Bundestag enthalten. Mich stört besonders die, auch von Ihnen angesprochene, Kriminalisierung der Flüchtlinge, da Zahlungen an Schleuser als Grund für eine Abschiebehaft gelten. Auch sehe ich die Regelungen bezüglich minderjähriger Geflüchteter; die Ausweitung von Haftgründen sowie die starke Diskriminierung von Schutzsuchenden aus den sogenannten "sicheren" Herkunftsstaaten des Westbalkans kritisch.

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Spiering, MdB