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Nadja Hirsch
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Frage von Herbert L. •

Frage an Nadja Hirsch von Herbert L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Hirsch,

nachdem wir vom geplanten "Handelsabkommen" ACTA erfahren haben, waren wir sehr schockiert über die weitreichenden Zensurmöglichkeiten dieses Vertrages, sowie die sehr undemokartische Enstehungsgeschichte. Damit kann ja jeder unbescholtene Bürger plötzlich und ohne dass er es weiß zum "Straftäter" werden. Zudem müssten die Provider "Internetpolizei" spielen.
Deswegen möchte ich wissen, WAS SIE ÜBER DAS ACTA-ABKOMMEN WISSEN, WIE SIE ES BEWERTEN UND wie SIE SELBST DANN bei der bevorstehenden Abstimmung über diesen Vertrag abstimmen werden.

Ich bedanke mich schon heute für Ihre baldige Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Herbert Lohmeyer

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Lohmeyer,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum "Anti-Counterfeiting Trade Agreement" (ACTA).

Wie die anderen Fraktionen des Europäischen Parlaments auch, befindet sich die liberale Fraktion (ALDE) derzeit im Meinungsbildungsprozess. Es wurde noch keine finale Position beschlossen.

Ich verstehe die von Ihnen geäußerten Sorgen, würde Sie jedoch gerne bitten, konkret auf die Artikel des Abkommens hinzuweisen, auf die sich ihre Befürchtungen beziehen.

Die FDP im EP hat sich seit mehreren Jahren mit dem Abkommen beschäftigt. Speziell mein Kollege Alexander Alvaro (siehe unten) hat sich im Namen unserer Delegation und der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und wäre Ihr Ansprechpartner. Dennoch möchte ich Ihnen gerne einige Informationen über die Aktivitäten hinsichtlich ACTA im Europäischen Parlament mitgeben.

Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hat das Europäische Parlament das Recht, internationale Abkommen, die durch die EU-Kommission verhandelt werden, anzunehmen oder abzulehnen.

Bereits wenige Wochen nach dem Inkrafttreten des Lissabonvertrags haben wir auf die Gefahren des ACTA-Abkommens hingewiesen und die in Ihrer Mail erwähnten Punkte angesprochen.

Um den Druck auf die Verhandlungen zu erhöhen haben wir 2010:
o mehrere Anfragen an die EU-Kommission gerichtet
§ E-0147/10: Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA)
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+WQ+E-2010-0147+0+DOC+XML+V0//DE
§ E-010962/10: ALVARO - ACTA anti-circumvention provisions
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+WQ+E-2010-010962+0+DOC+XML+V0//DE
o eine Pressekonferenz abgehalten
o mehrere Pressemitteilungen verfasst
§ Wird ACTA das nächste SWIFT? (24.02.2010 )
http://www.alexander-alvaro.de/archives/734/alvaro-wird-acta-das-naechste-swift
§ ACTA - Another Crazy Treaty Agreed? (10.03.2010)
http://www.alexander-alvaro.de/archives/830/alvaro-acta-another-crazy-treaty-agreed
§ Mehr Transparenz bei ACTA Verhandlungen erreicht (21.04.2010)
http://www.alexander-alvaro.de/archives/1011/alvaro-mehr-transparenz-bei-acta-verhandlungen-erreicht
§ Europaparlament bleibt bei ACTA wachsam (07.09.2010)
http://www.alexander-alvaro.de/archives/1203/alvaro-europaparlament-bleibt-bei-acta-wachsam
o einen Entschließungsantrag mitverfasst
§ Entschließungsantrag zur Transparenz und zum Stand der Verhandlungen über das ACTA (9.3.2010)
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=MOTION&reference=P7-RC-2010-0154&language=DE
o eine Anhörung organisiert, die auch online übertragen wurde
§ ALDE Hearing on ACTA (06.04.2010)
http://www.youtube.com/watch?v=8OvnG_5R2oI&feature=related
o eine Schriftliche Erklärung lanciert, die vom EP angenommen wurde und unter anderem die Kritikpunkte erhält, die Sie auch in Ihrem Schreiben erwähnen.
§ Schriftliche Erklärung 12/2010 zu dem intransparenten Prozess und dem möglicherweise zu beanstandenden Inhalt des Abkommens zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (ACTA) (09.09.2010)
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?reference=P7_TA(2010)0317&language=DE

Wir waren war sowohl mit der Art, wie die Verhandlungen geführt wurden, als auch mit dem Inhalt des Abkommens höchst unzufrieden. In dem Vertragsentwurf waren damals die Einführung verpflichtender Internetzugangssperren ("three strikes Modell"), Dritthaftung für Internetserviceprovider, sowie die Möglichkeit der Überprüfung der Inhalte von Laptops bei internationalen Reisen enthalten. Wir hatten deshalb davor gewarnt, dass ACTA zum Akronym für "Another Crazy Treaty Agreed" wird und bezweifelt, dass mit ACTA insgesamt Verbesserungen und sinnvolle Veränderungen für die Europäische Union, ihre Bürger, Unternehmen und Künstler erzielt werden.

Ich glaube, dass ihre Kritik dem Stand unserer öffentlichen Kritik aus dem Jahre 2010 entspricht. Ich muss Ihnen jedoch mitteilen, dass es uns gelungen ist, bis zum Abschluss der Verhandlungen die EU-Kommission hinsichtlich der Gefahren der möglichen Einschränkung bürgerlicher Freiheiten zu überzeugen und die kritisierten Punkte aus dem Abkommen zu entfernen.

Ihre Sorgen stimmen mich nachdenklich, da sie den politischen Sorgen der FDP entsprechen. Die FDP war und bleibt Garant der Freiheit des Internets. Wie Sie anhand der oben erwähnten Dokumente erkennen können, haben wir die gleichen Gefahren, wie auch Sie gesehen.

Unserer Analyse nach enthält ACTA heute nur Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte zum Schutz des geistigen Eigentums und keine Bestimmungen, die die materiellen Rechtsvorschriften der EU über die Rechte zum Schutz des geistigen Eigentums ändern. Es erfordert keine Änderungen am gemeinschaftlichen Besitzstand. Es bietet erstmalig einen umfassenden internationalen Rahmen, der die Vertragsparteien bei ihren Bemühungen unterstützen soll, die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums wirksam zu bekämpfen. Hierzu möchte ich Sie auf den "Fakten-Check" meines Kollegen Alexander Alvaro hinweisen, den Sie hier einsehen können: http://www.alexander-alvaro.de/wp-content/uploads/2012/02/ACTA-Faktencheck_-Alexander-Alvaro-MdEP.pdf

ACTA entspricht der aktuellen Rechtslage in Deutschland. Eine Umsetzung der deutschen Rechtslage auf internationaler Ebene ist im Interesse Deutschlands. Eine Harmonisierung im Bereich des Schutzes des geistigen Eigentums, bei der die deutsche und europäische Gesetzgebung international "exportiert" wird, ist positiv zu bewerten. Eine internationale Harmonisierung bringt mehr Sicherheit für europäische Unternehmen und Verbraucher. Die verstärkte internationale Kooperation kann dazu beitragen, unter anderem gefälschte Babynahrung, gefälschte Autobremsen oder gefälschte Medikamente zum Schutz der Verbraucher von den europäischen Märkten fernzuhalten.

Das Abkommen enthält keine Punkte mehr, die die Freiheit des Internets einschränken. Weder das Justizministerium, noch die EU-Kommission oder der juristische Dienst des Europäischen Parlaments sehen heute eine Notwendigkeit, europäische oder deutsche Gesetze aufgrund dieses Abkommens zu ändern.

Daher wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns konkret mitteilen könnten, in welchen Artikeln Sie noch Probleme erkennen. Wir werden diese nochmals prüfen. Ich bitte Sie jedoch auch, das Abkommen ( http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/11/st12/st12196.de11.pdf ) genau zu studieren und vorgelegten Analysen nicht unkritisch zu vertrauen. Die Freiheit des Internets ist zu wichtig, um sich nicht selbst eine Meinung aufgrund der Faktenlage zu bilden.

Mit freundlichen Grüßen,

Nadja Hirsch