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Frage von Ottmar M. •

Frage an Marina Schuster von Ottmar M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Frau Schuster,
warum setzen Sie sich nicht öffentlich für die Freilassung des US-Soldaten B. Manning ein, der mit der Weitergabe von diversem Material die Verbrechen der US-Armee im Irak und in Afghanistan öffentlich gemacht hat. Dies ist auf diversen Internetplattformen einsehbar und war Thema zahlreicher Zeitungs- und Fernsehberichte. In den USA soll er wegen Hochverrat vor Gericht gestellt werden, einflussreiche Stimmen fordern die Todesstrafe. Warum fordern Sie nicht seine Freilassung? Müssten nicht statt Manning die militärisch und politisch Verantwortlichen für diese Verbrechen vor Gericht? Selbst Vertreter der US-Regierung haben ja inzwischen zugegeben, dass die Weltöffentlichkeit über die Kriegsgründe getäuscht wurde. Die US-Justiz konnte hier bislang nicht überzeugen. Allein die Tatsache, dass Belgien sein Kriegsverbrechergesetz ändern musste, weil Ex-Minister Rumsfeld Angst hatte, dort als Kriegsverbrecher verhaftet und vor Gericht gestellt zu werden, ist ein Offenbarungseid und eine schallende Ohrfeige für die US-Justiz, die keinen Handlungsbedarf sieht.
Sie kritisieren den Prozess gegen Chordokowski, obwohl dessen Vermögen - auch bei wohlwollender Betrachtung – kaum unter rechtsstaatlichen Umständen erworben sein dürfte. Sie kritisieren den Umgang mit chinesischen Regimekritikern. Warum nicht den Umgang der US-Behörden mit Manning? Ich werde darüber hinaus den Eindruck nicht los, dass viele unserer Damen und Herren Abgeordneten, die fortwährend Russland, China, Weißrussland, Kuba, Birma, Iran usw. kritisieren, im Fall Manning eher ihr Mißfallen über die Veröffentlichung dieser Dokumente äußern, statt die dort dokumentierten Verbrechen anzuprangern und deren Ahndung zu fordern. Oder haben die US-Truppen im Irak bzw. Afghanistan keine Verbrechen begangen?

O. Müller

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Sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für Ihre Nachricht vom 19.12.2011.

Obschon ich mich für Ihr Engagement in der Angelegenheit um Bradley Manning bedanke, teile ich Ihre Schlussfolgerung nicht. Ausgehend von meinem Verständnis der komplexen Sachlage des Falls müssen die verschiedenen Sachverhalte, die Sie hier benennen, strikt voneinander getrennt werden.

Der Fall Bradley Manning wird sehr kontrovers diskutiert. Ihrer Forderung nach einer Freilassung Mannings schließe ich mich – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt - nicht an, da ich mich mangels Einsicht in die Ermittlungsakten nicht in der Lage sehe, die ihm zur Last gelegten Vorwürfe rechtlich zu beurteilen. Eine ähnlich unvollständige Kenntnis der Sachlage darf ich für Sie annehmen. Die Sachverhaltermittlung und deren rechtliche Bewertung sowie die Aussprache einer Rechtsfolge sind ja gerade Aufgabe und Ziel eines rechtstaatlichen Verfahrens. Bislang habe ich noch keine Kenntnisse darüber erhalten, dass das Gerichtsverfahren als solches, dh das Verfahren in der Hauptverhandlung vor dem Militärgericht, rechtsstaatlichen Maßstäben nicht genügen würden.

Gleichwohl hat der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestags ausdrücklich und mit Nachdruck die Umstände der Untersuchungshaft von Herrn Manning kritisiert. Deshalb habe ich, gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestags, gegen die Haftbedingungen von Bradley Manning protestiert. Mit unserem Brief an US-Präsident Barack Obama vom 12. April 2011 haben wir appelliert, eine humane Unterbringung von Bradley Manning sicherzustellen. Das Schreiben können Sie abrufen unter folgendem Link: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a17/brief_obama.pdf

Diese Vorgehensweise steht auch in logischer Konsequenz mit meinem Vorgehen in Sachen Michail Chodorkowski, den Sie ebenfalls erwähnen. Meine Kritik an den Prozessen gegen Michail Chodorkowski und Platon Lebedew erfolgt ganz bewusst unabhängig von der Art und Weise wie deren Vermögen erlangt wurde. Unabhängig wie die beiden Herren zu ihrem Vermögen gekommen sind - selbst wenn dies rechtswidrig erfolgt sein mag, was ich nicht beurteilen vermag -, so müssen dennoch für beide Personen – wie für jeden anderen Bürger auch - rechtsstaatliche Verfahren garantiert werden. Die zahlreichen rechtsstaatlichen Defizite finden Sie im Bericht von Frau Leutheusser-Schnarrenberger für die Parlamentarische Versammlung des Europarates (http://www.leutheusser-schnarrenberger.de/politik/europarat/der-fall-chodorkowski). Ich fordere eine rechtsstaatliche Prozessordnung sowie deren Einhaltung – eine freie und unabhängige Gerichtsbarkeit.

Abschließend wende ich mich gegen Ihre hervorgebrachte Mutmaßung, dass ich als Abgeordnete lediglich einseitig kritisieren würde. Es ist richtig, dass ich das menschenrechtswidrige Vorgehen der belarussischen, kubanischen und iranischen Behörden anprangere, kritisiere und dessen Beendigung fordere – und dies auch zu Recht. Denn die Unterdrückung von universell geltenden Menschenrechten erfolgt in diesen Staaten leider immer noch zu Hauf.

Es muss Ihnen allerdings entgangen sein, dass ich sehr wohl auch die USA kritisiere. Mein unnachlässiger Kampf gegen die dortige Praxis von Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe beweist, dass ich nicht „auf dem einen Auge blind“ bin, wie Sie unterstellen. Exemplarisch möchte ich hier auf unseren Koalitionsantrag „Todesstrafe weltweit ächten und abschaffen“ hinweisen, welchen Sie hier abrufen können: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/023/1702331.pdf

Mit Blick auf die USA verweise ich ebenfalls nicht abschließend auf meine folgende Pressemitteilung zum Fall Troy Davis: http://www.marina-schuster.de/content/schuster-todesurteil-gegen-troy-davis-nicht-vollstrecken-todesstrafe-abschaffen

Ergänzend möchte ich noch aufs Völkerstrafrecht eingehen. Deutschland ist ein maßgeblicher Unterstützer des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Es ist ein Erfolg der deutschen Delegation unter Leitung von Markus Löning gewesen, dass bei der Überprüfungskonferenz in Kampala 2010 Strafbarkeitslücken geschlossen wurden. (Wir haben damit diese Forderung aus dem Koalitionsvertrag wortwörtlich erfüllt.) Darüber hinaus setze ich mich bei amerikanischen Gesprächspartnern immer wieder dafür ein, dass die USA endlich dem Rom-Statut beitreten.

Ich danke Ihnen nochmals für Ihr Interesse in dieser wirklich wichtigen Angelegenheit. Gleichzeitig bitte ich Sie, von falschen Mutmaßungen und Schlussfolgerungen, insbesondere mit Bezug auf die Motivation und Integrität von Abgeordneten des Deutschen Bundestages, Abstand zu nehmen.

Mit freundlichen Grüßen,

Marina Schuster