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Marieluise Beck
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Frage von Michael S. •

Frage an Marieluise Beck von Michael S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Beck,

ich nehme an, dass Sie vor Ihrem Votum zur Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan auch eine Einschätzung zum Hintergrund des Luftschlages bei Kundus vorgenommen haben. Das entnehme ich auch Ihrer Homepage, wo Sie über die Opfern dieses Luftschlages schreiben, diese seien "eine tragische Folge dieses asymetrischen Krieges".

Das Konzept des Asymetrischen Krieges beschreibt bekanntlich die Folgen, die das Aufeinandertreffen von waffentechnisch unterschiedlich hochgerüsteten in der kriegerischen Auseinandersetzung hat. Ist eigentlich nichts Neues: Nicht erst seit Mao Tse Tungs bekannter Parole versucht die schlechter gerüstete Partei "wie die Fische im Wasser" in der Volksmasse unterzutauchen.

Ich habe jetzt zwei Fragen an Sie:

1. Sind Sie sicher, dass die Taliban in Kundus die Zivilbevölkerung in die Nähe der Tank-LKWs gelockt haben (nur dann wäre hier mE von Opfern des Asymmetrischen Krieges zu sprechen)?

2. Sehen Sie in diesem Fall den Luftschlag als gerechtfertigt an, wenn klar war, dass auch Taliban-Kämpfer unter den Zivilisten waren?

Hintergrund meiner Frage:Bekanntlich hat es bei den Angriffen der Allierten in Irak wie in Afghanistan immer wieder auch große Verluste bei der Zivilbevölkerung gegeben. Ich sehe eine besorgniserregende Tendenz, diese Opfer mit den "Folgen der Asymmetrischen Kriegführung" zu rechtfertigen.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Scheier,

es gibt keinen Krieg ohne Schuld.
Es gibt bis zum heutigen Tag keine unabhängige und belastbare Bewertung, was vor Ort wirklich passiert ist. Alle Berichte, die mir zugänglich sind, gehen davon aus, dass weder die Zahl der Toten genau festzustellen sein wird, noch dass es beweisbare Angaben darüber gibt, wie viele Militante vor Ort waren.
Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission, deren Urteil mir wichtig ist, geht nach ihren Befragungen der Bevölkerung vor Ort davon aus, dass die Aufständischen die Bewohner aus umliegenden Dörfern dazu gezwungen haben, ihnen dabei zu helfen, die Tanklastzüge wieder flott zu machen. Als das nicht gelang, sollen sie die Tanklastzüge zum Abzapfen frei gegeben haben.
Selbst diese Einschätzung, obwohl sie von einer seriösen Institution kommt, ist jedoch bisher nicht beweisbar. Zahlreiche Indizien sprechen dafür, dass eine beträchtliche Anzahl von bewaffneten Aufständischen am Ort des Geschehens war. Wie genau das Verhältnis zwischen Kombattanten und unbewaffneten Zivilisten war, wie viele Jugendliche oder gar Kinder sich mitten in der Nacht und in kilometerweiter Entfernung von den nächsten Dörfern bei den Tanklastzügen aufgehalten haben, ist immer noch nicht geklärt.
Ich habe den Begriff der asymmetrischen Kriegsführung für eine Konfliktsituation verwendet, in der reguläre Truppen, die der Genfer Konvention unterliegen, irregulären bewaffneten Gruppen gegenüber stehen, die gezielt Zivilisten als Schutzschild benutzen oder Anschläge ausführen, die wahllos Unbeteiligte treffen. Während die Taliban sich selbst an keinerlei Normen des Kriegsvölkerrechts gebunden fühlen, setzen sie darauf, dass die Öffentlichkeit in demokratischen Staaten sehr kritisch reagiert, wenn aufgrund von Kampfhandlungen der eigenen Truppen unschuldige Menschen getötet werden.
Die afghanischen Taliban versuchen systematisch eine Situation herzustellen, in der die ISAF-Truppen entweder aus Rücksicht auf evtl. zivile Opfer auf ein militärisches Vorgehen gegen die Aufständischen verzichten oder sich angreifbar machen, weil Kämpfer von Zivilisten oft kaum zu unterscheiden sind.
Was macht ein junger Soldat, wenn an einer Sperre eine Frau in einer Burka auf ihn zukommt und sich auch durch Warnrufe nicht aufhalten läßt? Er darf sie dem kulturellen Verständnis nach nicht anfassen und kann sie so nicht aufhalten. Also muss er sie gehen lassen. Aber wie soll er entscheiden, wenn er weiß, dass am Tag zuvor Militante, die unter der Burka Sprengstoff trugen, sich mit den Soldaten eines anderen Postens in die Luft gesprengt haben?
Und wie sollen sich Offiziere verhalten, die erlebt haben, dass ein Tanklastzug zu einer rollenden Bombe umfunktioniert wurde, mit der ihnen anvertraute Soldaten getötet wurden?
Diese Form von Terror führt zu ethisch immer schwieriger zu entscheidenden Situationen bei Soldaten und Führungspersonal, die dem Grundsatz verpflichtet sind, Zivilisten wo immer möglich zu schützen. Letztlich vergrößert die "asymmetrische Kriegsführung" durch die Taliban die Zahl der zivilen Opfer.
Ja, der Einsatz der internationalen Truppen in Afghanistan führt auch zu unschuldigen Opfern. Es ist jedoch ein Irrglaube, dass es diese Opfer nicht gäbe, wenn die Truppen jetzt abziehen würden.
Als die Russen 1989 nach einem fürchterlichen Krieg, den sie entfacht hatten, das Land überstürzt verließen, leitete das die Zeit eines mehrjährigen blutigen Bürgerkrieges ein. Die Afghanen, die ich auf meinen Reisen traf, gehen davon aus, dass diese Entwicklung sich wiederholen würde, wenn die von den Vereinten Nationen mandatierten Truppen jetzt das Land verließen. Das würde noch viel mehr zivile Opfer nach sich ziehen - auch deshalb habe ich für die Verlängerung des ISAF-Mandats gestimmt.

mit freundlichen Grüßen
Marieluise Beck