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Lothar Binding
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Frage von Manfred P. •

Frage an Lothar Binding von Manfred P. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Binding!

Der globalisierte Turbo-Kapitalismus eignet sich auf brutalste Art die
Existenzgrundlagen insbesondere der wirtschaftlich Schwachen an. Wir haben einen Staat, um die Schwachen zu schützen, damit nicht das Gesetz der Höhle gilt: Der mit der größten Keule hat Recht.
Sie als Abgeordneter sollen den Staat im Auftrag der Bürger kontrollieren.
Was tun Sie, um diese Aufgabe zu erfüllen?
Unternehmen Sie etwas, um die Energiepreise bezahlbar zu halten? Unterstützen Sie die Forderung nach einem erschwinglichen Basiskontingent bei Strom und Gas?
Wie stehen Sie zu einer Absenkung der Mehrwertsteuer für Öl und Gas, für Bus und Bahn?

MIt freundlichem Gruß

Manfred Pfirrmann

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Pfirrmann,

für Ihre Fragen danke ich Ihnen recht herzlich. Sie haben in Ihrer kurzen Vorbemerkung ein Staatsbild umrissen, das meiner Idealvorstellung eines freiheitlichen, gerechten und solidarischen politischen Systems sehr nahekommt. Der Staat, die Solidargemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger, schützt uns vor den Marktkräften, der Stärkere steht für den Schwächeren ein. Denn Menschen werden ohne eigenes Verschulden arbeitslos, krank oder pflegebedürftig; sie können ihre Mieten oder Rechnungen im Lebensmittelladen oder an der Zapfsäule nicht mehr bezahlen; sie können ihren Kinder ohne Unterstützung der Gemeinschaft keine anständige Ausbildung finanzieren. Diese Personen brauchen den Schutz, die Unterstützung und die Förderung eines starken Staates. Im Staat organisiert die Politik, was der einzelne nicht organisieren kann. Theater, Strasse, Polizei, Wasserversorgung etc. Hier liegen ein Kern meiner politischen Überzeugungen und ein zentraler Ansporn für meine Arbeit.

Leider klafft zwischen dem wünschenswerten Ideal und der politisch gestaltbaren Wirklichkeit trotz aller guten Absichten, klugen Plänen und gewissenhaftem Arbeiten bisweilen eine Lücke. Dies wird mir auch in meiner Tätigkeit im Finanzausschuss häufig bewusst, in dem ich mich auch mit der Regulierung internationaler Finanzmärkte und der Besteuerung grenzüberschreitender Waren und Dienstleistungen beschäftige. Diese Aufgaben gewinnen mit der fortschreitenden Verflechtung der Volkswirtschaften, der wachsenden Verwundbarkeit der nationalen Arbeits-, Waren- und Kapitalmärkte sowie der immer schneller werdenden Umlaufgeschwindigkeit der Finanzströme schnell an Bedeutung. Mit diesen Prozessen verändern sich allerdings auch die Rahmenbedingungen für politisches Handeln.

Wir müssen beobachten, dass viele Akteure auf den internationalen Finanzmärkten lediglich an kurzfristiger Profitmaximierung interessiert sind und dafür hohe – häufig unverantwortlich hohe – Risiken eingehen. Die gegenwärtige Finanzkrise, die ihren Ursprung auf dem amerikanischen Immobilienmarkt nahm, sowie der Anstieg der Energiepreise infolge von Spekulationsgeschäften, der Hochpreispolitik der OPEC, bisheriger Verschwendung und der Verleugnung der Endlichkeit haben dies wieder verdeutlicht. Diese Krisen haben leider auch gezeigt, dass die Selbstreinigungs- und Heilungskräfte der freien Marktwirtschaft – ihr zentrales Funktionsprinzip von Angebot und Nachfrage, ihre Selbstregulierungsmechanismen, ihr Glaube an freiwillige Selbstbeschränkungen – oft versagen. Hier ist ein Eingreifen der Politik gefordert.

Deswegen wollen wir preistreibende Spekulation erschweren. Das geht aber nur in internationaler Zusammenarbeit, da sich die Preise für Öl nicht an deutschen Börsen allein bilden. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück wird seinen Kollegen aus anderen Ländern verschiedene Vorschläge vorlegen. Es ist etwa denkbar, dass der Handel mit Öl in gewissem Umfang an reale Lieferungen oder höhere Werthinterlegungen gebunden wird. Dadurch wird der Handel mit „virtuellem“ Öl begrenzt, am Markt können sich Firmen aber weiterhin gegen steigende Preise absichern. Für eine solche Begrenzung der Spekulation suchen wir die Zusammenarbeit und Koordination in internationalen Vereinbarungen. Diese Abstimmungen erfordern Zeit, Augenmaß und Verhandlungsgeschick.

Wir müssen außerdem einkalkulieren, dass wir mit nationalstaatlichen Alleingängen in der Finanzmarktregulierung und Steuergesetzgebung Fluchtbewegungen erzeugen; ich denke etwa an die Verlagerung von Produktionsstandorten, an legale Gestaltungsmaßnahmen von Unternehmen zur Minimierung der Steuerlast in sog. Hochsteuerländern, oder an Steuerhinterziehung mittels Steueroasen und skrupellosen Vermögensverwaltern.

Die Senkung der Steuersätze von Unternehmen erhöht die Gewinne der Konzerne und stärkt deren Investitionskraft aber erhöht auch Gewinne von Spekulanten. Gelegentlich wird vorgeschlagen, die Steuern zu senken um die Preise für den Verbraucher erträglich zu halten. Nehmen wir an, die Steuern auf Benzin würden gesenkt. Denkt tatsächlich jemand, dass dann die Preise fallen? Nein. Die Gewinne würden steigen und die Warentermingeschäfte wären noch lukrativer. Angenommen, das wäre doch ein guter Weg. Dann würden wir diesen Weg beschreiten… solange bis auf dem Verbrauchsgut keine Steuern mehr lasten. Was würden wir dann machen? Die Preise durch Spekulation, Verknappung endlicher Güter, Gewinnmaximierung würden ja weiter steigen? Und außerdem müssten wir denen, für die diese Entlastung gedacht war, an anderer Stelle mehr Steuern abverlangen, denn Strassen und Theater und Polizei werden ja auch künftig gebraucht. Im Ergebnis würden die Gewinne weniger Konzerne steigen, die Verbraucher müssten aber an andere Stelle mehr bezahlen und am Benzinpreis würde sich mittelfristig nichts ändern. (Abgesehen von kurzfristiger Kosmetik).

Auch gesetzliche Verbote von Warentermingeschäften wären fruchtlos, die Geschäfte finden dann auf nicht-deutschen Märkten statt und treffen unseren Import und Export um so empfindlicher, weil der deutsche Finanzplatz einer der am besten regulierten und beaufsichtigten ist. Auf meiner Website finden Sie einige weiterführende Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen internationaler Steuerpolitik, wenn sie diesem Link folgen: http://www.lothar-binding.de/fileadmin/downloads/pdf/bundestag/International e_Steuerpolitik.pdf

Die gesetzgeberische Arbeit der letzten Zeit hat allerdings auch bewiesen, dass sich Fehlentwicklungen auf den Märkten korrigieren lassen und der Staat an Handlungsfähigkeit zurückgewinnen kann. Dazu gehört etwa die Unternehmensteuerreform, mit der wir Unternehmensgewinne verstärkt in Deutschland besteuern und damit die Besteuerungsgerechtigkeit wieder verbessern. Ich denke an unsere Initiativen zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs. Und vergessen wir nicht die Aufdeckung und Verfolgung von hunderten Fällen der Steuerhinterziehung in der so genannten Liechtenstein-Affäre. Es wird Sie vielleicht interessieren, dass wir in der Regierungskoalition derzeit einen gemeinsamen Antrag vorbereiten, um Steuerbetrugsdelikte in Europa und mit den Bundesländern noch effektiver zu bekämpfen.

Die einzige Rettung vor der krankhaften Gier nach schnellem Geld im Energiemarkt und den damit verbundenen Energiepreissteigerungen ist die Entwicklung alternativer Energieversorgungssysteme, die eine dezentrale Versorgung sichern und damit den Spekulationen an den Märkten und Börsen entzogen werden können. Gegen steigende Weltmarktpreise für Energie aufgrund sinkender Reserven und steigender Nachfrage kann nationale Politik die Menschen hingegen nicht schützen. Der Schlüssel für eine faire Preisgestaltung, hohe Versorgungssicherheit und umweltschonende Energieerzeugung liegt vielmehr im Energiesparen, in der Umstellung auf preisstabilere Erneuerbare Energien und in der Beseitigung der Monopole auf den heimischen Energiemärkten durch mehr Wettbewerb. Beispiele dafür sind das Förderprogramm für Gebäudedämmung und das Erneuerbare- Energien-Gesetz, durch das auch 250.000 neue Jobs entstanden sind. Ich stütze mich im Folgenden auch auf Informationen meines Kollegen Ulrich Kelber, der sich im Vorstand der SPD- Bundestagsfraktion u.a. mit Fragen der Nachhaltigkeit, des Umwelt- und Verbraucherschutzes beschäftigt.

Wir wollen Konzepte entwickeln, wie man mit den immer schneller steigenden Energiepreisen umgehen kann. Dazu gehören etwa die bessere Förderung der Dämmung von Mietwohnungen und Unterstützung beim Erwerb energiesparender Geräte. Ich erinnere außerdem daran, dass sich die SPD- Bundestagsfraktion dafür eingesetzt hat, die Energiepreise bezahlbar zu halten. Mit der Wohngelderhöhung etwa unterstützen wir 800.000 Haushalte mit niedrigen Einkommen bei den gestiegenen Heizkosten; die Empfänger von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe bekommen die Kosten für Heizung und Warmwassererzeugung erstattet. Hier muss aber mit Augenmaß vorgegangen werden. Wenn ich als Heizöllieferant weiß, dass meine Kunden die Kosten für Heizöl vom Staat, also allen anderen Bürgerinnen und Bürgern bezahlt bekommen… wer hat dann noch einen Anreiz auf den Preis zu schauen?

Ermäßigte Mehrwertsteuersätze auf Energie sind nach meiner Einschätzung deshalb nicht geeignet, um den Anstieg der Energiepreise zu dämpfen. Ich befürchte, dass die Energiekonzerne die Ermäßigung nicht über Preissenkungen an die Verbraucher weitergeben, bzw. diese Weitergabe nicht sichergestellt werden kann. Für eine Dämpfung der Energiepreise wäre dies aber Grundvoraussetzung. Folglich würde das angestrebte Ziel nicht erreicht und damit Haushaltsmittel der Gesellschaft vergeudet.

Den sicheren Steuerausfällen stehen also höchst unsichere Preisdämpfungseffekte unter Inkaufnahme von Mitnahmeeffekten, Missbrauch sowie der Begünstigung einzelner zu Lasten aller anderen Branchen und Steuerpflichtigen gegenüber. Angesichts der nach wie vor dringend gebotenen Haushaltskonsolidierung mit dem Ziel, die Chance zum Stopp der Neuverschuldung und zum Schuldenabbau konsequent zu nutzen, müssten die durch eine solche Steuerermäßigung letztlich verursachten Einnahmeausfälle anderweitig ausgeglichen werden – für die betroffenen Verbraucher, Steuerzahler, Kunden letztlich ein Nullsummenspiel.

Eine kurze Randbemerkung: Oft wird in Debatten der Vorwurf erhoben, der Staat profitiere von den steigenden Energiepreisen. Diese Darstellung ist falsch, weil Bemessungsgrundlage für die Strom- und Energiesteuer nicht nur der jeweilige Energiepreis, sondern auch die verbrauchte Menge an Strom bzw. Energieerzeugnissen ist. Da Preisanstiege den Verbrauch von Energie zudem tendenziell dämpfen, führen sie durch das geänderte Verbraucherverhalten sogar eher zu Steuermindereinnahmen. Eine Erhöhung der Preise für Energieerzeugnisse bewirkt grundsätzlich auch keine Erhöhung des Umsatzsteueraufkommens, da das für höhere Preise einzusetzende verfügbare Einkommen in entsprechendem Umfang von anderen umsatzsteuerwirksamen Verwendungen abgezogen wird. Zur Kompensation schränken die privaten Haushalte die Nachfrage nach anderen Konsumgütern ein. Unter der Annahme eines konstanten verfügbaren Einkommens und einer konstanten Sparquote bleibt somit das Umsatzsteueraufkommen unverändert. Ebenso führt ein Sinken der Preise nicht zu Steuerausfällen. Ähnliche Überlegungen gelten für die weiteren von Ihnen genannten Beispiele: Bus oder Bahn.

Unsere Überlegungen zu einer sozial verträglichen Ausgestaltung und Abfederung der Energiepreise schließen auch den Strom ein. Den müssen alle Haushalte aus Einkommen oder den pauschalen Transferzahlungen finanzieren. Deswegen wollen wir erstens allen Haushalten helfen, den Stromverbrauch zu senken, durch Beratung, aber auch durch Hilfe beim Erwerb Strom sparender Geräte. Außerdem prüfen wir eine Änderung der Stromtarife: Heute zahlen Menschen mit unterdurchschnittlich hohem Energieverbrauch mehr als Kunden mit hohem Energieverbrauch. Dies sollten wir „umdrehen“, dann würden gerade auch Haushalte mit geringem Einkommen profitieren, die in der Regel weniger Strom als durchschnittlich benötigen, weil die Wohnungen kleiner und weniger Geräte vorhanden sind. Dabei sind aber noch viele Fragen zu klären. Daher hat das SPD-Präsidium eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Peter Struck eingerichtet, um Vorschläge zum Umgang mit hohen Energiepreisen zu erarbeiten.

In der Hoffnung, Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben,

verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,
Ihr Lothar Binding