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Frage von Florian A. •

Frage an Katja Kipping von Florian A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Kipping,

Der Fernsehbericht über die Sklaverei beim Onlineversandhaus Amazon hat erfreulicherweise zu einem "Shitstorm" mit zahlreichen Boykottaufrufen auf der Facebook-Seite des Unternehmens geführt. Sicherlich sind die Zustände im Kapitalismus im allgemeinen und in der gesamte Branche im speziellen erschreckend, aber dies stellt die erbärmliche Krönung menschlicher Boshaftigkeit im Kapitalismus dar.

Moderne Sklaverei ist ein weitreichendes Phänomen und jeder kann davon ausgehen, dass etwa 50 Menschen das Leben zerstört wird und sie Sklavenarbeit verrichten müssen, damit sein Durchschnittlebensstandard unter kapitalisten Bedingungen zu halten ist.

Im Geltungsbereich des Grundgesetzes ist die Verbreitung von Sklavenarbeit (abgesehen von christlichen Kinderheimen der 50er und 60er Jahre) allerdings ein Novum!

Welche Schritte wollen Sie dagegen einleiten?

Ich habe die große Sorge, dass wenn dieses Onlineversandhaus unbeschadet bleibt, in Zukunft die Empörung immer geringer ausfallen wird. Bereits heute wird gerne das "Argument" angeführt, dass bei vielen anderen Firmen ähnlich schlimme Zustände herrschten. Auf der anderen Seite, sehe ich die Chance, die sich aus der derzeit breiten Protestbewegung ergibt.

Wäre es nicht einen Versuch wert, die Boykottbewegung zu unterstützen? Wäre es möglich, zusammen mit anderen sozialen Bewegungen eine genossenschaftliche Alternative zu Amazon zu gründen?

Wie stehen Sie zu einer Enteignung von Amazon und Ausgabe der Firmenanleihen an die Zwangsarbeiter?

Wird DIE LINKE Demonstrationen zum Thema organisieren?

Gibt es zu dem Thema bereits Absprachen über ein weiteres koordiniertes Vorgehen mit den anderen linken Parteien?

Mit solidarischen Grüßen,
Florian Augustin

Portrait von Katja Kipping
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Augustin,

besten Dank für Ihre Zuschrift mit aktuellem Bezug.

Dazu ist anzumerken, dass sich DIE LINKE nicht erst seit der Ausstrahlung der genannten ARD-Doku mit den skandalösen Auswüchsen z.B. von Leih- oder Saisonarbeit beschäftigt. Ebenso ist nach unserer Kenntnis Amazon keineswegs das einzige Unternehmen, welches so agiert. Schauen Sie sich einfach mal z.B. bei der Fleischindustrie, dem Textilhandel oder dem Lebensmitteleinzelhandel um. Viele Firmen machen sich die Möglichkeiten, Gesetzesschwächen und -lücken in Deutschland zu Nutze und erhöhen ihre Gewinne – auch auf Kosten der Beschäftigten. Wirtschaftliche Interessen und maximaler Profit zählen mehr als Menschen.
Aufgefallen ist Amazon allerdings in der Vergangenheit schon mehrfach besonders negativ - beispielsweise durch den massiven Einsatz von Erwerbslosen, die im vorletzten Weihnachtsgeschäft unbezahlte „Praktika“ bei diesem Unternehmen ableisten mussten. Unsere Anfrage dazu und die Antwort der Bundesregierung finden Sie anhängend.
Möglich und unterstützt werden solche skandalösen Verhältnisse auch durch die Politik – betrachtet man sich einmal die Ergebnisse der CDUFDPSPDGrünen-Gesetzgebung der letzten Jahre. Diese hat prekäre Arbeitsverhältnisse massiv befördert und Arbeitnehmerrechte beschnitten. Dass, wie in dem ARD-Bericht dargestellt, aber nun auch die Beschäftigten zusätzlich unzumutbar untergebracht und durch fragwürdiges Sicherheitspersonal schikaniert werden, ist die ungeheuerliche Krönung des Ganzen.
Nicht zuletzt im Hinblick auf den massiven Missbrauch der Leiharbeit durch Arbeitgeber fordern wir ein Verbot der Leiharbeit bzw. eine Pflicht für entleihende Unternehmen, die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter zu den gleichen Bedingungen wie die Stammbeschäftigten in reguläre Anstellungsverhältnisse zu übernehmen. Vorschläge der Linksfraktion zum Schutz der Arbeitnehmer können Sie übrigens am besten auf unserer Internetseite unter http://www.linksfraktion.de nachlesen – Stichworte sind das genannte Verbot von Leiharbeit, die Einführung eines ordentlichen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes sowie natürlich die Überwindung des repressiven Hartz-IV- Systems.
Ein ganz klein wenig hat Amazon nun wohl reagiert - allerdings erst nach massiver öffentlicher Kritik, Druck von außen sowie der Drohung eines Boykotts durch die Kundschaft. Die grundsätzlichen Probleme löst das aber keinesfalls.
Heute stand übrigens das Thema Amazon auf der Tagesordnung des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Auch der Bundestag selbst wird sich im Rahmen einer Aktuellen Stunde mit dem skandalösen Missbrauch von Leiharbeit bei Amazon befassen.

Klare Worte hat übrigens auch eben mein Fraktionskollege Klaus Ernst veröffentlicht:

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20.02.2013 – Klaus Ernst (von www.linksfraktion.de)

Leiharbeit: Endlich die Spielregeln ändern

Von Klaus Ernst, MdB und Mitglied im Spitzenteam für den Bundestagswahlkampf der Fraktion DIE LINKE
Nachdem der US-amerikanische Internetversandhändler Amazon im vergangenen Jahr während des Weihnachtsgeschäftes tausende Erwerbslose mit Hilfe der Bundesagentur für Arbeit über mehrere Wochen für unbezahlte Praktika befristet angestellt hatte, ist Amazon um einen weiteren Skandal reicher: In der vergangenen Woche hatte ein Fernsehteam der ARD über die Lebens- und Arbeitsbedingungen von befristeten Leiharbeitsbeschäftigten am hessischen Amazon-Standort Bad Hersfeld berichtet. Demnach werden Arbeitssuchende vor allem aus Osteuropa und Spanien mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt, um bei Amazon befristet zu arbeiten. Mitarbeiter der von Amazon beauftragten Sicherheitsfirma hatten außerdem Leiharbeiter und das Filmteam bedrängt und die privaten Unterkünfte der Beschäftigten durchsucht.
Ein folgenreicher Irrtum
Die Aufregung in Politik und Gesellschaft über die skandalösen Machenschaften von Amazon waren groß. Klar, dass sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen gleich an die Spitze der Bewegung setzte und umgehend Aufklärung von Amazon forderte. Selbst mit dem Entzug der Lizenz der Leiharbeitsfirma drohte sie. War da nicht was? Der erneute Skandal erinnert fatal an die mittlerweile pleitegegangene Drogeriekette Schlecker vor gut drei Jahren. Damals hatte Schlecker tausende Beschäftigte entlassen, um sie dann über die eigene Leiharbeitsfirma zu deutlich schlechteren Arbeits- und Gehaltsbedingungen wieder einzustellen. Auch damals war der öffentliche Aufschrei groß. Von der Leyen reagierte mit einem eigenen Gesetz, der dem Missbrauch durch Leiharbeit endgültig einen Riegel vorschieben sollte. Wie sich im Fall Amazon jetzt zeigt: ein folgenreicher Irrtum. Denn in Wirklichkeit nutzen Unternehmen wie Amazon nur die gesetzlichen Möglichkeiten, die ihnen die Politik einräumt. Weil sie wissen, dass die Kontrollen oftmals am mangelnden Personal oder unzureichenden Vorgaben scheitern, bewegen sich die Unternehmen zudem am Rande der Legalität, oft auch darüber hinaus. Völlig absurd ist etwa die Tatsache, dass dieselbe Behörde, welche für die Erteilung für die Leiharbeitserlaubnis zuständig ist, ebenfalls für deren Einhaltung verantwortlich ist: Die Bundesagentur für Arbeit.
Tatsächliche Probleme liegen viel tiefer
Die Verwahrlosung der Arbeitsbeziehungen betrifft längst nicht nur das Instrument der Leiharbeit. Sie zeigt sich zunehmend auch im Missbrauch von Werkverträgen, in Scheinselbstständigkeit, in missbräuchlicher Ausdehnung von Nacht- und Wochenendarbeit, in schlechten Löhnen und in der Zersplitterung der Tariflandschaft. Tatsächlich liegen die Probleme viel tiefer: Erst die Deregulierung am Arbeitsmarkt hat zu einer massiven Ausweitung prekärer Beschäftigungsformen wie Leih- und Teilzeitarbeit, Minijobs und befristeten Beschäftigungsverhältnissen geführt. Millionen von Beschäftigten muss deshalb das Mantra vom sogenannten deutschen „Beschäftigungswunder“ als blanker Hohn vorkommen. Gleichzeitig können fast 1,4 Millionen Menschen von ihrem Lohn nicht leben und müssen zusätzlich aufstocken.
Bestell-Boykott reicht nicht
Wer glaubt, mit verantwortungsvollen Appellen könnten die Verbraucherinnen und Verbraucher mittels Bestell-Boykott Unternehmen wie Amazon zur Vernunft bringen, der täuscht sich gewaltig. Klar wird die öffentliche Empörung an Amazon nicht spurlos vorübergehe und natürlich werden Amazon die ARD-Bilder und die aktuelle Medienberichterstattung nicht gefallen. Die Geschäftsbeziehungen mit dem unseriösen Sicherheitsunternehmen sowie dem Logistiker, der für den Transport und die Unterbringungen der Leiharbeitsbeschäftigten verantwortlich war, wurden bereits getrennt. Grundsätzlich wird sich an den Geschäftspraktiken von Amazon und anderen Skandal-Unternehmen nichts ändern. Denn Amazons Geschäftsmodell besteht gerade in der gnadenlosen Drangsalierung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Als global operierendes Unternehmen bleibt Amazon auch nichts anderes übrig, will es gegenüber anderen Dumpinglohnwettbewerbern bestehen. So ernüchternd es klingt: Das sind die Spielregeln im neoliberalen Kapitalismus.
Politik in der Verantwortung endlich die Spielregeln zu ändern
Weil Amazon eben kein Einzelfall ist, wie Ministerin von der Leyen glauben machen will, steht vielmehr die Politik in der Verantwortung, endlich die Spielregeln zu ändern. Wer nicht mitmachen will, muss rausfliegen. Um das Problem an der Wurzel zu packen, brauchen wir wieder klare Regeln auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb fordert DIE LINKE die Zurückdrängung prekärer Beschäftigungsformen. Gleichzeitig wollen wir die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten stärken. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen für die ganze Branche ist auszuweiten. Und nicht zuletzt fordern wir einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde. In dieser Woche bringen wir im Bundestag unseren Gesetzesentwurf zur Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen ein.
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Mit freundlichen Grüßen

Katja Kipping