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Frage von Catharina M. •

Frage an Ilja Seifert von Catharina M. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Dr. Seifert,

ich bin seit Jahren als gesetzliche Betreuerin unterwegs. Seit zwei Jahren engagiere ich mich in unserem Berufsverband BdB e.V. und beschäftige mich mit der Verbesserung des Betreuungswesens in Hamburg. Unsere politische Arbeit zielt darauf ab, Politikerinnen und Politiker über unsere Arbeit zu informieren. Wir stellen dabei immer wieder fest, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen quer durch alle Parteien mit dem Thema Betreuung noch nicht beschäftigt haben, also keine Ahnung davon haben, wie sich unsere Arbeit gestaltet und unter welchen Bedingungen sich der Staat Betreuung leistet. Hoch komplexe Betreuungsfälle sollen im Ehrenamt bearbeitet und geleistet werden. Jeder soll Betreuungen führen können, Kompetenz und Professionalität sind scheinbar nicht gewünscht - aus Kostengründen. Das dann viele Negativbeispiele die professionell geführten Betreuungen überschatten, ist aus meiner Sicht hausgemacht. Wir fordern seit Jahren die gesetzliche Regelung über Zulassungskriterien und die gesetzliche Regelung der Qualitätssicherung von Betreuerinnen und Betreuern. Wir wollen als Beruf anerkannt werden, um den Menschen mit Unterstützungsbedarfen die Sicherheit bieten zu können, dass sie von qualifizierten und professionell tätigen Betreuerinnen und Betreuern begleitet und unterstützt werden.

Sie haben geäussert, dass das Betreuungsgesetz grundlegend verändert werden müsste. Der Meinung sind wir auch. Mich hätte interessiert, wie sich Die Linke bezüglich einer Reform positioniert hat und in welcher Weise Sie Veränderungen herbeiführen wollen?

Unsere diesjährige Kampagne 2013 stellt 6 konkrete Forderungen an die Politik. Ausführliches Kampagnenmaterial und Informationen finden Sie auf unserer Homepage: www.bdb-ev.de

Mit freundlichen Grüßen
Catharina Meier

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Catharina Meier,

das Betreuungsrecht ist in der Tat eine hochkomplizierte Materie. Wenn ich Ihre Frage erschöpfend beantworten sollte/könnte, bräuchte ich etliche engbeschriebene Seiten. Deshalb erlauben Sie mir bitte, mich mit einigen holzschnittartigen Linien zu Wort zu melden.

Seit die UN-Behindertenrechts-Konvention geltendes innerstaatliches Recht in der BRD ist (26. März 2009), muß jegliches vormundschaftliches Handeln als gesetzeswidrig bzw. Menschenrechtsverletzung gewertet werden. Das gebieten insbesondere die Art. 12 - 14 der Konvention, die "volle Rechts- und Handlungsfähigkeit" jeder Person festschreiben. Und auch der pauschale Wahlrechtsausschluß (§ 13 Bundeswahlgesetz) von Menschen, die "unter Betreuung in allen Angelegenheiten" stehen, ist mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar.

Nun weiß ich natürlich, daß das deutsche Betreuungsrecht nicht mehr das alte Vormundschaftsrecht ist. Ich weiß selbstverständlich auch, daß dort steht, daß die Betreuer/innen den erkennbaren Willen der/des zu Betreuenden zu berücksichtigen haben und nicht ihre eigenen Vorstellungen von der "richtigen" Lebensweise in den Vordergrund rücken sollen. Wenn es aber hart auf hart kommt, gilt eben (nur!) das Wort der/des Betreuerin/Betreuers. Dann ist die Entscheidungsfreiheit der/des Betreuten dahin.

Ich gestehe, noch kein endgültiges Modell bzw. Konzept für die Auflösung dieses Widerspruchs zu haben. Auch DIE LINKE als Ganzes denkt noch intensiv darüber nach, wie insbesondere das Problem der Fremdgefährdung menschenrechtlich sauber gelöst werden könnte. In Bezug auf die "Selbstgefährdung" muß m.E. der Maßstab ebenfalls neu justiert werden. Wieso sollen/müssen (behinderte) Menschen vor sich selbst "geschützt" werden? Jedenfalls intensiver und wesentlich spürbarer als andere Menschen, denen (noch?) keine Beeinträchtigung attestiert wurde. Wirkliche Gleichberechtigung sähe anders aus.

Mir sind einige erfolgversprechende Versuche bekannt - z.B. von der Lebenshilfe -, mit Hilfe des "Prinzips zweier Schlüssel" das "Macht"-Ungleichgewicht zwischen Betreuter/Betreutem und Betreuer/Betreuerin zugunsten erster zu verschieben. Ein "Vertrag" gilt dann nur, wenn Beide zustimmen. Die Betreuer müssen ihre Betreuten also von der Richtigkeit bzw. Unrichtigkeit einer Maßnahme/Entscheidung ü b e r z e u g e n. Sie können - z.B. eine Krankenhauseinweisung - nicht mehr einfach anordnen. Das rückt den von Ihnen benannten Aspekt der Qualifizierung von Betreuer/innen noch zusätzlich in ein viel grelleres Licht. Dann m u ß man sich nämlich intensiv miteinander befassen. Dann m u ß man sich wirklich kennen. Dan m u ß man einander gegenseitig ernst nehmen. Das ist gegenwärtig bei weitem nicht der Fall.

Und hier rückt auch der von Ihnen benannte soziale (finanzielle) Aspekt der Berufsbetreuung noch weiter in den Vordergrund. Dann k a n n niemand mehr dreißig, vierzig, fünfzig oder noch mehr Menschen "betreuen". Die Bezahlung pro Person muß also eine ganz andere Grundlage bekommen. Hier sind ethische (Berufsethos) und soziale (Einkommen) ebenso wie zwischenmenschliche (Verträglichkeit) Aspekte sorgfältig in Übereinstimmung zu bringen. Das ist eine schwierige Aufgabe. Dafür sind jede Menge guter Ideen gefragt. Noch sind wir - ich bedaure das, konstatiere aber den Fakt - von einer guten Lösung dieses Problemknäuels weit entfernt.

Ich konnte/kann Ihnen leider weder eine erschöpfende noch gar eine allseits befriedigende Antwort auf Ihre Frage geben. Aber vielleicht trägt sie ja doch auch ein bißchen zur Problemerkenntnis und Lösungsfindung bei? In diesem Sinne verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Ilja Seifert