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Hilde Mattheis
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Frage von Wolf-Fritz R. •

Frage an Hilde Mattheis von Wolf-Fritz R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Mattheis,

wie stehen Sie zum Rückzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan?

Sind Sie mit der folgenden Aussage einverstanden? Die Beteiligung Deutschlands an den Kampfhandlungen in Afghanistan geht zurück auf einen fatalen Fehlgriff der Regierung Schröder/Fischer. Für eine Polizeiaktion (Festnahme des mutmaßlichen Drahtziehers der 9/11-Anschläge) beteiligte sich Deutschland aus "uneingeschränkter Solidarität" an militärischen Angriffen auf ein Land, das dem Gesuchten Unterschlupf gewährte. Dieser Truppeneinsatz hat bis heute nichts gelöst: Bin Laden ist weiterhin frei, während der vom Westen unterstützte afghanische Präsident Wahlfälschungen vorbereitet. Um Schaden von den deutschen Soldaten abzuwenden und das Ansehen Deutschlands in der Welt zu wahren, ist es höchste Zeit, die deutschen Truppen abzuziehen.

Mit freundlichem Gruß,
Wolf-Fritz Riekert

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Riekert,

zunächst danke ich Ihnen für Ihr politisches Interesse und Ihre Fragen an mich, die ich gerne beantworten will.

Bevor ich auf Ihre Frage „zum Rückzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan“ eingehe, will ich auf meine grundlegende Haltung verweisen.

Vorweg: Ohne Zustimmung des Parlaments dürfen keine deutschen Soldaten in einen Auslandseinsatz geschickt werden. Dank des Parlamentsvorbehalts bei militärischen Einsätzen entscheidet der Bundestag über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Durch das Parlamentsbeteiligungsgesetz (Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland vom 18. März 2005) ist festgelegt, dass der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes der Zustimmung des Bundestags bedarf. Dem Bundestag ist durch dieses Gesetz auch ein Rückholrecht zugesichert.

So ist auch die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan an die Zustimmung des Parlaments gebunden. Um meine Haltung darzulegen und auf ihre zweite Frage einzugehen, verweise ich deshalb auf die Begründung meiner konditionierten Zustimmung zur Verlängerung des Mandats: „Am Donnerstag, den 16. Oktober 2008 hat der Bundestag das Bundeswehrmandat für den Einsatz in Afghanistan im Rahmen von ISAF (Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan) verlängert. Trotz wachsender Bedenken habe ich mich entschieden, dieses Mandat ein weiteres Mal zu unterstützen. Meine Zustimmung über weitere Mandatsverlängerungen möchte ich jedoch von der weiteren Entwicklung der Sicherheitslage und Sinnhaftigkeit des Bundeswehreinsatzes abhängig machen.

Bislang habe ich bei den Abstimmungen im Bundestag immer zwischen den beiden Mandaten unterschieden, unter denen deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan ihren Dienst leisten: Der Beteiligung der Bundeswehr an ISAF und der Beteiligung der Bundeswehr an der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA („Operation Enduring Freedom, OEF“).
So stand ich der Beteiligung der Bundeswehr am Mandat „Operation Enduring Freedom“ immer sehr skeptisch gegenüber.

Meine Befürchtung war, dass die Beteiligung der Bundeswehr an Kampfhandlungen die Situation deutscher Soldatinnen und Soldaten verkompliziert. Die Menschen in Afghanistan können nicht mehr zwischen Schutzmaßnahmen ziviler Aufbauarbeit und militärischen Eingriffen – bei denen leider oft Zivilisten ums Leben kommen – unterscheiden. Dies schadet dem Ansehen deutscher Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan und gefährdet meiner Einschätzung nach die erfolgreiche Unterstützung der Bundeswehr beim zivilen Aufbau. Deshalb habe ich im Deutschen Bundestag gegen die Beteiligung deutscher Streitkräfte am Mandat „Operation Enduring Freedom“ gestimmt und werde dies auch wieder tun.

Die Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten am ISAF-Einsatz habe ich bisher für richtig gehalten. Ziel des Mandats ist es, Afghanistan wieder aufzubauen und zu stabilisieren, damit das Land kein Rückzugsgebiet für Terroristen ist. Ursprünglich sollten unsere Soldatinnen und Soldaten dafür sorgen, dass das Personal der afghanischen Staatsorgane, der Vereinten Nationen und anderer internationalen Einrichtungen in einem sicheren Umfeld am Wiederaufbau des Landes arbeiten können. Einiges wurde bisher erreicht: die Durchführung erster freier Wahlen, Verfassungsorgane sind entstanden und der Zugang zu Bildung, vor allem von Mädchen und Frauen ist gestiegen.

Dennoch wächst meine Skepsis gegenüber des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr. Die Frage ist berechtigt, inwieweit die beiden Einsätze ISAF und OEF tatsächlich noch voneinander zu trennen sind. Eine Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten an einer vordergründig zum Kriegseinsatz gewordenen Mission will ich nicht unterstützen.

Insofern werde ich die kommende Mandatsperiode aufmerksam verfolgen. Sollte sich herausstellen, dass es bei der Beteiligung deutscher Soldatinnen und Soldaten am ISAF-Einsatz nicht mehr nur um die Hilfe zum zivilen Wiederaufbau geht, sondern sie zunehmend in Kampfhandlungen hineingezogen werden, werde ich auch dem ISAF-Mandat in Zukunft nicht mehr zustimmen.

Ich bin mir der schwierigen Situation deutscher Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan bewusst. Ich stehe in regelmäßigem Austausch mit Soldatinnen und Soldaten aus Ulm und dem Alb-Donau-Kreis und habe einen Schwiegersohn, der selber in Afghanistan stationiert war.“

Aus den genannten Gründen habe ich bei der Abstimmung am 2. Juli 2009 zur Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS nicht zugestimmt.
Und meine Skepsis gegenüber des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr hat sich im Verlauf des letzten Jahres verstärkt. Angesichts der jüngsten Ereignisse in Afghanistan, bei denen einmal mehr unschuldige Zivilisten ums Leben kamen, wird deutlich, dass die Auseinandersetzungen zwischen aufständischen und deutschen Soldaten in Afghanistan an Härte zunehmen. Anzeichen deuten darauf hin, dass in Zukunft häufiger mit Anschlägen und militärischen Einsätzen zu rechnen ist. Von einer Friedensmission kann immer weniger gesprochen werden.

Deshalb trete ich nun dafür ein, dass wir möglichst schnell aus diesem Militäreinsatz aussteigen. Allerdings brauchen wir einen konkreten Ausstiegsplan, eine vernünftige und konkrete Exit-Strategie, um das Land verlassen zu können. Wir benötigen dort statt weiteren Soldaten deutlich mehr Mittel für den zivilen Sektor wie Verwaltung, Schulen und Krankenhäuser. Wir müssen den Afghanen so schnell und umfassend wie möglich helfen, sich selbst helfen zu können.

In der nächsten Legislaturperiode wird der Bundestag erneut über das Mandat entscheiden. Dabei müssen wir einen konkreten Plan für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan vorlegen. Dafür brauchen wir klare Kriterien und zeitliche Vorgaben. In einer neuen Zielvereinbarung mit der afghanischen Regierung (Afghan Compact) dürfen wir uns nicht mit vagen Zusagen begnügen. Wir brauchen konkrete, verbindliche Ziele und zugleich wirksame Vorkehrungen, um ihre Umsetzung zu überwachen. Ein Ausstiegsfahrplan muss das Ziel der anstehenden internationalen Afghanistan-Konferenz sein.

Dafür hat Frank-Walter Steinmeier ein Orientierungspapier vorgelegt, das es nun zu konkretisieren gilt. Zu den von ihm vorgelegten „ Zehn Schritte für Afghanistan“ ist auch die erste Stufe eines möglichen Abzugs genannt. Der Standort Feisabad, wo derzeit knapp 500 Bundeswehrsoldaten Dienst tun, soll bis 2011 faktisch aufgelöst und in ein "Ausbildungszentrum für Sicherheitskräfte und Zivilverwaltung umgewandelt werden".

Der Weg zu einem eigenen, friedlichen afghanischen Wiederaufbau kann nicht gelingen ohne den Justiz- und Verwaltungsaufbau und eine tragende Struktur für die öffentliche Daseinsvorsorge vor allem in Richtung Bildung und Ausbildung. Auch eine stärkere Orientierung auf die ländliche Entwicklung sowie die Einbeziehung der Nachbarländer ist zu unterstützen.

Ich werde dafür eintreten, dass mit den entsprechenden Maßnahmen des Ausstiegsfahrplans zeitnah und zielorientiert die Voraussetzungen für einen Rückzug geschaffen werden, so dass die Bundeswehr aus Afghanistan zurückgezogen werden kann, sobald die daran geknüpften Mindestanforderungen erfüllt sind.

Mit freundlichen Grüßen

Hilde Mattheis MdB