Frage an Heiko Schmelzle von Theodor M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Schmelzle,
In Ihrem Wahlkreis werden Asylbewerber, die kein Bleiberecht haben, über die Wintermonate nicht abgeschoben. Somit müssen die Steuerzahler für lange Monate die dringendst an anderern Stellen benötigte Sozialhilfe für diese Leute aufbringen. Wie ist es zu vertreten, dass diese Menschen nicht in ihre Länder zurück gebracht werden,in denen doch Millionen anderer ihrer Mitbürger den Winter auch problemlos überstehen? Auch diese in meinen Augen unsinnige Praxis schürt die zunehmende Fremdenfeindlichkeit
Sehr geehrter Herr Martens,
bitte entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt Ihre Anfrage beantworte.
Leider erreichte sie mich Ihre Anfrage Ende Oktober auf einer Fahrt nach Hannover und geriet dadurch aus meinem Blick.
Antwort:
In der Tat braucht es für eine ehrliche Debatte in der Flüchtlingsfrage einer konsequenten Durchsetzung des geltenden Rechts. Das bedeutet einerseits, Verfolgten Schutz vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewähren bzw. bei Vorliegen eines Asylgrundes Asyl zu gewähren. Andererseits bedeutet es aber auch, ausreisepflichtige Personen zur freiwilligen Ausreise zu bewegen bzw. rückzuführen.
Die Realität in Niedersachsen sieht leider anders aus. Auf die Anfrage meiner Kollegen aus der CDU-Landtagsfraktion, wie viele ausreisepflichtige Personen sich derzeit in Niedersachsen aufhalten, antwortete die Landesregierung wie folgt: Im Oktober 2015 hielten sich in Niedersachsen insgesamt 18.860 ausreisepflichtige Personen auf - die Zahl der Rückführungen belief sich auf gerade einmal 89. Unabhängig vom Landkreis, in dem sich die Flüchtlinge aufhalten, obliegt die Durchsetzung der Ausreisepflicht nach abgeschlossenem Verfahren der Landesregierung.
Angesichts der dramatisch gestiegenen Asylbewerberzahlen können wir uns eine so geringe Abschiebequote in Niedersachsen nicht länger leisten. Die SPD-geführte rot-grüne niedersächsische Landesregierung muss ihrer Verpflichtung zur konsequenten Rückführung abgelehnter Asylbewerber endlich nachkommen, um dringend benötigte Unterbringsungskapazitäten für all jene, die eine Bleibeperspektive haben, zu schaffen. Dass Innenminister Pistorius sich weigert, den Rückführungserlass der neuen Rechtslage des Asylkompromiss zwischen CDU/CSU und SPD anzupassen, ist bezeichnend. Wenn sich Bundesrecht ändert, müssen die betroffenen Erlasse auf Länderebene entsprechend angepasst werden. Da ist es unerheblich, ob der Koalitionspartner dies will oder nicht. Wer sich dieser Schlussfolgerung verweigert, überfordert die Bereitschaft unserer Bürgerinnen und Bürger, verfolgten Menschen aus Kriegsgebieten in dieser humanitären Krise zu helfen.
Für alle Beteiligten gilt darüber hinaus: Wir müssen die Zahl der Asylbewerber schnellstmöglich reduzieren und insgesamtzu einer strikten Steuerung und Begrenzung des Zustromes von Kriegsflüchtlingen und Asylbewerbern kommen. Hierfür ist es notwendig, unsere bisherige Asylpraxis auf die heutigen Herausforderungen anzupassen. Überlegenswert ist sogar, eine Unterscheidung im Grundgesetz zwischen Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen vorzunehmen. Vornehmlich müssen wir die Anreize und Leistungen abbauen und konsequent abgelehnte Asylbewerber zurückführen. Ein Blick auf die Statistiken der einzelnen Bundesländer - hier, wie zuvor beschrieben,insbesondere auch Niedersachsen - zeigt, dass hier noch vieles zu tun ist. Darüber hinaus müssen wir verstärktFluchtursachen bekämpfen und die EU-Außengrenze besser schützen. Im Prinzip decken sich diese Punkte weitgehend mit Ihren Äußerungen.
Wir müssen uns in Anbetracht der Lage immer wieder aufs Neue vor Augen führen, dass die gegenwärtige Dynamik derGeschehnisse besorgniserregend ist. UnserHandlungsspielraum ist angesichts der aktuell kolportierten Schätzungen von bis zu 1,5 Mio. Flüchtlingen in diesem Jahr sehr begrenzt. Das betrifft bereits die rein organisatorischen Aspekte. Die kulturellen Probleme und die Frage nach der Leistbarkeit der in diesem Zusammenhang notwendigen Integration jener, die in Deutschland bleiben dürfen, werden über Jahre große Anstrengungen erfordern.
Deshalb sind viele meiner Kollegen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (so wie auch ich) der Meinung, dass esderzeit bei der Bewältigung der Flüchtlingsherausforderungen alles andere als rund läuft, weil die nicht vorhersehbare Größe des Zustroms und die Vielschichtigkeit des Problems mit denvorhandenen Kapazitäten nicht ohne weiteres zu bewältigen sein werden. Deshalb von einem Versagen der Bundesregierung auszugehen, wäre aber nicht richtig. Vor allem dann nicht, wenn sich das Problem nicht einfach durch das Umlegen eines Schalters in Luft auflösen lässt. Dennoch erachte auch ich es als unabdingbar, dass die PolitikMaßnahmen ergreift und durchsetzt, damit die Flüchtlingsströme eingedämmt werden und zugleichabgelehnte Asylbewerber unverzüglich rückgeführt werden. Denn das Asylrecht lebt von seiner uneingeschränkten Durchsetzung - Anerkennung bei Asylgrund einerseits und konsequente Rückführung abgelehnter Antragsteller andererseits. Mittelfristig wäre unser Land ansonsten finanziell und gesellschaftlich überfordert, da stimme ich Ihnen vollumfänglich zu. In diesem Zusammenhang gelten für mich zuvorderst das Wohl und der Schutz unseres Landes und seiner Bürger als Leitlinien meines politischen Handelns. Die Möglichkeiten zur Hilfe müssen sich daran orientieren.
Was nutzt es auf lange Sicht, wenn der Zusammenhalt unserer Gesellschaft an der Herausforderung zerbräche? Damit wäre niemanden geholfen. Folglich gibt es natürlich faktische (Ober-)Grenzen bei der Zahl der Asylbewerber, die wir aufnehmen können. Das betrifft auch die Frage nach der Gerechtigkeit.
Fakt ist, dass gerade einmal etwa 10 % der Menschen, die nach den bisherigen Regeln überhaupt bei uns bleiben dürfen, unter das Asylrecht des Art. 16a GG fallen. Der ganz große Rest erhält Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Auch dies ist ein Beispiel für die Notwendigkeit der Anpassung und Neujustierung des Asylrechts.
Einen ersten wichtigen Schritt sind wir mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz gegangen, wodurchbeispielsweise der Umgang mit Bargeldzahlungen in Ersteinrichtungen neugeordnet wurde, um falsche Anreize abzubauen. Zudem haben wir hier die Liste der so genannten sicheren Drittstaaten um Albanien, Montenegro und Kosovo erweitert. Ein überfälliger Schritt, da sich CDU und CSU bereits bei der Entscheidung über die Erweiterung der Liste der sicheren Drittstaaten um Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien im April 2014 um eine „große Lösung“ (alle West-Balkanstaaten) bemüht hatten. SPD und Grüne verhinderten dies jedoch mit Hilfe des Bundesrats. Allein aus diesen Ländern stammen 23,1% der Antragsteller im Monat September - allesamt Antragsteller ohne Bleibeperspektive.
Hoffnung setze ich in den Umstand, dass die Bundesregierung auf Initiative der Kanzlerin zusammen mit den Ländern an einer schnelleren und strikteren Abschiebung aller abgelehnten Asylbewerber arbeitet. Hier gibt es, wenn ich mir die Abschiebestatistiken betrachte, bei den dafür zuständigen Bundesländern - insbesondere in Niedersachsen - noch ganz erheblichen Nachholbedarf. Mindestens ebenso unverständlich ist mir aber in diesem Zusammenhang, dass die niedersächsische Landesregierung dem Beschluss zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes im Bundesrat im vergangenen Monat nicht zugestimmt hat.
Für den Schutz von Land und Bürgern ist es natürlich auch notwendig, dass wir die Grenzen unseres Landes sichern. Da gebe ich Ihnen Recht. Alles andere wäre die faktische Aufgabe von Staatlichkeit und Souveränität. Ich bin mir im Klaren darüber, dass es in der Umsetzung schwierig ist, die Grenze gegen den Zustrom von Menschen zu sichern. Für mich bedeutet das zum einen mehr Personal für diezuständigen Behörden. Die am vergangenen Wochenende von CDU und CSU getroffene Einigung über die Einrichtung von Transitzonen könnte hier ein wichtiger Teil der Lösung sein.
Darüber hinaus braucht es aber vor allem eine europäische Lösung. Die jetzigen Flüchtlingszahlen sind nur im Rahmen einer europäischen Lösung zu bewältigen. Ich unterstütze deshalb die Anstrengungen von Bundeskanzlerin Merkel, durch gemeinsames Handeln im Europäischen Rat endlich zu einer gerechten und ehrlichen Lastenverteilung in Europa zu kommen.
Hierzu zählen für mich vor allem folgende Punkte:
- Einrichtung von Hotspots in den Herkunftsländern/-regionen und an den EU-Außengrenzen zur Bearbeitung von Asylanträgen und zur Koordinierung von der Verteilung der Flüchtlinge,
- engmaschige Überwachung des Seegebiets an den EU-Außengrenzen zur Unterbindung von Schleppertätigkeiten und lebensgefährlichen Überfahrten der Flüchtlinge,
- engmaschige Überwachung der EU-Außengrenzen,
- die Einrichtung von Transitzonen zur Trennung von Flüchtlingen und Menschen ohne Bleibeperspektive durch Schnellverfahren analog den Transitzonen an den Flughäfen in München, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und Berlin-Schönefeld,
- die Aussetzung des Familiennachzugs für Antragsteller mit subsidiärem Schutz für die Dauer von 2 Jahren
- und vor allem Quotierung der Flüchtlingsaufnahme durch die EU-Mitgliedsstaaten.
Seien Sie versichert, dass die Kanzlerin ebenso wie die Regierungsmitglieder von CDU und CSU in allen europäischen Gremien und gegenüber den europäischen Partnern mit allem notwendigen Nachdruck auf die Rückkehr zur Einhaltung des europäischen Rechtsrahmens drängt. Denn es kann nicht sein, dass in der europäischen Werte- und Rechtsgemeinschaft bindende Rechtsakte wie das Dublin-Abkommen, das den Umgang mit Asylbewerbern und Flüchtlingen zwischen den Mitgliedsstaaten regelt, von einigen Mitgliedsstaaten faktisch außer Kraft gesetzt werden.
Neben all diesen Anstrengungen geht es aber vor allem darum, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen sich erst gar nicht auf die Weg nach Europa begeben. Nur wenn die Menschen inder Nähe ihrer Heimat oder zumindest in ihrer Region bleiben können, werden sie am Wiederaufbau ihres Landes mitwirken können und wollen. Umso weiter die Menschen sich aber vonihrer Heimat entfernt haben, umso schwerer sind sie bei Rückkehr des Friedens vor Ort zu einer Rückkehr in ihre angestammte Heimat zu bewegen. Dies zu ermöglich, kostetsicherlich auch sehr viel Geld - ist aber gut investiert. Dieses Vorgehen wird auf lange Sicht sicherlich allemal günstiger sein, als alle Menschen bei uns aufnehmen zu wollen undnotfalls dauerhaft zu alimentieren. Deshalb begrüße ich auch, dass die EU beschlossen hat, kurzfristig eine Milliarde EUR für die Flüchtlingslager in der Krisenregion zur Verfügung zu stellen. Ebenso unterstütze ich es, dass die Bundeskanzlerinnach schwierigen Verhandlungen der Türkei 3 Mrd. EUR in Aussicht gestellt hat, um die Situation der Flüchtlinge in der Türkei nachhaltig zu verbessern und damit die Menschen zum Bleiben zu bewegen.
Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich wie bisher nach Kräften dafür einbringe, damit unser Land die Herausforderungen der Flüchtlingswellen bewältigt. Meine Kollegen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und ich werden deshalb die anderen Parteien, die uns schon beim Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (Stichworte: sichere Drittstaaten und Abschiebungen) an vielen wichtigen Stellenversucht haben, auszubremsen, argumentativ stellen werden.Schritt für Schritt werden wir Ihnen die notwendigen Anpassungen der Asylregeln abtrotzen, weil die besondere Entwicklung dies erfordert.
Mit freundlichen Grüßen
Heiko Schmelzle MdB