Frage an Hanns-Dieter Schlierf von Dimmler und Dittmar Bettina und K. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Schlierf,
bezugnehmend auf unseren Brief an Sie möchten wir folgende Fragen an Sie richten:
- Unterstützen Sie den Direktzugang der Patienten zur Ergotherapie, d.h. dass das Modellvorhaben (§63 Abs. 3b SGB V)im Pflegerweiterungsgesetz, derzeit vorgesehen für die Physiotherapie schnellstmöglich auch für die Ergotherapie um- und im Bundestag durchgestzt wird?
-Setzen SIe sich dafür ein, dass die derzeit herrschende Arztzentriertheit und auch wirtschaftliche Abhängigkeit überwunden wird?
Mit freundlichen Grüßen
B. Dimmler und K. Dittmar
Sehr geehrte Frau Dimmler!
Sie stellen mir eine ganz einfache Frage und ich bin erst einmal ausgerechnet auf meinem Spezialgebiet, der Gesundheitspolitik, in der Zwickmühle.
Am liebsten würde ich Ihre Frage mit einem klaren "JA" beantworten. Das Problem liegt aber sehr viel tiefer:
In unserem Gesundheitssystem soll nach dem Willen meiner Partei und auch nach meinem Willen gelten: "Gesundheit ist keine Ware!"
Wenn der Bürger eine Dienstleistung wie Ergotherapie (nehmen wir vielleicht lieber ein anderes Beispiel, weil das für die Mehrheit besser verständlich und ganz ähnlich gelagert ist) oder eine Massage in Anspruch nehmen will, kann er das tun, indem er einfach in eine Massagepraxis geht und sich eine Massage kauft. Das ist in Ordnung und soll auch so laufen. Diese Leistung muss er bezahlen. Damit werden die Bürger, die nicht so viel Geld haben, von dieser Leistung ausgegrenzt.
In einem Gesundheitssystem wie dem unseren war es bisher so, dass Massagen vom Arzt verschrieben wurden, der Patient also diese Leistung kostenlos bekam. Die Leistung war natürlich nicht wirklich kostenlos, weil alle Beteiligten am Gesundheitssystem, also Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit ihren Beiträgen zur Krankenversicherung bezahlten.
Mit der sogenannten Kostenexplosion im Gesundheitswesen - die es übrigens auf diesem Gebiet nie gab - wurden einerseits Zuzahlungen für solche Leistungen und andererseits Budgets für die Ärzte geschaffen. Wenn diese Leistung etwas zu häufig verordnet wurden liefen die Ärzte jetzt Gefahr, selbst bezahlen zu müssen.
Das Ganze ausgesonnen haben sich Gesundheitsökonomen, die darüber schlaue Bücher geschrieben haben aber nie einen Patienten selbst behandelt haben.
Gleichzeitig werden die im Gesundheitswesen Beschäftigten mit massiven bürokratischen Hemmnissen beschwert. Dazu zählen aus meiner Sicht auch weit überzogene Forderungen nach Qualitätssicherung. Kleineren Einrichtungen - insbesondere im ambulanten Bereich - können diese nur noch unter sehr erschwerten Bedingungen erfüllen. Außerdem entsteht eine massiven Bindung von personellen Kräften.
Auch das ist wieder von den o.g. Gesundheitsökonomen propagiert, die vom Ablauf in einer ambulant tätigen Gesundheitseinrichtung entweder keine Ahnung haben oder diese eigentlich zerstören wollen.
Sie als im ambulanten Gesundheitswesen Tätige haben sicher in den letzten Jahren in sehr großem Umfang durch Fortbildungsmaßnahmen Kompetenz hinzugewonnen.
Ärzten wurden durch Budgetierung und Zeitdruck Eingehen auf die wirklichen Bedürfnisse der Patienten stark erschwert.
Nun ist eine Situation entstanden, in der Sie und ähnliche "Leistungsanbieter" im Gesundheitssystem sich von der Verordnung des Arztes ablösen wollen.
Das ist aus Ihrer Sicht nur zu verständlich, verändert aber weiter die gesundheitspolitische Situation in die Richtung, dass medizinische Leistungen zur Ware werden, denn sie müssen gekauft werden. Bezahlen muss das Ganze der Bürger doppelt: sehr hohe Krankenversicherungsbeiträge und die ihm eigentlich zustehende Massage (oder in Ihrem Fall Ergotherapie).
Hätten wir ein anderes Gesundheitssystem, zum Beispiel das französische, würde meine Antwort sicher anders ausfallen. Für unseres aber kann ich nur sagen: Gesundheit ist keine Ware. Der Bürger hat mit seinen hohen Krankenversicherungsbeiträgen ein Anrecht darauf, Leistungen, die ihm zustehen nach Indikation des Arztes ohne den Druck der Budgetierung ohne Zuzahlung zu erhalten.
Deshalb lehne ich eine Öffnung des Systems ab, die letztlich die Herausnahme von Massagen und anderen Leistungen aus der Finanzierung durch das solidarische Gesundheitssystem vorsieht.
Würden die Leistungen im Nachhinein von der Krankenkasse bezahlt, wäre das eine weitere Verschärfung der Bürokratie. Noch mehr Geld würde von der eigentlichen Arbeit am Patienten abgezogen.
Schon jetzt beträgt der Anteil der ambulanten ärztlichen Leistung nur noch 15% der Krankenkassenbeiträge obwohl hier weit über 90% aller Fälle behandelt werden.
Vor ca. 20 Jahren war dieser Anteil noch bei 23%. Inzwischen kamen viele Leistungen hinzu wie Kernspintomografie, ambulant durchgeführte Herzkatheter und ähnliche Leistungen, die Patienten werden wesentlich früher aus dem Krankenhaus entlassen. Damit wird der Aufwand des ambulant tätigen Arztes weiter erhöht.
Der zugegebene Anteil der Bürokratie im Gesundheitswesen beträgt derzeit 8% mit ansteigender Tendenz.
Es muss wieder mehr Geld in den Bereich der ambulanten ärztlichen Leistung damit der Arzt seine Funktion als Anwalt des Patienten wieder erfüllen kann. Dann haben Sie mit Ihrer Ergotherapie auch wieder genügend Zuweisungen und können vernünftig arbeiten ohne sich um Ihre Patienten wie auf dem übrigen Markt durch Werbemaßnahmen zu streiten.
Im Grunde ist also die Frage: neoliberale Öffnung des Gesundheitsmarktes und Wettbewerb um die Ware Gesundheit oder sozial abgesichertes Gesundheitssystem mit dem Bürger als Patienten.
Ich bitte Sie, diese Gesichtspunkte zu überdenken.
Ich weiß, dass Ihnen von anderer Seite die sogenannte Freiheit schmackhaft gemacht wird. Überlegen Sie aber bitte, was das für einen Rattenschwanz nach sich zieht.
Mit freundlichen Grüßen
Hanns-Dieter Schlierf