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Gabriele Molitor
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Frage von Helmut H. •

Frage an Gabriele Molitor von Helmut H. bezüglich Recht

Betreff: Atompolitik

Sehr geehrte Frau Molitor,

während des letzten Jahres waren zeitweise 6 Atomkraftwerke nicht am Netz – ohne Folgen. Die Atomindustrie hat während der Diskussion um die neue Gesetzeslage mit dem Abschalten aller Atomkraftwerke kokettiert – vermutlich sieht sie dies ggf. für folgenlos an. Viele Stadtwerke haben die Zeit seit dem Atomausstiegsbeschluss genutzt und in moderne, dezentrale Energieversorgung investiert – die Atomindustrie hat die Zeit hierfür nicht genutzt. Die Mehrheit der Öffentlichkeit sieht keine Werte entstehen, die dieses rechtfertigen, die Stadtwerke werden ausgebremst!

Die Bundesregierung will den Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda“ aufheben und den „Ausstieg aus dem Ausstieg“ vollziehen. Die Atomindustrie wird dadurch für Versäumnisse (Kraft-Wärme-Kopplung, Anpassung der Netze …) belohnt, die Mehrheit der Bevölkerung vor den Kopf gestoßen!

Zitate (DLF, Presseschau, 2.11.10):
"[…] Warum zum Beispiel kann nicht, wie es jetzt klug Norbert Lammert begründet hat, der Bundesrat angehört werden, wenn es um eine so strittige Entscheidung […] geht?" Frankfurter Rundschau
"[…]. Dabei prangert Lammert nur an, was das Gros der Parlamentarier denkt: Die Bundesregierung will den Atom-Deal möglichst lautlos durchboxen",
LÜNEBURGER LANDESZEITUNG
"[…] Lammert gibt seit geraumer Zeit seiner Sorge Ausdruck, dass die parlamentarische Demokratie draußen im Lande immer weniger geachtet und das Parlament sogar als Trickkiste verachtet wird, […]."
Tagesspiegel

Folgende Fragen an Sie:

1) Warum haben Sie der entsprechenden Gesetzesvorlage der Regierung zugestimmt?

2) Welche Gründe können Sie nennen, dass für den „Ausstieg aus dem Ausstieg“ der oben zitierte Grundsatz nicht gilt, aber – im Gegensatz dazu – für Stuttgart 21 weiter gelten soll?

3) Warum will die Regierung – mit dem Risiko eines BVerfG-Urteils gegen sie – die Länder nicht in die Entscheidung einbinden?

Danke für Antwort im Voraus.

Beste Grüße nach Berlin
Helmut Höft

Porträtfoto Gabriele Molitor
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Höft,

haben Sie vielen Dank für Ihre E-Mail vom 3. November 2010, in der Sie mich um eine Stellungnahme zu der Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke bitte. Gerne werde ich Ihnen meine Position darlegen.

Ich verstehe Ihre Bedenken hinsichtlich der erreichten Verhandlungskompromisse. Als Realpolitikerin habe ich der von Ihnen angesprochenen Gesetzesvorlage zur Laufzeitverlängerung aber dennoch zugestimmt, da wir die Atomkraft als Brückentechnologie in ein Zeitalter regenerativer Energien benötigen. Durch den von rot-grün verabschiedeten Atomausstieg wären wir nicht umhin gekommen, Atomstrom aus Tschechien oder Frankreich zu importieren, da eine flächendeckende Versorgung durch Solar- oder Windenergie bis zu dem geplanten Ausstieg nicht ermöglicht werden konnte. Im Moment werden nur 16 Prozent unseres Energiebedarfs aus diesen Quellen gespeist. Bevor wir eine 100-prozentige Versorgung durch Solar- und Windenergie erreichen, benötigen wir eine verlässliche Stromversorgung. Mit dem jetzt verabschiedeten Konzept wollen wir bis 2050 einen Versorgungsgrad von etwa 80 Prozent erneuerbaren Strom bis 2050 erreichen und die CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent senken. So ehrgeizig war keine Vorgängerregierung.

Die längeren Laufzeiten werden nach dem Alter der Anlagen differenziert und anhand entsprechender Strommengen klar festgeschrieben. Die Laufzeit der Kraftwerke, die vor 1980 in Betrieb gingen, wird um 8 Jahre verlängert, die der jüngeren Anlagen um 14 Jahre. Zusätzlich werden die Anforderungen an die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke erweitert. Rot-Grün hatte in ihrem Atomvertrag noch höhere Sicherheitsanforderungen ausgeschlossen und den Stromkonzernen den Verzicht auf steuerliche Belastungen vertraglich zugesichert. Das war ein Deal gegen mehr Sicherheit, obwohl die Kraftwerke laut Rot-Grün noch mehr als zwanzig Jahre weiter laufen sollten. Wir erhöhen die Sicherheitsauflagen nun per Gesetz.

Bedauerlicherweise hat die rot-grüne Bundesregierung die Erkundungen für ein Endlager in Gorleben durch ein Moratorium gestoppt. Erst seit kurzem wird hier wieder geforscht. Ich unterstütze diese Erkundungen, denn die jahrelange Verleugnung der Endlagerproblematik durch rot-grün und die große Koalition hat uns in dieser leider bestehenden Problematik kein Stück weitergebracht. Ob man die Atomkraft unterstützt oder nicht, ist dabei zweitrangig – der Müll ist da und wir müssen unserer Verantwortung für eine sichere Lagerung gerecht werden.

Das Energiekonzept sieht vor, dass eine Brennelementesteuer erhoben wird. Diese bringt 2,3 Milliarden Euro ein, die zur Förderung Erneuerbarer Energien verwendet werden können. Hinzu kommen bis zu 15 Milliarden Euro, die von den Stromversorgern während den verlängerten Laufzeiten in einen Klima- und Energiefonds eingezahlt werden sollen. Mit dieser Abschöpfung von Zusatzgewinnen und zusätzlichen Finanzbeiträgen aus der Versteigerung von CO2-Emissionsrechten werden FDP und Union das größte staatliche Programm für erneuerbare Energien und Energieeffizienz finanzieren, das jemals in Deutschland aufgelegt wurde. So werden wir die Energiewende verlässlich, sicher und wirtschaftlich erreichen. Im Gegensatz zu den Grünen stimmen wir nicht nur gegen oder für etwas, sondern wir setzen tragfähige und nachhaltige Konzepte um. Das die Grünen diesem Anspruch realer Politikgestaltung und Verantwortung für unser Land nicht ernstnehmen zeigt allein die Tatsache, dass sie den Ausbau der für den Transport der regenerativen Energie benötigten Stromnetze ablehnen. Ohne verlässliche Transportwege kann die Windenergie aus den Offshore-Parks der Nordsee aber nicht quer durch Deutschland transportiert werden. Nur durch den Ausbau der Stromnetze kann der unbegrenzte Einspeisevorrang Erneuerbarer Energien bestehen bleiben. Nur so gelangen die Erneuerbaren ungebremst nach ihren Möglichkeiten ins Netz. Der eigentliche Wettbewerb findet dann zwischen fossilen Kraftwerken und Kernkraftwerken statt. Vor dieser Entwicklung und den bereits beschriebenen realen Notwendigkeiten der Energieversorgung verschließen leider viele Atomkraftgegner die Augen. Diese Einstellung wird uns aber nicht voranbringen. Daher unterstütze ich das mutige schwarz-gelbe Energiekonzept.

Ähnlich verhält es sich mit dem von Ihnen gezogenen Vergleich zwischen Laufzeitverlängerung und dem Ausbau des Stuttgarter Bahnhofs. Die Planungen für Stuttgart 21 wurden in den vergangenen 16 Jahren auf allen Kommunal- und Landesebenen öffentlich diskutiert. Auch der Bundestag hat hierzu Plenardebatten abgehalten. Im Ergebnis haben sich bei den demokratischen Abstimmungen stets die Befürworter des Umbaus durchgesetzt. Nichtsdestotrotz sind die Proteste der Bürgerinnen und Bürger legitim – sowohl im Hinblick auf den Bahnhof als auch im Hinblick auf die Laufzeitverlängerung. Allerdings sehe ich in diesen Protesten keine Mehrheitsmeinung, sondern den Ausdruck kritischer Politikbegleitung durch die Gesellschaft. Das ist richtig und zu unterstützen. Protestbewegungen können und dürfen aber nicht die legitime und über Jahre erfolgte parlamentarische und demokratische legitimierte Auseinandersetzung ersetzen. Vor diesem Hintergrund halte ich einen Ausstieg aus Stuttgart 21 für nicht realistisch. Das auch eine Stromversorgung durch regenerative Energien bis zum von rot-grün geplanten Ausstieg unrealistisch ist, habe ich bereits dargestellt.

Im Hinblick auf mögliche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes erlaube ich mir keine Prognose möglicher zukünftiger Entscheidungen. Nach meiner Auffassung ist das Energiekonzept und damit auch die Laufzeitverlängerung bereits juristisch geprüft worden. In diesem Zusammenhang sollte auch nicht vergessen werden, dass der rot-grüne Atomausstieg ebenfalls ohne die Zustimmung des Bundesrates festgelegt wurde. Diese Komponente grüner und sozialdemokratischer Empörung über das verantwortungsvolle und nachhaltige Vorgehen der schwarz-gelben Regierung wird leider viel zu oft unter den Teppich gekehrt. Als Nichtjuristin werde ich die rechtlichen Debatten auch weiterhin mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.

Ich hoffe, dass ich Ihnen meine Position – auch wenn wir unterschiedlicher Auffassung sind – mit meinen Ausführungen hinreichend darlegen konnte und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Gabriele Molitor