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Fabio De Masi
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Frage von Reinhard G. •

Wie ist der Stand beim gerichtlichen Verfahren gegen Frau Ursula van der Leyen wegen des Korruptionsvorwurfes? Welche Vorschlage haben Sie, um Korruption in der EU zu bekämpfen?

Sehr geehrter Herr De Masi,

Zitat vom 26.4.24: "Ein belgisches Gericht wird am 17. Mai eine Anhörung abhalten, um zu entscheiden, ob die belgische oder die europäische Staatsanwaltschaft für die weitere Untersuchung der „Pfizergate“-Affäre zuständig ist, in die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verwickelt ist.

Im April 2021 brachte die New York Times die sogenannte „Pfizergate“-Affäre ans Licht. Sie enthüllte, dass die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, während der Pandemie mit dem CEO von Pfizer, Albert Bourla, einen Vertrag über 1,8 Milliarden COVID-19-Impfdosen ausgehandelt hatte. ...."

https://www.euractiv.de/section/gesundheit/news/pfizergate-klage-gegen-von-der-leyen-belgisches-gericht-entscheidet-ueber-zustaendigkeit/

Welches Gericht entscheidet eigentlich über die Zuständigkeit? Wie denken Sie über diesen Fall? Erheben Sie Forderungen? Wie kann die Korruption in der EU-Verwaltung verhindert werden?

MfG

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Antwort von
BSW

Sehr geehrter Herr G.,

ich gehörte zu den wenigen Politikern in Deutschland, die immer wieder auf das Pfizer-Gate, die Ermittlungen der europäischen Staatsanwaltschaft hierzu und auch die - aus meiner Sicht - unzureichende Medienberichterstattung dazu in Deutschland hingewiesen haben. Es ist inakzeptabel, dass die deutsche EU-Kommissionspräsidentin dem Parlament rechtswidrig Unterlagen vorenthält.

Siehe dazu auch:

https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/fabio-de-masi-energische-kampfansage-an-ursula-von-der-leyen-li.2212834

sowie https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/pfizer-nachrichten-ermittlungen-gegen-ursula-von-der-leyen-erreichen-bundestag-li.2206864

Wenn Kommissionspräsidentin von der Leyen sagt, sie wolle künftig die Rüstungsbeschaffung nach dem "erfolgreichen Vorbild der Impfstoffbeschaffung" organisieren (meint sie etwa Milliardendeals per SMS ?) wird mir angst und bange. Es würde mich nicht überraschen, wenn Politiker (wie bei den Maskendeals) die Aufrüstung im Zuge des Ukraine-Krieges (Zeitenwende) für private Vorteile genutzt hätten (etwa Aktienkäufe von Rheinmetall). Ich fordere daher etwa ein Verbot bzw. mindestens eine strenge Meldepflicht für Aktiengeschäfte von Politikern und ein Verbot des Insiderhandels, wie ich unter anderem hier ausgeführt habe.

https://financefwd.com/de/insiderhandel-de-masi-kolumne/

Das BSW will ein verpflichtendes und EU-weit vernetztes Transparenzregister für Lobbyorganisationen. Das BSW unterstützt auch weitergehendere Forderungen nach Einführung von verbindlichen Lobby-Registern auf EU- und nationaler Ebene, die Transparenz über die Einflussnahme sowohl von Drittstaatsregierungen als auch allen anderen Formen der Einflussnahme auf EU-Entscheidungen, für alle Arten von Lobbyorganisationen gewährleisten. Die Registrierung sollte rechtlich bindend sein und qualitativ hochwertige und detaillierte Informationen zu Budgets, Lobbythemen und ggf. Verträgen veröffentlichen sowie mit Sanktionen durchgesetzt werden. Das bisherige Versagen von Europäischem Parlament (EP) und Kommission, die jüngsten Skandale des Qatar-Gates wie auch die „Pfizer-Deals“ von Ursula von der Leyen konsequent aufzuarbeiten, unterstreichen die Notwendigkeit einer externen Ethik-Kommission und die Verschärfung der bestehenden Regularien. 

Der Einfluss von derzeit über 30.000 Lobbyisten in Brüssel, von denen über 70 % für Unternehmen und Wirtschaftsverbände arbeiten, auf die Politik der europäischen Institutionen untergräbt die Demokratie. Korruptionsskandale wie das „Qatar-Gate“ im EU-Parlament Ende 2022 oder die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen per SMS mit dem Pharma-Konzern Pfizer verhandelten Corona-Impfstoff-Verträge, sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Das Problem des EU-Lobbyismus ist grundsätzlicher:  

Lobbyorganisationen mit Wirtschaftsmacht beeinflussen den Gesetzgebungsprozess durch Hinterzimmer-Deals mit Politikern und EU-Beamten, lancieren konkrete Textvorschläge für Rechtsakte und sind in „Stakeholder-Konsultationen“ und Expertengremien überproportional vertreten. Die Einflussnahme von Lobbyorganisationen aus dem Umfeld von Big Tech, Big Finance und auch dem Rüstungssektor erfolgt in der Regel jenseits der öffentlichen und parlamentarischen Sichtbarkeit. Darüber hinaus besteht ein massives Ungleichgewicht unter den verschiedenen Interessensgruppen – Unternehmens-ferne NGOs, Gewerkschaften, Sozialverbände verfügen zumeist über deutlich weniger finanzielle Ressourcen und haben weniger Zugänge zu den politischen Entscheidungsträgern. 

Zivilgesellschaftliche „watch dogs“ wie etwa die NGOs Corporate Europe Observatory, LobbyControl und auch Transparency weisen seit Jahren darauf hin, dass die bestehenden Regelungen wie das aktuelle EU-Transparenzregister zu lückenhaft, nicht verbindlich und – auf EU wie nationaler Ebene – zu schlecht durch- und umgesetzt werden. Auch die im Zuge des Qatar-Gates eingeleiteten Initiativen, wie die von der Kommission für Ende Mai angekündigte Richtlinie zu „Transparenz verdeckter Eingriffe durch Drittländer“, ist nach Einschätzung von Beobachtern unzureichend und mit schweren Mängeln behaftet. Sie soll vor allem NGOs, nicht aber Beratungs-Firmen (Consulting), Anwaltskanzleien und Denkfabriken in den Fokus nehmen, obwohl diese in untersuchten Lobbyismus-Fällen weitaus mehr Einfluss ausübten.

Wir brauchen zudem transparente und öffentlich zugängliche Datenbanken über die Verwendung von EU-Haushaltsmitteln. Das BSW fordert darüber hinaus eine stärkere parlamentarische Kontrolle der EU-Haushaltspolitik – d.h. konkret: der EU-Kommission - auf nationaler und europäischer Ebene: Einerseits muss die Rolle des EP bei der EU-Haushaltskontrolle gestärkt werden, denn im Rahmen des gegenwärtigen Entlastungsverfahrens kommt dem Parlament lediglich eine Rolle als „Legitimierungsorgan“ zu. Die Entlastung der Kommission durch den Haushaltskontrollausschuss des EU-Parlaments (auf Empfehlung des Rates) erfolgt einmal jährlich – aber nur für den Etat des vorletzten (!) Haushaltsjahres. So führt dieses Verfahren logischerweise nicht zu unmittelbaren Konsequenzen, wie etwa das Einfrieren von Zahlungen aus dem EU-Haushalt, sondert fungiert faktisch lediglich als „Barometer“ des Ver- oder Misstrauens der EP gegenüber der Kommission.  

Dem EU-Haushaltsverfahren mangelt es an Transparenz. Dies betrifft einerseits das Verfahren zur Aufstellung des EU-Haushalts bzw. sowohl des Mehrjährigen Finanzrahmens als auch der jährlichen Haushalte – hier haben Öffentlichkeit und Parlamente der Mitgliedstaaten immer weniger Einblicke und Einflussmöglichkeiten auf die „Deals“, die die Regierungen mit der EU-Kommission und dem EU-Parlament in den oft jahrelangen Verhandlungen abschließen. Zudem entziehen sich EU-Agenturen der effektiven parlamentarischen Kontrolle. Auch auf EU-Ebene gibt es zudem Sondervermögen, die sich der parlamentarischen Kontrolle entziehen. 

Beste Grüße

 

Fabio De Masi