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Ekin Deligöz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Maria S. •

Frage an Ekin Deligöz von Maria S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Deligöz,

Ich muss im Rahmen meines Studiums ein Vortrag über die Kopftuch Debatte halten und wäre sehr erfreut wenn Sie mir 2 Fragen dazu beantworten könnten.

1) Inwiefern kann/soll die Schule religionsfrei bleiben, ohne das Persönlichkeitsrecht der Lehrer zu verletzen?

2) Verstößt das Kopftuchverbot in einigen Bundesländer gegen das Gleichheitsrecht bzw. Recht der Religionsfreiheit und Recht auf freie Entfaltung?

Ich würde mich sehr über eine Antwort von ihnen freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Maria Schulz

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Schulz,

die Frage, inwiefern es sich beim Kopftuch um ein religiöses Symbol bzw. eine religiös begründete Bekeidungsregel handelt, ist unter Muslimen (und auch bei den Grünen) umstritten. Ich persönlich halte das Kopftuch für überflüssig und habe wenig Verständnis für Begründungen einer angeblichen Kopftuchpflicht für Musliminnen, denen ein Geschlechterbild zugrunde liegt, das mit Gleichberechtigung wenig zu tun hat. Noch weniger Verständnis habe ich dafür, wenn Frauen zum Kopftuchtragen genötigt werden. Auf der anderen Seite weiß ich, dass die Motivationen für das Tragen des Kopftuches vielfältig sind und halte es zumindest für möglich, dass es Lehrerinnen gibt, die das Kopftuch aus einer religiösen Motivation (die ich nicht teile, aber respektiere) freiwillig tragen, ohne anderen ihre Sichtweise aufzwingen zu wollen. Wenn diesen Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs im Unterricht verboten wird, ist das in der Tat ein Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht und kommt einem Berufsverbot nahe. Zu berücksichtigen ist aber auch das Persönlichkeitsrecht und die Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler. In dieser Dilemmasituation gibt es meines Erachtens nicht die eine perfekte Lösung, aber zu beachtende Grundsätze. So verstehe ich auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das es den Bundesländern überlassen hat, unterschiedliche Wege zu gehen, bei denen aber immer der Grundsatz der Gleichbehandlung beachtet werden muss. Die Länder können entweder jedwede religösen Symbole im Unterricht untersagen oder alle zulassen. Ihre konkreten Fragen beantworte ich entsprechend wie folgt:

1. Öffentliche Schulen dürfen nicht religiös dominiert werden. Aber die Freiheit, sich zu einer religiösen Überzeugung zu bekennen, sollte Schülerinnen wie auch LehrerInnen möglich sein. Um die Religionsfreiheit aller am besten zu gewährleisten, ist der Staat zur religiös-weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Mit gutem Grund sind etwa staatlich angeordnete Kruzifixe in Klassenräumen vom Bundesverfassungsgericht untersagt worden. Bei Lehrerinnen und Lehrern stellt sich die Frage, ob religiös motivierte Symbole an ihrem Körper eher ihrer Privatsphäre zuzuordnen sind oder ob ihre Eigenschaft als staatliche Beamtinnen und Beamten, die zur Zurückhaltung verpflichtet sind, schwerer wiegt. Nach meiner Auffassung ist die Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler am besten geschützt, wenn sich die entsprechende Neutralität der Lehrerinnen und Lehrer auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild niederschlägt.

2. Wie immer die landesgesetzliche Lösung der Kopftuchfrage aussieht und wie dabei die Religionsfreiheit von Lehrenden und Lernenden austariert wird - in jedem Fall muss dem Gleichbehandlungsgebot entsprochen werden. Entweder alle religiösen Symbole und religiös motivierten Kleidungsstücke werden untersagt oder gar keine. Oder es gibt auf Schulebene Einzelfallösungen, die aber ebenfalls von Kriterien geleitet sein müssen, die alle gleich behandeln. Alle Landesgesetze, die dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen, halte ich für falsch. Anti-Kopftuch-Gesetze, die Ordenstracht, Kreuzkettchen usw. weiter zulassen, sind meines Erachtens verfassungswidrig. Und das Grundgesetz sollten wir ernst nehmen, wenn wir zu Recht von allen die Anerkennung der darin niedergelegten Grundsätze fordern.

Mit freundlichen Grüßen

Ekin Deligöz

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