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Eckehart Ehrenberg
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Frage von Stephanie A. •

Frage an Eckehart Ehrenberg von Stephanie A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Ehrenberg,

welche Erfahrungen haben Sie im Wahlkampf gemacht, insbesondere auch unter dem Aspekt der Chancengleichheit?
Glauben Sie, daß das Gebot der gleichen Chancen auch für die Vertreter von kleinen Parteien in diesem Wahlkampf gewahrt worden ist?

Mit freundlichen Grüßen

Stephanie Adler

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Antwort von
DL

Sehr geehrte Frau Adler,

vielen Dank für Ihre Frage vom 13. September.

Nein, für kleine Parteien besteht in der Tat keine Chancengleichheit. Das ist bereits an relativen Kleinigkeiten zu erkennen: Auf dem Stimmzettel steht diejenige Partei ganz oben, die bei der l e t z t e n Wahl die meisten Stimmen erzielt hat. Was soll das? Genauso gut könnte man auf die Idee kommen, die Partei, welche am längsten existiert (und dem letzten deutschen Monarchen freundlicherweise die Kriegskredite bewilligt hat - mit schrecklichen Folgen, wie wir wissen) nach oben zu setzen. In Berlin fallen die genannten Kriterien dieses Mal zufällig zusammen.

Wenn Chancengleichheit existieren soll, kann das in dieser Frage nur heißen, dass das Los entscheidet.

Aber schwerwiegender ist die finanzielle Seite:

Grundsätzlich ist die staatliche Teilfinanzierung von Parteien sinnvoll, allerdings verletzt das heutige System die Chancengleichheit erheblich:

Gäbe es keine staatliche (Teil-)Finanzierung, wären die Parteien allein auf Mitgliedsbeiträge und Spenden angewiesen. Das klingt zunächst vielleicht ausreichend bzw. überhaupt wünschenswert, hätte allerdings zur Folge, dass dann nur noch das sog. "große Geld" das Sagen hätte, wie das in den USA mit den bekannten Auswirkungen der Fall ist. Außerdem wären Parteien, welche die Interessen sog. sozial Schwacher vertreten und deren Mitglieder im wesentlichen sog. Geringverdiener sind, extrem benachteiligt.

Artikel 21 des Grundgesetzes (GG) gibt den Parteien einen eigenen Status und weist ihnen die Aufgabe zu, an der "politischen Willensbildung des Volkes" mitzuwirken. Tatsächlich sind die Parteien ein elementarer Bestandteil der parlamentarischen Demokratie; ohne die Parteien gibt es ab der Landesebene keine Kandidatenaufstellung (außer Einzelbewerbern).

Natürlich sind auch andere Systeme der Kandidatenaufstellung denkbar; wir selbst, die Demokratische Linke (DL), verstehen uns in diesem Sinne z.B. mehr als WählerInnenbündnis oder Netzwerk. Nichtsdestoweniger sind wir aus rechtlichen Gründen Partei im Sinne des Grundgesetzes und des Parteiengesetzes.

Nun werden durch die gegenwärtige staatliche Finanzierung, insbesondere die Wahlkampfkostenerstattung, die etablierten Parteien massiv bevorteilt, da sich die Wahlkampfkostenerstattung und damit das Budget für die nächste Wahl nach der Zahl der bei der v o r a n g e g a n g e n e n Wahl erzielten Stimmen bemisst. Demgegenüber müssten aber v o r einer jeden Wahl die Chancen gleich verteilt sein, auch und insbesondere insoweit die staatliche Finanzierung eine Rolle spielt.

Dieses Problem ist umso gravierender, als die sog. Parteienverdrossenheit schon seit langem anhält und unter den gegebenen rechtlichen Bedingungen leider früher oder später den faktischen Tod der parlamentarischen Demokratie bedeutet. Schon heute engagieren sich in den großen, sog. "Volksparteien" im wesentlichen nur noch Karrieristen und Neurotiker.

Der Schaden ist um so größer, als die Fähigkeit, in einer großen Partei einen Posten zu ergattern und die Fähigkeit, ernste Probleme der Allgemeinheit, d.h. von uns allen, zu lösen, zwei ganz verschiedene Dinge sind. Die große Zahl offensichtlich unfähiger Ministerinnen und Minister oder - hier in Berlin - Senatorinnen und Senatorinnen verdeutlichen das Problem drastisch.

Leider folgen diese bedrohlichen Entwicklungen dem Prinzip negativer Kreisläufe bzw. negativer Rückkopplung: Sind die Zustände in den Parteien erst einmal verkommen, wollen sich immer weniger normale, vernünftige Menschen in ihnen engagieren. Das ist verständlich, hat aber zwangsläufig eine weitere Verschlechterung zur Folge.

Daher ist unser Kernanliegen die Veränderung der politischen Kultur durch innovative Praxis. In dieser Hinsicht versuchen wir etwas eigentlich Selbstverständliches zu tun: Die Form der Parteiarbeit soll es auch "normalen" Menschen, d.h. Berufstätigen, Alleinerziehenden, Arbeitslosen, Schülerinnen und Schülern etc., ermöglichen, nach Maßgabe ihrer verfügbaren Zeit und Kraft so mitzuwirken, dass es ihnen Freude macht und sie nicht den Eindruck haben müssen, als sog. "Stimmvieh" für Karrieristen missbraucht zu werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Herstellung materieller Chancengleichheit besonders wichtig. Denn die Bekanntmachung innovativer Konzepte ist in der Regel extrem von den finanziellen Mitteln abhängig. Staatliche Mittel sollte es daher nicht für erzielte Stimmen bei einer Wahl geben, sondern für Kandidaturen und die politische Arbeit einer Partei, über die Rechenschaft zu geben ist. Denn niemand soll sich an staatlichen Mitteln bereichern. Darüber hinaus plädiere ich für das Gegenteil von dem, was häufig mit scheinbar guten Argumenten verlangt wird: Der Einsatz privater Mittel von Mitgliedern und Spendern darf nicht Maßstab sein für die staatliche Parteienfinanzierung, sondern muss überhaupt verboten werden, damit die Chancengleichheit nur vom Engagement und nicht vom Geldbeutel der Parteimitglieder und ihrer Hinterleute abhängt.

Mit den besten Grüßen

Ihr

Eckehart Ehrenberg