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Frage von Silke S. •

Frage an Tim Nusser von Silke S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Nusser,

aus meiner Sicht gibt es in Deutschland eine riesen Entpolitarisierung wichtiger Dinge. Die Themen im Wahlkampf sind m.E. vor allem Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Trump, Erdogan/ Türkei, Ukraine/Putin. Stimmen Sie mir zu, dass alltägliche Dinge aus diesem Grund in den Hintergrund rutschen?
Ein Beispiel: Deutschland nimmt mehr Steuern ein, aber es gibt sehr viel Obdachlosigkeit. Es ist von 335 000 die Rede, siehe diese Link: http://www.deutschlandfunk.de/sozialstatistik-immer-mehr-obdachlose-in-deutschland.1818.de.html?dram:article_id=373118
Wozu noch Einwanderung, wenn nicht mal alle hiesigen Bürger*innen Wohnungen haben?
Ich habe eine Wohnung, in der ich ständig gestört bin, die zu klein ist. Doch ich bin krank und habe in Baden-Württemberg kaum eine Chance eine andere bezahlbare Wohnung zu bekommen. Warum investiert man nicht die massiven Steuereinnahmen zu einem größeren Teil für den sozialen Wohnungsbau? Aus meiner Sicht federt man die Folgen der Zuwanderung, der Globalisierung usw. nicht gerecht ab, stimmen Sie dem zu?

Zum anderen möchte ich Sie fragen, warum Deutschland nicht eine "große Schweiz" werden könnte? Ein souveräner Staat, ohne EU-Technokraten und EU-Bevormundung, mit sicheren Grenzen, mit Volksabstimmungen?
Sind Sie für eine Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestags auf 5 Jahre? Wäre das nicht eine weitere Entdemokratisierung?
Was wollen Sie gegen Lobbyismus tun z.B. anhand eines Lobbyistenregisters? Und was wollen Sie tun, um die Macht von Global-Player, Banken und Großerben zu beschränken?

Mit freundlichen Grüßen

S. S.

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Antwort von
FDP

Sehr geehrte Frau S.,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen!

Ich muss Ihnen zustimmen: Viele wichtige Fragen des politischen Geschehens rücken heute leider zu sehr in den Hintergrund. Besonders deutlich ist mir das im TV-Duell zwischen Bundeskanzlerin Merkel und SPD-Kanzlerkandidat Schulz aufgefallen: Ganze 20 Minuten wurde über außenpolitische Themen wie die Türkei, Nordkorea oder Trump gesprochen, aber nur 4 Minuten über innere Sicherheit und wenige Sekunden über Bildung. Polarisierende Themen, die die Berichterstattung in den Medien beherrschen, lenken leider viel zu sehr ab von wichtigen Inhalten wie Chancengerechtigkeit oder Bürgerrechte. Aber genau solche Fragen sind es, die die Politik endlich beantworten muss!

Der Wohnraummangel, den Sie ansprechen, ist besonders in Heidelberg sehr präsent. In der letzten Legislaturperiode wurde dafür die Mietpreisbremse eingeführt, die sich aber entgegen den Erwartungen der großen Koalition in eine Wohnraumbremse verwandelte und die Probleme auf dem Wohnungsmarkt nur noch verschlimmerte. Bezahlbare Wohnungen bekommen wir eher, wenn wir den Wohnungsbau ankurbeln. Wenn das Angebot bei gleichbleibender Nachfrage größer wird, sinken mittelfristig die Mietpreise. Diesen Effekt haben wir schon in London gesehen, einer Stadt, in der die Mietsituation noch angespannter ist als in deutschen Großstädten. Dort kam es im Vergleich zum Vorjahr zu einem Abfall der Mieten um 3 Prozent, nachdem viele neue Mietwohnungen auf dem Markt verfügbar wurden (https://www.bloomberg.com/news/articles/2017-06-05/london-home-rents-drop-at-steepest-rate-in-eight-years-on-glut). Statt einer Mietpreisbremse will ich daher den Bau neuer Wohnungen fördern und vereinfachen, durch weniger Bürokratie, schnellere Erteilung von Baugenehmigungen, die Reform und Verschlankung von überzogenen und komplizierten Bauvorschriften sowie eine erhöhte Abschreibungsrate für Gebäude. Die Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt keine bezahlbare Wohnung finden, möchte ich kurzfristig mit einem sachgerecht ausgestalteten Wohngeld entlasten, das der örtlichen Mietenentwicklung jährlich angepasst wird. Ein Wohngeld kommt jedem Mieter sofort zugute, diese Subjektförderung (des einzelnen Menschen) verdient daher aus meiner Sicht den Vorzug vor einer Objektförderung (der Wohnung). Es ergibt wenig Sinn, einem großen Teil der Bevölkerung einen Wohnberechtigungsschein für Sozialwohnungen auszustellen, wenn wir mittelfristig nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung Sozialwohnungen bereitstellen können. Ich möchte die Berechtigung auf Bezug einer Sozialwohnung denjenigen Bevölkerungskreisen zusprechen, die auf dem freien Wohnungsmarkt auch mit einem Wohngeldanspruch erfolglos bleiben, weil Vermieter sie trotz ihrer Zahlungsfähigkeit nicht akzeptieren.

In der Flüchtlingskrise ab 2015 war Deutschland zunehmend überfordert mit der Situation der Zuwanderung. Hier wäre ein entschiedeneres und konsequenteres Handeln auf Bundesebene notwendig gewesen, was Union und SPD aber viel zu lange blockiert haben. Einwanderung nach Deutschland muss zukünftig in geordneten Bahnen verlaufen. Dazu setzt sich die FDP schon seit 20 Jahren für ein Einwanderungsgesetz ein, das klar unterscheidet zwischen Asylanspruchsberechtigten, die in ihrer Heimat individuell politisch verfolgt werden und denen ich weiterhin dauerhaften Schutz gewähren möchte; zwischen Flüchtenden, die vor kriegerischen Auseinandersetzungen in ihrem Heimatland fliehen und denen ich temporären Schutz zusprechen will, nachdem eine friedliche Situation im Heimatland dauerhaft gewährt ist, soll die Rückkehr aber zunächst die Regel sein; und schließlich zwischen qualifizierten Einwanderern, die in Deutschland dauerhaft leben und arbeiten wollen, dafür müssen sie aber bestimmte Anforderungen erfüllen. Nach kanadischem Vorbild sollen diese Anforderungen einheitlich an ein Punktesystem geknüpft sein, das Voraussetzungen wie Bildung, Ausbildung, Sprachkenntnisse und weitere Umstände berücksichtigt. Auch über den weiteren Aufenthalt von Flüchtlingen, nachdem im Heimatland wieder Frieden herrscht, soll nach diesen Kriterien entschieden werden. So bieten wir Geflüchteten in Deutschland mit einer dauerhaften Bleibeperspektive Anreize zur Integration und zur Aus- und Weiterbildung. Wer jedoch die Voraussetzungen dieses Einwanderungsgesetzes nicht erfüllt, muss Deutschland wieder verlassen, eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme wollen wir schließlich verhindern. Dabei wünsche ich mir die freiwillige Rückkehr als Regelfall, auf den hinzuwirken ist. Abschiebungen sollen den Ausnahmefall darstellen, sind aber als letztes Mittel weiterhin beizubehalten.

Sie sprechen weiterhin Probleme wie eine Bevormundung durch die Europäische Union oder unzureichende Grenzsicherung an. Ich verstehe Ihre Sorge in diesen Punkten, befürworte aber trotzdem die zahlreichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile, die uns durch eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union zugutekommen. Stattdessen möchte ich für umfassende Reformierungen der EU eintreten, die zu mehr Transparenz und Effizienz:
Die Kompetenzen der EU müssen grundsätzlich überdacht werden. In Bereichen wie Außen- oder Asylpolitik wünsche ich mir mehr Zusammenarbeit, aber beispielsweise eine Schuldenunion oder eine EU-weite Arbeitslosenversicherung lehne ich ab, in solchen Fragen sind die Mitgliedstaaten für sich selbst verantwortlich. Weiterhin brauchen wir ein einheitliches Wahlrecht zum Europäischen Parlament, das zudem mit einem Initiativrecht ausgestattet werden soll. So wird die demokratische Legitimation des Parlaments sichergestellt. Die Grenzsicherheit im Schengen-Raum muss außerdem dringend verbessert werden. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, warum alle Mitgliedstaaten von Reisefreiheit und offenen Binnengrenzen profitieren, die Sicherung der Außengrenzen aber denjenigen Staaten obliegt, zu denen die jeweilige Außengrenze gehört. Das führt dazu, dass Staaten wie Griechenland, Italien oder Ungarn mit ihrer Grenzsicherheit überfordert sind und damit die innere Sicherheit des gesamten Schengen-Raumes gefährden. Wir brauchen daher dringend einen effektiven Schutz der Schengen-Außengrenzen, an der sich alle Staaten beteiligen. Dazu will ich die Grenzagentur Frontex zu einem echten europäischen Grenzschutz mit eigener Handlungsbefugnis und Kontrolle durch das Europäische Parlament ausbauen. Sie braucht zentrale Führung, genügend schlagkräftiges Einsatzpersonal und modernste Überwachungs- und Reaktionsmittel.
Ich unterstütze den Ausbau und Einsatz von Instrumenten der direkten Demokratie auf Kommunal- und Landesebene. Bundespolitische Themen will ich grundsätzlich den Parlamenten überlassen, wobei ich persönlich aber die Einführung von fakultativen Referenden, mit denen ein beschlossenes Gesetz durch Volksabstimmung widerrufen werden kann, befürworte.

Eine Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestags auf fünf Jahre halte auch ich für eine Verringerung der demokratischen Partizipationsmöglichkeiten, die ich entschieden ablehne.

Ein verbindliches Lobbyregister halte ich für eine geeignete Maßnahme, potentielle Interessenskonflikte deutlich zu machen. Ich selber werde im Falle einer erfolgreichen Wahl auf freiwilliger Basis als »gläsener« Abgeordneter veröffentlichen, mit wem ich mich wann und wo treffe — und das erwarte ich auch von anderen Politikern.

Ich setze mich für eine vernünftige Regulierung der Banken in Deutschland und der Europäischen Union ein. Das beinhaltet etwa klare Vorgaben bei der Abwicklung insolventer Banken, bei denen zunächst Aktionäre und Gläubiger in Haftung genommen werden müssen, bevor steuerliche Gelder bereitgestellt werden. Allein in absoluten Ausnahmefällen darf es Bankenrettungen auf Kosten der Gemeinschaft durch staatliche Kredite geben, wenn die Finanzstabilität ernsthaft gefährdet ist. Nur durch eine strikte Umsetzung gewinnt der europäische Bankenabwicklungsmechanismus an Glaubwürdigkeit und sendet das notwendige Signal an Banken und ihre Gläubiger, dass sie nicht ständig auf Staatskosten gerettet werden. Im Moment werden außerdem alle Banken auf denselben Rechtsgrundlagen reguliert, wodurch es Großbanken tendenziell leichter haben, die kleine Sparkassenfiliale vor Ort wird aber unnötig und überproportional stark belastet. Die Verschärfung von Bankenregulierungen in den letzten Jahren ist im Grundsatz richtig, trifft aber unverhältnismäßig hart kleine und mittlere Institute, von denen jedoch weniger Risiken ausgehen als von großen Kreditinstituten. Hier halte ich eine Differenzierung in der Bankenregulierung für angebracht, die das von einem Institut ausgehende Risiko angemessen berücksichtigt.

Ich hoffe, Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben.

Mit den besten Grüßen aus Heidelberg
Dennis Nusser