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Carsten Müller
CDU
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Frage von Heike R. •

Frage an Carsten Müller von Heike R. bezüglich Politisches Leben, Parteien

Sehr geehrter Herr Müller,
ich sehe mir derzeit auf youtube die Protokolle zum Frankfurter Auschwitzprozess in den 60iger Jahren an.
Es sind sehr beklemmende Zeitdokumente über Naziverbrechen, die mich sehr betroffen machen.
Einer der verurteilten Mörder damals war der SS Angehörige Oswald Kaduk.
Ein Frage drängt sich mir auf, die Sie, als Rechtswissenschaftler/Anwalt, mir vielleicht beantworten können?
Die Union beklagt, völlig zu Recht, dass die Linken sich bis heute nicht klar von der Unrechts SED distanziert haben.
Ich musste zum Glück nicht in dieser SED Unrechts-Diktatur aufwachsen.
Hat sich die CDU von ehemaligen schlimmen Nazis in den eigenen Reihen bis heute klar distanziert ? Wo/Wann ist dies transparent erfolgt?
Besagter SS-Mörder Kaduk führte im Frankfurter Auschwitz Prozess zu seiner Entlastung an, er selbst sei doch „nur ein Handlanger“ gewesen. Die wirklich Schuldigen liefen frei herum. „Wenn ich an Herrn Staatssekretär Globke denke, frage ich mich, warum wird mit zweifachem Maß gemessen.“
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Oswald_Kaduk
Hans Josef Maria Globke war Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und verantwortlicher Ministerialbeamter für die judenfeindliche Namensänderungsverordnung in der Zeit des Nationalsozialismus, aber nach 1945 nicht etwa vor Gericht gestellt, sondern von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramts unter Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Globke ist das prominenteste Beispiel für die Kontinuität der Nazi-Verwaltungseliten vom „Dritten Reich“
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Globke
Herr Müller, was bezüglich der verdrängten Vergangenheitsbewältigung bei den Linken schändlich ist, wie sieht es da mit der Glaubwürdigkeit der CDU bezüglich Adenauers besten Mann Globke aus?
Jetzt ist es Geschichte, aber wie kann ich mir heute erklären, dass Teile der NAZI Täter, zu recht, veruteilt wurden, während maßgebliche Täter, wie nachweisslich Globke, zur "grauen Eminenz“ und engsten Vertrauten des Kanzlers Adenauers "mutieren" konnte und sogar von der Adenauer Regierung, dem BND und der CIA immer geschützt wurde, trotz klare Hinweise, Beweise von Opfern aus dem Ausland?
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Globke
Warum schloss oder schließt die CDU diesen NAZI Globke nicht noch postum aus der CDU aus?
Kasernen und Straßen werden doch auch umbenannt, wenn sie noch Namen von Tätern tragen.

Mit freundlichem Gruß
H. R.

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Antwort von
CDU

Sehr geehrte Frau Rogall,

vielen Dank für Ihre abgeordnetenwatch-Frage zur Aufarbeitung der Vergangenheit der CDU in der Gründerzeit der Bundesrepublik Deutschland. Für die verzögerte Reaktion bitte ich Sie um Nachsicht.

Ich stimme Ihnen uneingeschränkt zu, die Protokolle des Frankfurter Auschwitz-Prozesses sind bedrückend und immerwährende Mahnung an uns alle. Seit einigen Monaten werden z.B. auf der Plattform YouTube Tonbandmitschnitte des Frankfurter Auschwitz-Prozesses veröffentlicht. Seit Beginn dieser Veröffentlichung verfolge ich diese. Die Schilderungen von überlebenden Lagerinsassen, von Zeitzeugen, von Angehörigen der SS und die Einlassungen der Angeklagten haben bei mir zu Fassungslosigkeit geführt - und tatsächlich reicht dieser Begriff der Fassungslosigkeit hier nicht einmal aus. Ich hoffe sehr, dass auch durch unseren Diskurs Menschen motiviert werden, sich diese Tondokumente anzuhören. Sie sind z.B. bei YouTube mit dem Suchbegriff „Frankfurter Auschwitz-Prozess“ leicht aufzufinden.

In Deutschland werden die institutionelle Aufarbeitung und Erinnerungskultur spätestens seit den 60er Jahren unterstützt und von einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz getragen. Es gibt inzwischen deutlich über 65.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema Nationalsozialismus, mehr als zu jedem anderen zeithistorischen Thema.

Die deutsche Verantwortung ist absolut unstrittig. Deshalb ist es so wichtig, die öffentliche Vermittlung von Kenntnissen über die NS-Gewaltherrschaft gesellschafts- und bildungspolitisch voranzutreiben und durch die Förderung historischer und zeithistorischer Museen, Ausstellungen, Denkmäler, Gedenkstätten sowie Einrichtungen der politischen Bildung in stetiger Erinnerung zu halten. Ganz besonders die jüngste Vergangenheit zeigt auch, dass ein Nachlassen schnell zu Verharmlosungen und Relativierungen führen kann. Daher ist jederzeit ein offener und kritischer Umgang wichtig. Das beginnt ohne Frage bei der "eigenen" Vergangenheit, zu der, da stimme ich Ihnen zu, eine wissenschaftliche Aufarbeitung auch in den Parteien zählt.

Die CDU Deutschlands wurde 1945 gegründet, um die Zukunft Deutschlands nach den Schrecken der NS-Herrschaft mit einer christlich geprägten, überkonfessionellen Volkspartei zu gestalten. Angeführt wurde die CDU in den Nachkriegsjahren von Konrad Adenauer, der selbst ein Verfolgter des NS-Regimes war. Auch weitere führende Köpfe der Partei waren Verfolgte oder sogar aktive Widerstandskämpfer, wie der langjährige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier. In dieser neuen Volkspartei fanden sich katholische und evangelische Christen, Konservative, Liberale und Christlich-Soziale, Frauen und Männer aus verschiedenen Regionen, aus allen sozialen Schichten und demokratischen Traditionen zusammen. Der Zusammenschluss von sehr unterschiedlich geprägten lokalen Gründungen zu regionalen Verbänden zog sich bis 1947 hin. Die CDU steht seither für die freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie, für die soziale Marktwirtschaft, die Einbindung Deutschlands in die westliche Werte- und Verteidigungsgemeinschaft, für die Einheit der Nation und die Einigung Europas. Im Kontext Ihrer Frage besonders wichtig: Die CDU war jedoch nie, anders als die heutige Linkspartei, die direkte Nachfolgerin einer Staatspartei und verfolgt keine Ziele, auch nicht teilweise, dieser Vorgängerpartei.

Es ist zutreffend, dass in die CDU der Nachkriegszeit auch frühere Mitglieder der NSDAP aufgenommen wurden. In Bezug auf Ihr Anliegen muss sich meine Partei fragen: Wer hat in der Zeit des Nationalsozialismus individuelle Schuld auf sich geladen? Wer trat als früheres NSDAP-Mitglied in die CDU ein? Welche Funktionen hatten sie zu Zeiten der NS-Schreckensherrschaft inne? In welcher Form waren sie in der CDU aktiv? Vor allem aber: Welche Werte haben sie in der CDU vertreten und sich zu welcher Verantwortung bekannt? Ich zweifle nicht daran, dass die überwiegende Mehrheit der früheren NSDAP-Mitglieder in der CDU in die Kategorien "Mitläufer ohne systemrelevante Verantwortung" einzuordnen ist. Dennoch gibt es bekannte Mitglieder, die eben nicht als Mitläufer gelten können, sondern tatsächlich handelnde Personen eines Schreckenssystems waren. Darüber, ihre Anzahl und ihren Einfluss muss Klarheit herrschen.

Sehr geehrte Frau Rogall, wie Sie sehe auch ich im Hinblick auf Ihre Fragestellung aktuell noch immer ein Defizit bei der Aufarbeitung der CDU-Vergangenheit. Während mehrere Bundesministerien, größere Bundesbehörden, Verbände, Vereine und Unternehmen ihre Geschichte von unabhängigen Wissenschaftlern in den letzten Jahren untersuchen ließen, sehe ich in der Parteienlandschaft einen Nachholbedarf. Daher habe ich Ihr Anliegen aufgegriffen und mich gegenüber den Gremien meiner Partei für eine unabhängige Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit eingesetzt. Es ist ganz besonders in der aktuellen Zeit von zunehmender Verharmlosung und Relativierung der Vergangenheit wichtig, offen und kritisch zu analysieren und zu diskutieren. Erinnern bedeutet auch immer, die richtigen Schlüsse zu ziehen und den Schreckensgeistern der Vergangenheit entgegenzutreten.

Mit freundlichen Grüßen

Carsten Müller

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