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Brigitte Pothmer
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Frage von Lothar G. •

Frage an Brigitte Pothmer von Lothar G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Pothmer,

auf welcher Grundlage genau basiert der Bundeswehreinsatz in Afghanistan genau? Herr Schröder hat seinerzeit das Wort "Bündnisfall" im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11.09.2001 öffentlich benutzt.
Kommt dieser "Bündnisfall" dem Verteidigungsfall gleich?
Dann müßte doch die Bundeskanzlerin den Oberbefehl für die Bundeswehr haben. Das ist doxh aber nicht der Fall!
Bei vielen Diskussionen im Bekannten- und Freundeskreis gibt es doch sehr viel Verwirrung.
Wenn es sich um eine reine Aufbauhilfe für einen Staat handelt, ist doch eigentlich nur Technik nötig und keine Soldaten!

Mit freundlichen Grüßen

Lothar Grosser

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Grosser,

herzlichen Dank für ihre Email, auf die ich heute antworten möchte. In der Tat ist es nicht immer einfach, die einzelnen Mandate und völkerrechtlichen Grundlagen der internationalen Einsätze in Afghanistan auseinanderzuhalten.

Nach dem 11. September 2001 erklärte die NATO erstmals den "Bündnisfall" nach Artikel 5 des NATO-Vertrages, der die Mitgliedsstaaten zum Beistand verpflichtet -- dies ist eine Art "Verteidigungsfall" der NATO, wenn ein Mitglied angegriffen wird. Allerdings bezieht sich der Beistand in der Regel auf Kriege gegen Staaten, während die USA einen Feldzug gegen die Taliban/Al-Qaida in Afghanistan begannen, so dass ein Präzedenzfall geschaffen wurde.

Den Verteidigungsfall nach dem Grundgesetz löst dies nicht aus. Die Bundeswehr nimmt an Militärmissionen in Afghanistan teil, die zuvor im Rahmen der UNO legitimiert wurden. Dabei handelt es sich um Stabilisierungseinsätze. Die Verantwortung bei solchen Einsätzen, über die der Bundestag entscheiden muss, liegt beim Verteidigungsminister.

Der UN-Sicherheitsrat bezeichnete die Anschläge in den USA in seiner am 12. September 2001 gefassten Resolution 1368 als "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" und wertet die Anschläge des 11. September als bewaffneten Angriff im Sinne von Art. 51 UN-Charta, der das Recht auf Selbstverteidigung gewährleistet. Dies war die Grundlage der US-amerikanischen Militäraktionen in Afghanistan sowie der Maßnahmen der Verbündeten. Die US-amerikanische "Operation Enduring Freedom" (OEF) sollte die Terrorismusgefahr im Land besiegen und die Herrschaft der Taliban beenden.

In Deutschland stimmte der Bundestag am 16. November 2001 über eine Beteiligung an OEF ab, eine knappe Mehrheit stimmte für die Beteiligung. Gerhard Schröder hatte den USA nach den Anschlägen vom 11. September zuvor "uneingeschränkte Solidarität" zugesagt. Im Dezember 2001 legitimierte der UN-Sicherheitsrat die Einsetzung der internationalen Sicherheits-Unterstützungseinheit ISAF, an der sich im Folgenden auch Deutschland beteiligte. Deutschland nimmt damit an Stabilisierungseinsätzen in Afghanistan teil. Dies ist nicht der "Verteidigungsfall", dass heißt keine Kriegserklärung -- Deutschland befindet sich nicht im Krieg, und die deutsche Bundeskanzlerin ist nicht die Oberkommandierende.

Sie schreiben in Ihrer Mail: Bei reiner Aufbauhilfe brauche man keine Soldaten. Das ist richtig, allerdings fand der Wiederaufbau in Afghanistan von Anfang an unter schwierigen Bedingungen statt und war durch Gewalt seitens der Taliban, terroristischer Gruppen und Aufständischer gefährdet. Es war daher unvermeidlich, die Aufbauhilfe auch militärisch abzusichern. Mittlerweile existieren eine unabhängige afghanische Regierung und eine zunehmend gewachsene afghanische Armee sowie ein eigener Sicherheitsapparat. Diese tragen inzwischen die Hauptverantwortung für die Lage in Afghanistan. Die internationalen Kräfte bilden derzeit diese Sicherheitsorgane aus und schützen gleichzeitig die Aufbaubemühungen der Afghaninnen und Afghanen sowie der internationalen Gemeinschaft.

Bei einem Rückzug zum jetzigen Zeitpunkt -- wie von der Linkspartei gefordert -- wäre ein Rückfall Afghanistans in den Bürgerkrieg zu befürchten. Eine Rückkehr des Taliban-Regimes würde auch dass Ende der neuen rechtsstaatlichen Grundlagen in Afghanistan bedeuten. Derzeit ist ein alleiniger ziviler Aufbau ohne militärische Präsenz unrealistisch. Bündnis 90/ Die Grünen treten aber seit langem dafür ein, gerade die zivile Seite des Aufbaus massiv zu verstärken. Nur so kann das Vertrauen der Afghaninnen und Afghanen in den Aufbau zurückgewonnen werden.

Ausführliche Informationen zur Afghanistanpolitik und zu grünen Ansätzen finden Sie auch online in einer Publikation der Bundestagsfraktion zum Thema: http://www.gruene-bundestag.de/cms/publikationen/dokbin/280/280006.broschuere_afghanistan.pdf

Mit freundlichen Grüßen

Brigitte Pothmer