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Birgit Wenzel
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Frage von Holger W. •

Frage an Birgit Wenzel von Holger W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Ahoi Birgit,

ich habe Euer Partei- und Wahlprogramm gelesen und bin sehr begeistert! Ich empfinde Euer Programm in praktisch allen Punkten als sehr vernünftig, zukunftsorientiert, demokratisch und genau in die Richtung weisend, die ich mir für dieses Land wünsche!

Danke, dass Ihr das so umgesetzt habt!

Leider scheint es innerparteilich einige Vorkommnisse gegeben zu haben und vielleicht auch immer wieder zu geben, die Leute möglicherweise emotional verletzen und den Medien eine Steilvorlage für eine "Anti-Piraten-Kampagne" geben. So etwas passiert manchmal: Menschen stehen halt, wo sie stehen. So ist manchmal das Leben. Und die Medien finden natürlich so oder so immer irgendetwas. Das kann man nicht mal verhindern, wenn man "alles richtig" macht.

Aber wenn ich mich umhöre ist das - aus ebenfalls verständlichen Gründen - ein Hauptargument, nicht piratisch zu wählen. Vielen Menschen fehlt es da bisher noch an Vertrauen. Manche sind enttäuscht.

Daher möchte ich mit dieser Anfrage Raum für Stellungnahmen zu eben diesem letztlich ja auch gesamtgesellschaftlich relevanten Thema bieten ("wie gehen wir als Menschen miteinander um, wenn wir verschiedene Perspektiven haben"). Mit einer zugegeben herausfordernden, aber meiner Ansicht nach wirklich wichtigen Frage:

Welchen Beitrag möchtest du dazu leisten, dass die Piraten in Zukunft so wenig wie möglich herumstreiten und als "Chaos-Trupp" auftreten, sondern trotz aller natürlichen und wichtigen Unterschiedlichkeiten gemeinsam, respektvoll und freundschaftlich daran arbeiten, Deutschland in eine moderne und echte Demokratie zu transformieren, in der Politikverdrossenheit durch breite, aktive Beteiligung aller von Politik betroffenen Menschen (also alle ;-) ) ersetzt wird?

Mit herzlichen Grüßen und besten Wünschen (20% gehen schon ;-) )

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Antwort von
PIRATEN

Hallo Herr Wagner,

herzlichen Dank für diese Fragestellung.
Ich stimme der Wichtigkeit des Themas unbedingt zu und arbeite innerparteilich schon lange an Lösungsideen und Strategien dazu. Ursprünglich ist genau dieses Ideal einer breiten, aktiven Beteiligung aller Menschen an politischen Entscheidungen mein Grund gewesen zu den Piraten zu gehen.

Gerne verweise ich hier auf das Freibeuter-Konzept, das im Piratenwiki unter der Adresse http://wiki.piratenpartei.de/Die_Freibeuter zu finden ist. Ich selbst habe die Erklärung der Menschenpflichten des Inter Action Council als Arbeitsgrundlage in das erste lose Treffen einzelner Piraten eingebracht, welches dann von Vielen weiter bearbeitet wurde. Dies gerade zu der Zeit als das Maß an verletzendem Umgehen von Piraten untereinander für mich nicht mehr tolerierbar war.
Ich zitiere hier die Anfangserklärung:
„Gründe für diese Erklärung: Immer wieder entgleisen auf Twitter, Mailingliste und an anderen Stellen Diskussionen in persönliches und zwischenmenschliches. Diese Betroffenheiten werden meist durch ein respektreduziertes Verhalten begünstigt. Daher wollen die Mitglieder der Freibeuter klar und sicher erklären, wie sie selbst Menschenrecht und Menschenpflichten sehen und sich ausrichten wollen. Gleichermaßen wollen Freibeuter in respektabler Weise helfen die Kommunikation der Freibeuter und aller Piraten, aber auch Menschen verbessern helfen, in dem sie die Grenzen anderer Menschen auch achten.“

Das Wort „Pflichten“ ist an dieser Stelle bewusst gewählt und entspricht in Gänze meinem Lösungsansatz. Denn menschlicher, respektvoller, demokratischer Umgang miteinander ist etwas, das bewusst erarbeitet werden muss, nicht einfach eingefordert.

Der Schlüssel in der Betrachtung steckt für mich in Ihrer Formulierung „Menschen stehen halt, wo sie stehen. So ist manchmal das Leben.“ Jeder der Piraten hat seine persönliche Biographie und ist beeinflusst von seinem sozialen Umfeld. Jeder von uns ist aus einem bestimmten Grund in die Partei eingetreten, viele davon zornig, voller Angst vor der Zukunft, frustriert, usw. Es ist die Anforderung an uns diese Emotionen auszuhalten, weil sie in vielen Fällen schlicht berechtigt sind.

Was ich dennoch nicht unerwähnt lassen möchte: Die Formulierung „Chaos-Truppe“ und auch die Berichterstattung der Medien zu den internen Auseinandersetzungen halte ich für zumindest kritisierbar. Ich habe an Infoständen und bei anderen Gelegenheiten mehrfach von Mitgliedern der etablierten Parteien in dieser oder anderer Form zu hören bekommen: „Bei uns ist das genauso, wenn nicht schlimmer, nur dass das keiner mitbekommt“

Das mag auch einer der Knackpunkte sein. Die unbedingte Forderung nach Transparenz, das Öffentlich-machen aller parteiinternen Diskussionen hat natürlich auch ihre Schattenseiten. Dies ist eine Herausforderung, der wir uns nur als Gemeinschaft stellen können. Ich mag uns da - ganz idealistisch - gerne als Vorreiter sehen, als Entwicklungskern innerhalb der Gesellschaft, der für sich Wege findet offen und respektvoll einen Weg in echte Demokratie zu finden.

Mir bedeutet das Wort "Demokratie" - Herrschaft des Volkes. Doch alleinige Herrschaft, ohne Respekt vor Unterschiedlichkeiten und Schutz der Minderheiten (die auch einfach nur die Stillen sein können) ist wiederum nur eine Tyrannei. Bei den Piraten - die hier wirklich nur Spiegel der Gesellschaft zu sein scheinen - gibt es dafür die Begriffe "Trollen" und "Shitstorm".

Alle Menschen aktiv zu beteiligen wird ein grundsätzliches Umdenken erfordern. Zum Beispiel alle politischen Entscheidungen grundlegend dahingehend verändern, dass sich jeder Politiker bei jeder Entscheidung von vornherein der Aufgabe stellt sein Thema dem Bürger nicht nur einfach darzustellen, sondern dies auch in verständlicher, niederschwelliger Forum zu tun. Auf Deutsch: Tut ein Politiker etwas, das sein Auftraggeber - das Volk - selbst bei Interesse nicht nachvollziehen kann, ist er falsch an seinem Platz.

Es sind noch viele weitere Aspekte zu bedenken und zu ändern, sei es die Bildung, die Altersverteilung in Entscheidungsämtern, das bewußte Streuen von Angst und Unsicherheit, bis Kreatives, Neugieriges, Freies wieder so viel Raum in diesem Land gewinnen kann, dass die Hoffnung besteht mehr Menschen für die Gestaltung ihres eigenen Lebensraumes zu begeistern.

Meine Leitlinie bleibt dabei die eingangs erwähnte Erklärung der Freibeuter.

Mit herzlichen Grüßen

Birgit Wenzel