Frage an Axel Knoerig von Mirko H. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Knoerig,
die Vorratsdatenspeicherung ist beschlossene Sache, nun kippt auf europäischer Ebene auch noch die Netzneutralität. Ich frage mich, wie ich als nicht-Politiker diese theoretischen und meiner Meinung nach unrealistischen Konstrukte in der Praxis meines alltäglichen Lebens begreifen können soll. Möglicherweise sind diese beiden Projekte ja gute Ideen, auch wenn ich selbst nicht davon überzeugt bin, nur scheint die Politik lieber das Bild der Entscheidungen in den Medien verwalten zu wollen als den sie Beauftragenden zu erklären, was die Entscheidungen bedeuten. Auf die Spitze getrieben könnte ich anhand der Informationen, die ich ohne stundenlange Tageszeitungen- oder Internetlektüre bekomme (nein, nicht Bild, eher mal Spiegel-Online oder Welt-Online) denken, dass mir als Bürger eines demokratischen Staates durch meine gewählten Vertreter die informationelle Selbstbestimmung verwehrt wird (Vorratsdatenspeicherung) und dass der digitale Zugang zu kultureller Teilhabe und Informationen anhand meiner wirtschaftlichen Leistbarkeit bemessen und getaktet werden soll (Netzneutralität). Kann man sicherlich auch anders sehen. Aber wenn die Prämisse sei, alle Meschen seinen gleichwertig, und dann bei der Definition von Werthaftigkeit zu einer eingeschränkt wirtschaftlichen Sichtweise gelangt, ist die vielzitierte Würde im Grundgesetz doch nur ein Konjunktiv. Gerne würde ich Ihre Position hierzu lesen.
Vielen Dank
Sehr geehrter Herr Hoppe,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 27.10.2015 zu den Themen Vorratsdatenspeicherung und Netzneutralität.
Bei der Regelung der Vorratsdatenspeicherung stehen sich der mittelbare Eingriff in die Grundrechte des Bürgers sowie die staatliche Pflicht zur Strafverfolgung bei begangenen Straftaten und der Schutz der Bürger vor Straftaten gegenüber. Das in der EU-Grundrechtecharta verankerte Grundrecht auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten hat für mich einen hohen Stellenwert. Ein Grundrechtseingriff erfordert deshalb klare Regeln zur Datenspeicherung und -verwendung.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will die Bürger bestmöglich schützen und hat daher die gesetzliche Grundlage für die Speicherung von Verbindungsdaten befürwortet. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) haben für die Vorratsdatenspeicherung strenge Auflagen gesetzt. Das am 16.10.2015 verabschiedete Gesetz zur Speicherpflicht orientiert sich an den vom EuGH und dem BVerfG aufgestellten Richtlinien, um insbesondere den Grundrechtseingriff für die Bürger zu minimieren. Die Bundesregierung schafft mit der gesetzlichen Regelung die notwendige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit.
Elementar bei diesem Gesetz ist, dass es nicht um die Speicherung von Kommunikationsinhalten geht: Weder Inhalte von E-Mails oder Telefonaten noch aufgerufene Internetseiten werden festgehalten. Erfasst werden nur die technischen und zeitlichen Bedingungen beim Zustandekommen der Kommunikation. Bei der Speicherfrist wird zwischen den Verkehrsdaten, die zehn Wochen gespeichert werden können, und den Standortdaten, die aufgrund ihrer Sensibilität bereits nach vier Wochen gelöscht werden müssen, unterschieden. Eine Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen darf nicht erfolgen und Verbindungsdaten von Berufsgeheimnisträgern (u.a. Rechtsanwälten, Ärzten) sind von einem Abruf ausgenommen.
Weitere Regelungen zur Speicherpflicht umfassen, dass die Daten nicht bei einer staatlichen Stelle zusammengeführt, sondern bei den TK-Providern verbleiben. Die Übermittlung bedingt zudem die Zustimmung eines Richters. Die Ermittlungsbehörden erhalten somit nur nach einer richterlichen Entscheidung und zur Aufklärung gesetzlich definierter schwerer Straftaten (u.a. Mord, Kinderpornografie, terroristische Taten) einen Zugriff auf die Daten. Zum Schutz der Daten müssen die TK-Unternehmen die Daten auf Servern in Deutschland speichern sowie die höchste Sicherheitsstufe bei der Datenspeicherung einhalten. Die Missachtung der Löschungspflichten durch Provider wird mit Ordnungsgeldern belegt und Datenhehlerei unter Strafe gestellt.
Der Ausgangspunkt um die Debatte zur Thema Netzneutralität basiert auf einem Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung über Maßnahmen zum digitalen EU-Binnenmarkt (Digital Single Market-Verordnung) vom September 2013. Der Vorschlag enthält zentrale Weichenstellungen u.a. in der Netzneutralität. Unter diesem Begriff wird diskutiert, inwieweit Anbieter Datenpakete im Internet ohne Berücksichtigung von Absender, Empfänger oder Art des Inhalts oder der Anwendung gleich behandeln müssen. Das Gleichbehandlungs-Interesse ist mit den Diensten auszubalancieren, für die eine hohe Übertragungsrate sinnvoll oder technisch dringend erforderlich ist, wie etwa Telemedizin oder vernetzte Fahrzeuge.
Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, sich auf europäischer Ebene für eine gesetzliche Regelung der Netzneutralität einzusetzen. Neben dem Best-Effort-Internet soll Netzwerk-management möglich sein, wenn die oben beschriebenen Dienste eine Echtzeitübertragung erfordern. In den abschließenden Trilog-Verhandlungen zur Digital-Single-Market-Verordnung einigte man sich auf eine Position, die am 27. Oktober durch das EU-Parlament verabschiedet wurde und vom 30. April 2016 an in den Mitgliedstaaten ihre Anwendung findet.
Dort wurde zur Netzneutralität geregelt, dass jeglicher Verkehr von Inhalten und Diensten im Internet durch Internetanbieter, unabhängig von Sender, Empfänger, Inhalt, Anwendung, Dienst oder Endgerät unter dem Prinzip der Gleichbehandlung ohne Beschränkung oder Störung durchgeleitet wird. Ausnahmen sollen unter Auflagen und objektiven technischen Kriterien möglich sein, indem die eingangs erwähnten Spezialdienste angeboten werden können. Diese dürfen jedoch nicht als Substitutionsprodukte für das offene und freie Internet verbreitet werden, sondern lediglich als Zusatzdienste.
Mit dieser Regelung wird die Netzneutralität einerseits zugunsten eines diskriminierungsfreien Verkehrs von Datenpaketen im Internet festgeschrieben und ermöglicht andererseits mit streng geregelten Spezialdiensten Innovationen für Start-ups und Unternehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Knoerig MdB