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Frage von Matthias M. •

Frage an Axel Berg von Matthias M. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Dr. Berg,

vergangenes Wochenende demonstrierten in Berlin mindestens 10.000 Menschen wiederholt! gegen staatliche Überwachung, Vorratsdatenspeicherung und Internetsperren. Eine Online-Petition gegen das als nutzlos und grundgesetzwidrig angesehene "Internetsperrgesetz" (Zugangserschwerungsgesetz) unterzeichneten sogar 132.000 Bürger (mithin die Mitzeichner-stärkste Online-Petition in der Geschichte Deutschlands!).

Dies sind nur 2 Beispiele, deren reine Dimensionen der Politik deutlich zeigen sollten, dass sich die Bürger dieses Landes sehr besorgt einer ungewollten und zunehmenden Kontrollmacht des Staates gegenüber sehen.

Zeitgleich sieht auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, die Entwicklung der Anti-Terror-Gesetze schon seit Jahren sehr kritisch und fordert immer wieder, sie prüfen zu lassen.

Vor dem Hintergrund dieser Umstände möchte ich Sie fragen:
- Was werden Sie unternehmen, damit die von Herrn Schaar geforderten Gesetzesprüfungen durchgeführt werden?
- Was werden Sie unternehmen, damit insbesondere einige der seit dem 11.September 2001 erlassenen, Freiheits- und Bürgerrechte einschränkenden "Anti-Terror-Gesetze" ggf. wieder zurückgenommen werden?

Und in Anlehngun an das Thema der inneren Sicherheit möchte ich Sie fragen:
- Was werden Sie unternehmen, um zu verhindern, dass die Bundeswehr auch innerhalb Deutschlands eingesetzt werden kann.

Mit bestem Dank für Ihre Antwort und Ihre dafür aufgewendete Zeit...
Matthias Müller

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Müller,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 15. September,

Durch den international organisierten Terrorismus sind wir mit einer veränderten Sicherheitslage konfrontiert, die ggf. Modifizierungen der deutschen Sicherheitsarchitektur erforderlich machen kann. Allerdings muss immer die Verhältnismäßigkeit der staatlichen Eingriffe im Auge behalten werden, die vom Grundgesetz gebotene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit muss gegeben sein.

Leider ließ sich in den letzten Jahren tatsächlich eine Tendenz beobachten, individuelle Freiheitsrechte relativ leichtfertig und weitgehend beschneiden zu wollen. Exemplarisch lässt sich hier die BKA-Gesetzesnovelle vom Herbst 2008 (Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (Drucksachen 16/9588, 16/10121, 16/10822, 16/11227, 16/11391)) anführen.

Mit dieser Novelle bekam das Bundeskriminalamt Zuständigkeiten, um Gefahren des internationalen Terrorismus in den Fällen abzuwehren, in denen eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Im Zuge der Novellierung des BKA-Gesetzes erhielt das BKA ein umfassendes Spektrum geheimer Ermittlungsinstrumente. Insbesondere wurde es mit Befugnissen zur Durchsuchung, Rasterfahndung, Wohnraumüberwachung und Telekommunikationsüberwachung ausgestattet. Außerdem bekam das BKA eine Befugnis zum „verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme“ (sogenannte „Online-Durchsuchung“).

Wenngleich ich der Meinung bin, dass man dem BKA zur Terrorabwehr Kompetenzen übertragen muss und ein derartiges Gesetz grundsätzlich notwendig ist, sah ich mich nicht in der Lage, diesem Gesetz zuzustimmen. Denn es wurde meines Erachtens an zentralen Stellen versäumt, die staatlichen Eingriffe in die Freiheitsrechte hinreichend zu begrenzen.

Unter anderem sah ich mich gezwungen dagegen zu stimmen, da in dem Gesetz bei der Online-Durchsuchung eine sogenannte Eilfallkompetenz des BKA vorgesehen war, wonach bei Gefahr im Verzug eine Online-Durchsuchung vorgenommen werden konnte, ohne vorher eine richterliche Entscheidung einzuholen. Zudem werden durch den heimlichen Zugriff auf Computer und andere informationstechnische Systeme regelmäßig nicht nur gefahrenbezogene Erkenntnisse, sondern auch tiefe Einblicke in die „digitale Privat- und Intimsphäre“ der durchsuchten Personen und ihr Kommunikationsverhalten gewonnen. In dieser Hinsicht sah ich es als absolut unzureichend an, dass der behördeninterne Datenschutzbeauftragte des BKAs dafür Sorge tragen sollte, den Schutz des absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensführung sicherzustellen. Des Weiteren war die „Relativierung der Zeugnisverweigerungsrechte“ für mich nicht tragbar. Dieser Regelung zufolge haben nur Abgeordnete, Geistliche und Strafverteidiger das absolute Auskunftsverweigerungsrecht. Ärzte, Journalisten und sonstige Rechtsanwälte hingegen nicht. Hierdurch wird das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient erschüttert. Zudem ist eine freie und unabhängige Presse in unserem Rechtsstaat von überragender Bedeutung. Die Presse kann ihre im öffentlichen Interesse liegende Tätigkeit allerdings nur dann effektiv erfüllen, wenn sie sicher sein kann, dass sie vertrauliche Informationen nicht preisgeben muss. Auch bin ich der festen Überzeugung, dass jedes Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandat des absoluten Schutzes bedarf. Es darf keine Rechtsanwälte zweiter Klasse geben.

Im Vermittlungsausschuss wurden zwar noch einige Verbesserungen vorgenommen, wie die Streichung der oben genannten Eilfallkompetenz, so dass ausnahmslos der Richtervorbehalt gilt. Zudem wurde eine Formulierung in das Gesetz aufgenommen, wonach die erhobenen Daten bei der Online-Durchsuchung „unter Sachleitung des anordnenden Gerichts auf kernbereichsrelevante Inhalte“ durchzusehen sind.

Die Differenzierung der Zeugnisverweigerungsrechte allerdings wurde im Vermittlungsausschuss nicht geändert. Darüber hinaus bleiben (1) Bedenken hinsichtlich der Gewährleistung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung insbesondere bei der Onlinedurchsuchung aber auch bei der Telekommunikationsüberwachung sowie (2) grundsätzliche Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit, Erforderlichkeit und Eignung der dem BKA zugewiesenen Befugnisse.

(1) Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen in den letzten Jahren dem Gesetzgeber aufgetragen, diesen Kernbereich privater Lebensgestaltung bei heimlichen Datenerhebungsbefugnissen abzusichern, insbesondere indem Eingriffe in diesen Bereich soweit möglich von vornherein unterbleiben. Dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, zufolge, weist das BKA-Gesetz insofern Defizite auf: So verblieben verfassungsrechtliche Zweifel daran, dass die Online-Durchsuchung informationstechnischer Systeme sowie die Überwachung der Telekommunikation nur dann unzulässig sein sollen, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass allein kernbereichsrelevante Inhalte erfasst werden. Da diese Fälle in der Praxis kaum vorkommen würden, liefe das Gebot, Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung grundsätzlich zu unterlassen, weitgehend ins Leere.

(2) In seinem Tätigkeitsbericht für 2007/2008 äußert der Datenschutzbeauftragte Zweifel „inwieweit eine derartige [Online-Durchsuchung], tief in die Privatssphäre eingreifende Befugnis im Hinblick auf den damit verfolgten Zweck vertretbar ist“. Gegen die Eignung der Online-Durchsuchung spreche, dass sie in jedem Einzelfall die Entwicklung maßgeschneiderter Software erforderlich mache und damit technisch sehr aufwändig sei. In diesem Zusammenhang seien Zweifel angebracht, dass das BKA hiermit entsprechenden Gefahrenlagen rasch begegnen kann. Ähnliches gelte für Eingriffsmaßnahmen mit großem zeitlichem Aufwand, wie etwa die Rasterfahndung. Auch diese scheinen nicht geeignet, um auf terroristische Bedrohungslagen schnell zu reagieren.

Derzeit sind sieben Verfassungsbeschwerdeverfahren gegen das BKA-Gesetz beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhängig, die Entscheidungen steht noch aus.

Eben weil es die oben beschrieben Tendenz gibt, ist die Tätigkeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit so elementar, da er immer wieder unverhältnismäßige staatliche Eingriffe in die Freiheitsrechte anmahnt, Stellungnahmen – auch beim Bundesverfassungsgericht - abgibt und in seinen Tätigkeitsberichten kritische Analysen zu Gesetzen abgibt. Meiner Ansicht nach müsste er personell besser ausgestattet werden, um seine Aufgabe noch umfassender wahrnehmen zu können.

Sie erwähnen in Ihrer Anfrage auch Internetsperren bzw. das Zugangserschwerungsgesetz. Hierzu habe ich auf abgeordnetenwatch.de mehrmals ausführlich Stellung bezogen und möchte Sie diesbezüglich auf meine Antwort an Herrn Karnebogen vom 11. September im Bereich Bundestagswahl 2009 verweisen.

Schließlich erkundigen Sie sich nach meiner Positionierung zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Die SPD-Bundestagsfraktion und ich lehnen einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Gefahrenabwehr ab. Die SPD hat in ihrem Regierungsprogramm festgeschrieben, dass die bewährte Trennung von innerer uns äußerer Sicherheit nicht aufgegeben werden darf. Erst kürzlich habe ich für die Bayerische Staatszeitung einen Artikel zu der Frage „Soll die Bundeswehr in Zukunft auch im Inneren operieren dürfen?“ verfasst. Ich vertrat dabei die CONTRA-Position, die PRO-Position nahm Bundesinnenminister Schäuble ein. Im Folgenden finden Sie den Text:

„Keine der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien will die Bundeswehr mit Aufgaben der Gefahrenabwehr im Innern betrauen – mit Ausnahme der Union. Die Begründung für diesen Vorstoß ist dürftig. Der Bundesinnenminister weist bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass die Gefährdung durch den international organisierten Terrorismus eine neue Lage geschaffen hat, da die Bedrohung vor nationalen Grenzen nicht halt macht. Das ist richtig. Seine Folgerung daraus ist jedoch falsch. Die grundgesetzlich festgelegte Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit, zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben, würde durch die aktuelle Bedrohungslage nur dann infrage gestellt, wenn die bewährte Aufgabentrennung der neuen Bedrohung nicht gerecht würde. Das ist nicht der Fall. Unsere Polizei ist international vernetzt, sie wird unterstützt durch Europol und Europäische Staatsanwaltschaft, sie ist in keiner Weise durch nationale Grenzen behindert. Die SPD-geführte Bundesregierung hat zudem das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum initiiert, welches im Dezember 2004 die Arbeit aufnahm. Dieses Zentrum ermöglicht einen Wissens- und Erkenntnisaustausch zwischen Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Zollkriminalamt, Militärischem Abschirmdienst, Bundespolizei, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie den Landeskriminalämtern. Der grenzüberschreitenden Bedrohung entspricht somit eine grenzüberschreitend organisierte Gefahrenabwehr. Es besteht kein Anlass, eine für militärische Kampfhandlungen ausgestattete und ausgebildete Bundeswehr über die Amtshilfe nach Artikel 35 des Grundgesetzes hinaus mit Aufgaben innerer Sicherheit zu betrauen. Überhaupt nichts zu suchen hatten und haben Soldaten beim G-8 Gipfel in Heiligendamm im vergangenen Jahr oder bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Zu solchen Anlässen sollen gut ausgebildete und gut ausgerüstete Polizisten geschickt werden. Wir wollen eine effektive Gefahrenabwehr und keinen „Krieg gegen den Terror“ (Bayerische Staatszeitung vom 04.09.2009)“.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Axel Berg MdB