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Andreas Schockenhoff
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Frage von Marcus S. •

Frage an Andreas Schockenhoff von Marcus S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Schockenhoff,

zugegeben: sechs Fragen sind etwas viel auf einmal, aber über die Beantwortung von ein paar davon wäre schön!

1. Der Bundestag hat am 23. April 1996 und 14. März 2003 eine Resolution zu Tibet verabschiedet. Die erste enthielt konkrete Forderungen an die VR China bezüglich der Verbesserung der Menschenrechte und der Gewährung kultureller Autonomie.

a) Ist Ihre Fraktion bereit – auch in der Regierungsverantwortung – die Forderungen der ersten Resolution gegenüber der chinesischen Führung aufzugreifen, da bislang keine davon erfüllt worden ist?

2. Deutschland gehört zu denen wenigen Staaten der westlichen Welt, in denen der Dalai Lama noch nie von einem amtierenden Regierungschef empfangen worden ist.
Wird Ihre Fraktion im Falle einer Regierungsverantwortung darauf drängen, dass dies Versäumnis endlich nachgeholt wird und der Dalai Lama nach der nächsten Wahl vom Regierungschef empfangen wird?

3. Die Interessen Tibets im deutschen Bundestag wurden während der letzten Legislaturperioden vom Tibet Gesprächskreis vertreten.

a) Wird sich Ihre Fraktion in der nächsten Legislaturperiode für die Einrichtung eines neuen Arbeitskreises Tibet stark machen?

b) Sehen Sie darüber hinaus Möglichkeiten, den Status und die Funktion eines solchen Arbeitskreises dadurch zu stärken, dass er zum Beispiel als Unterausschuss einem bestehenden Bundestagsausschuss angegliedert wird?

4. Die Verknüpfung von Menschen- und Völkerrechten mit Wirtschaftsbeziehungen wurde bislang als unerfüllbar abgelehnt.

Halten Sie an diesem Grundsatz fest, oder können sie sich unter bestimmten Umständen – etwa bei besonders gravierenden Fällen von Menschenrechtsverletzungen – vorstellen, von dem Grundsatz abzuweichen?

5. Einer der besonders gravierenden Fälle von Menschenrechtsverletzungen ist das Schicksal des Panchen Lama, des zweithöchsten tibetischen Würdenträgers. Seit seiner Entführung durch die chinesischen Behörden im Mai 1995 hat ihn kein unabhängiger Augenzeuge mehr gesehen, sodass es keine verlässlichen Informationen über seinen Verbleib gibt.

a) Welche Möglichkeiten der Einflussnahme auf die chinesische Führung sehen Sie, um das Schweigen um den Panchen Lama zu brechen?

b) Sind Sie bereit in diesem Fall auch Wirtschaftssanktionen in Erwägung zu ziehen, um etwas über das Schicksal des Panchen Lama in Erfahrung zu bringen?

6. Bundeskanzler Schröder hat sich mit Nachdruck für eine Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen die VR China eingesetzt.

Welche Position vertritt Ihre Fraktion in der Frage? Sind Sie bereit, sich für den Fortbestand des Waffenembargos zu engagieren?

Vielen Dank für die Beantwortung der umfangreichen Fragen!

Gut gelaunte Grüße aus Ravensburg!

marcus steiniger

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Steiniger,

herzlichen Dank für Ihre Mail. Ihre Fragen zum Thema Tibet beantworte ich wie folgt:

1. Ich gehe davon aus, dass Sie mit der von Ihnen angesprochenen jüngsten Resolution des Bundestages den interfraktionellen Antrag zum Thema Menschrechte und Entwicklung in Tibet vom März/ April 2002, BT-Drs. 14/8782 meinen. Beide Anträge, sowohl der aus dem Jahr 1996 als auch der aus dem Jahr 2002 zur Tibet-Problematik wurden von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit verfasst und in der entsprechenden Debatte und Abstimmung unterstützt. Die Union wird auch weiterhin an den Forderungen festhalten.

2. Ich kann nichts darüber aussagen, welche Staatsgäste die nächste Bundesregierung empfangen wird. Ich selbst habe aber als Obmann meiner Fraktion im Auswärtigen Ausschuss am 17. Juni dieses Jahres im Bundestag Gespräche mit dem Dalai Lama über die Menschenrechtslage und das Selbstbestimmungsrecht des tibetischen Volkes sowie entwicklungs- und umweltpolitische Fragen geführt, und auch unsere Kanzlerkandidatin Angela Merkel traf an diesem Tag zu ausführlichen Gesprächen mit dem Dalai Lama zusammen.

3. Auch in der nächsten Wahlperiode ist es feste Absicht der Union, sich wieder für einen Arbeitskreis Tibet auszusprechen. Der Arbeitskreis hat sich in den 10 Jahren seit seiner Gründung einen anerkannt guten Ruf in Politik und Öffentlichkeit erarbeitet, und ich sehe keinen Grund, die Arbeit dieses Gremiums nicht weiter zu unterstützen.

Allerdings bin ich der Ansicht, dass der Tibetproblematik mehr damit gedient ist, wenn es bei dem interfraktionellen Arbeitskreis bleibt, der allen interessierten Abgeordneten offen steht. Bei der Schaffung eines Ausschusses oder Unterausschusses bestünde die Gefahr, dass sich nur noch eine kleine Zahl von Abgeordneten, nämlich die Mitglieder, mit diesem Thema beschäftigen. Das liegt in der Arbeitsstruktur der Ausschüsse begründet. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass grundsätzlich die Arbeit eines Ausschusses, auch eines Unterausschusses, immer auch durch Parteipolitik geprägt ist. Gerade für die Behandlung des Themas Tibet, bei dem ja interfraktioneller Konsens besteht, eignet sich daher ein extra eingerichteter Ausschusse möglicherweise wenig. Darüber hinaus könnte dann mit gutem Recht auch für andere Länder, Regionen oder Themen zu menschenrechtspolitischen Problemen die Einrichtung eines entsprechenden Unterausschusses gefordert werden. Zudem müsste ein Unterausschuss auch mit entsprechenden administrativen Kapazitäten - also auch Personalstellen - versehen werden, um seinem formalen Charakter auch inhaltlich gerecht werden zu können. Das alles ist scheint mir daher - auch aus Kostengründen - wenig praktikabel und sinnvoll.

4. und 6. Das christdemokratische Selbstverständnis bildet die wertebezogene Grundlage all unseres außenpolitischen Handelns in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sie drückt sich aus in der Achtung der Menschenrechte, der Bekämpfung der Armmut und der Förderung von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und nachhaltiger Entwicklung überall in der Welt.

Außenpoltische Beziehungen sind allerdings zu komplex, um ausschließlich an einem Kriterium ausgerichtet zu werden. Die Union tritt für eine bessere Kohärenz der Menschenrechts-, Entwicklungs-, Außen-, Sicherheits- und Außenwirtschaftspolitik ein. D.h. neben der Lage der Menschenrechte müssen auch sicherheits- und umweltpolitische Aspekte, Fragen der Wissenschafts- und Wirtschaftskooperation oder auch eventuelle intensive Kontakte weiter Teile der Bevölkerung mit in Erwägung gezogen werden. Eine Verknüpfung von Menschenrechten mit den Wirtschaftsbeziehungen ist im Hinblick auf China aber zumindest in ausgewählten "Produktbereichen" möglich und nötig. Daher hat beispielsweise seinerzeit die damalige unionsgeführte Bundesregierung nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 die Einführung eines Waffenembargos der EU gegenüber China unterstützt. Die Union bleibt bei ihrer Haltung und vertritt dezidiert eine andere Meinung als Bundeskanzler Schröder, der sich vehement für die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber China ausspricht. Im Bundestag hat die Bundesregierung es nicht einmal für nötig gehalten, sich mit dem Thema in einer Debatte auseinanderzusetzen. Siehe auch:
http://www.welt.de/data/2005/06/16/732487.html

Die nachfolgende gemeinsame Erklärung der CDU-Bundesfachausschussvorsitzenden Armin Laschet MdEP und Elmar Brok MdEP, vom 21. März dieses Jahres gibt die Position der Union klar wieder:

/_"EU-Waffenembargo gegenüber China nicht aufheben_/
/ /
/Erklärung der Vorsitzenden der CDU-Bundesfachausschüsse
Internationale Zusammenarbeit und Menschenrechte unter der
Leitung von Armin Laschet MdEP sowie Europapolitik unter der
Leitung von Elmar Brok MdEP MdB vom 21. März 2005:/
/ /
/Bundeskanzler Schröder spricht sich weiterhin für eine
Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber der Volksrepublik
China aus. Erstmals im Dezember 2003 hat Schröder in China diese
Forderung erhoben, ohne sich vorher mit den europäischen
Partnern abzustimmen. Schröder stört sich auch nicht an einem
Beschluss des Deutschen Bundestages vom Oktober 2004, in dem das
Parlament Voraussetzungen für eine Aufhebung des
EU-Waffenembargos aufgestellt hat, die nach Ansicht führender
Politiker der Regierungskoalition nicht erfüllt sind. Damit
zeigt Schröder einmal mehr, dass die im rot-grünen
Koalitionsvertrag postulierte zentrale Bedeutung der "weltweiten
Durchsetzung von Menschenrechten" für ihn lediglich ein
Lippenbekenntnis oder "Gedöns" sind. /
/ /
/Die CDU fordert, das EU-Waffenembargo gegenüber China
beizubehalten. /
/ /
/Hierfür sprechen mehrere Gründe: __/

1. /Das Waffenembargo wurde 1989 erlassen, nachdem auf dem
Platz des Himmlischen Friedens die Protest- und
Demokratiebewegung in der Volksrepublik China gewaltsam
niedergeschlagen worden ist. Es war als ein eindeutiges
politisches Signal an die Führung der Volksrepublik China
gedacht. Seitdem hat sich die Menschenrechtslage in der
Volksrepublik China nicht derart gebessert, dass die
Signalwirkung einer Aufhebung gerechtfertigt wäre. Nach
wie vor sind die verurteilten Tiananmen-Demonstranten in
Haft, religiöse und ethnische Minderheiten sowie
Oppositionelle werden weiter diskriminiert und verfolgt,
die Todesstrafe wird öfter vollstreckt als in jedem
anderen Land der Welt. Ebenso wird der Wunsch der Tibeter
nach kultureller Autonomie gewaltsam unterdrückt. __/
2. /Auch unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten wäre
eine Aufhebung in dieser Zeit ein verheerendes Signal. Am
14. März 2005 hat der chinesische Nationale Volkskongress
ein Gesetz verabschiedet, in dem Taiwan mit
"nichtfriedlichen Mitteln" gedroht wird, falls sich die
Insel, die von der Volksrepublik China als abtrünnige
Provinz angesehen wird, für unabhängig erklären sollte.
Die Erklärung des chinesischen Ministerpräsidenten Wen
Jiabao, das Gesetz solle lediglich die friedliche
Wiedervereinigung der Volksrepublik Chinas und Taiwans
fördern, ist unglaubwürdig. Es hat bereits die Spannungen
an der Straße von Taiwan erhöht. Dieses
Antisezessionsgesetz will einschüchtern und ist in
Wahrheit ein Kriegsermächtigungsgesetz. /
3. /Die Volksrepublik China erhöht ihren Verteidigungsetat
seit mehreren Jahren jährlich offiziell im zweistelligen
Prozentbereich. Das Land, das nicht zuletzt aufgrund
seiner Verfügung über Atomwaffen keinen Angriff von Außen
zu befürchten braucht, rüstet - nicht zuletzt im maritimen
Bereich - massiv auf. Angesichts des
Antisezessionsgesetzes stellt sich mit Nachdruck die
Frage, welche Ziele China mit dieser Aufrüstung verfolgt. /
4. /Die Vereinigten Staaten von Amerika, enger Verbündeter
der Bundesrepublik Deutschland, sind seit Jahrzehnten
Garant für Stabilität im Fernen Osten und nicht zuletzt
für die territoriale Integrität Taiwans, aber auch Japans
und Südkoreas. Die Möglichkeit, dass amerikanische
Soldaten, die die Sicherheit Taiwans vor einer gewaltsamen
Wiedervereinigung mit der Volksrepublik China
gewährleisten sollen, mit Waffen, die aus europäischer
Produktion stammten bzw. mit Hilfe europäischer
Technologie entwickelt worden wären, angegriffen würden,
ist inakzeptabel. Die amerikanische Verärgerung über die
Pläne der rot-grünen Bundesregierung, das Waffenembargo
gegenüber der Volksrepublik China aufzuheben, ist
verständlich. Wer, wie die Bundesrepublik Deutschland,
über Jahrzehnte die militärische Stärke der Vereinigten
Staaten als Schutzmacht in Anspruch genommen hat und noch
immer in Anspruch nimmt, darf die Soldaten des Verbündeten
nicht durch eigene Waffen gefährden. /
5. /Das von Befürwortern der Aufhebung des EU-Waffenembargos
vorgebrachte Argument, die Aufhebung des Waffenembargos
würde keinerlei Veränderung der Situation zur Folge haben,
weil dann der `strenge´ europäische Verhaltenskodex für
Rüstungsexporte greifen würde, geht fehl. Erstens
missachtet es die politische Signalwirkung. Zweitens
stellt sich die Frage, warum dann überhaupt eine Aufhebung
des Waffenembargos angestrebt wird. Drittens ist der
europäische Verhaltenskodex eben noch nicht ausreichend
streng gefasst. Nicht zuletzt entfaltet er keine
rechtliche Bindungswirkung./

/ /
/Die Aufhebung des EU-Waffenembargos steht im Widerspruch zu den
selbst erklärten Zielen rot-grüner Menschenrechtspolitik, zu den
Zielen einer vorausschauenden, auf langfristige Stabilität
abzielenden Außenpolitik und nicht zuletzt zu dem Interesse an
einer funktionierenden transatlantischen Partnerschaft. Diese
Ziele wiegen schwerer als vermeintliche wirtschaftliche Vorteile
durch Exporte nach China. Wer - wie Gerhard Schröder - eine
globale Rolle für die EU fordert, sollte auch strategisch
verantwortungsvoll handeln. Davon aber ist Gerhard Schröder weit
entfernt. Eine strategische Vision für den fernöstlichen Raum
und eine Konzeption für einen effektiveren Rechtsstaatsdialog
fehlen der rot-grünen Bundesregierung. /
/ /
/Die CDU fordert, /
/ /
/dass sich die Bundesregierung in den europäischen Institutionen
und insbesondere auf den Europäischen Räten am 22./23. März und
16./17. Juni 2005 dafür einsetzt, dass das EU-Waffenembargo
gegenüber der Volksrepublik China nicht aufgehoben wird."/
/ /

5. Die Situation des Panchen Lama muss bei allen Gesprächen und Kontakten mit chinesischen Politikern und Diplomaten immer wieder thematisiert werden. Doch dabei darf es nicht bleiben. Es gilt auch die Unterdrückung jeglicher kulturellen und religiösen Identität der Tibeter, die Inhaftierung von Nonnen und Mönchen, die Folter in den Gefängnissen, die Zerstörung der Umwelt sowie die gezielte Sinisierungspolitik auf Kosten der tibetischen Kultur anzusprechen. Die Lage der Menschenrechte in der VR China und speziell in Tibet ist daher schon seit vielen Jahren eines der Schwerpunktthemen der AG Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sie können versichert sein, dass meine Kollegen und ich im Menschenrechts- und Auswärtigen Ausschuss weiterhin die Entwicklung in Tibet und die Menschenrechtslage in der Volksrepublik China - gerade auch im Vorfeld der Olympischen Spiele - sehr genau beobachten und bei Verstößen kritisch kommentieren werden.

Ich bin allerdings nicht der Ansicht, dass derzeit Wirtschaftssanktionen am Schweigen der chinesischen Führung über das Schicksal des Panchen Lama ändern werden. Vielmehr möchte ich zu bedenken geben, dass ökonomische Kontakte in den Beziehungen zu etlichen Staaten die einzige Möglichkeit der Einwirkung sind. Der Begriff "Wandel durch Handel" darf nicht als Legitimation für willfähriges Handeln gegenüber Diktaturen missverstanden werden, doch können wir zugleich nicht die Augen davor verschließen, dass oftmals der Handel für viele Bürger in Diktaturen die einzige Möglichkeit ist, mit Bürgern anderer Länder in Kontakt zu kommen. Auch für die Volksrepublik China besteht die Hoffnung, dass die immer weiter voranschreitende Durchsetzung einer Wirtschaftsordnung, die sich in weiten Teilen an einer freiheitlichen Marktwirtschaft orientiert und die über viele internationale Kontakte verfügt, letztlich nicht ohne Einfluss auf das politische System sein wird.

Ich hoffe, ich könnte Ihnen mit diesen Antworten auf Ihre Frage meine Position in der Tibet-Frage erläutern.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
Andreas Schockenhoff