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Groko-Vorschlag zu Karenzzeiten: Diese Seitenwechsel hätten (wahrscheinlich) trotzdem stattgefunden

Zwölf Monate Auszeit will die Große Koalition ausscheidenden Regierungsmitgliedern verordnen - eine Regelung mit "Augenmaß", wie SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann findet. In Wirklichkeit dürfte die Karenzzeit aber weitgehend wirkungslos verpuffen, wie sich an Beispielen aus der Vergangenheit zeigen lässt.

von Martin Reyher, 07.10.2014

Zwölf Monate ins Abklingbecken: Das soll nach dem Willen von Union und SPD künftig für ausscheidende Kabinettsmitglieder gelten, bevor sie einen Job in der Wirtschaft annehmen dürfen. In besonderen Fällen kann die Wartezeit bis zu 18 Monate betragen. Entscheiden soll darüber die Bundesregierung auf "Vorschlag eines beratenden Gremiums aus anerkannten Persönlichkeiten".

Einmal abgesehen davon, dass die Bundesregierung selbst darüber richten soll, ob eine Karenzzeit einzuhalten ist, hat der heute bekannt gewordene GroKo-Vorschlag noch einen weiteren Schönheitsfehler: Er dürfte weitgehend wirkungslos sein (was wir bereits vom Gesetz gegen Abgeordnetenbestechung kennen). Denn bedenkliche Seitenwechsel werden mit einer maximal 18monatigen Karenzzeit kaum zu verhindern, sondern allenfalls um wenige Monate aufzuschieben sein. Dazu genügt ein Blick in die Vergangenheit.

Dirk Niebel wechselte etwas mehr als zwölf Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Entwicklungshilfeministers zum Rüstungskonzern Rheinmetall, wo er ab Januar 2015 als Cheflobbyist tätig sein wird. Selbst wenn das "beratende Gremium aus anerkannten Persönlichkeiten" diesen Lobbyjob anrüchig gefunden hätte: Niebel und Rheinmetall hätten die sechs Monate Extra-Karenzzeit für besonders zwielichtige Seitenwechsel vermutlich einfach ausgesessen. Auch finanziell wäre das für den FDP-Politiker zu verschmerzen gewesen: Als Ex-Minister stände ihm in dieser Zeit die Hälfte seines Amtsgehaltes in Höhe von 12.360 Euro Übergangsgeld zu.

Ähnlich wirkungslos wäre die Karenzzeit vermutlich im Fall Ronald Pofalla verpufft. Im Dezember 2013 gab Pofalla seinen Job als Chef des Bundeskanzleramtes auf, gut zwölf Monate später, mit Beginn des Jahres 2015, soll er im Management der Deutschen Bahn anfangen und spätestens 2017 in deren Konzernvorstand wechseln.

Der Wechsel von Daniel Bahr zur Allianztochter Private Krankenversicherung hätte mit der GroKo-Karenzzeit vermutlich ebenfalls stattgefunden, wenn auch einen Monat später. Wer seit dem Ausscheiden als Gesundheitsminister im Dezember 2013 gut elf Monate abgesessen hat, bei dem kommt es auf ein paar Wochen mehr oder weniger nicht an. Dienstbeginn bei der Allianz soll November 2014 sein.

Bei den prominenten Seitenwechslern der jüngsten Vergangenheit hätte die GroKo-Karenzzeit allenfalls Auswirkungen auf den Wechsel von Eckart von Klaeden zu Daimler gehabt. Klaeden hatte nur wenige Wochen nach seinem Ausscheiden als Staatsminister im Bundeskanzleramt eine Tätigkeit als Cheflobbyist beim Stuttgarter Autobauer aufgenommen. Nicht ausgeschlossen, dass Daimler für seinen gut vernetzten Neueinkauf eine mehrmonatige Wartezeit in Kauf genommen hätte. Denn selbst nach zwölf oder achtzehn Monaten wären die Kontakte des früheren Staatsministers in die Regierungszentrale für Daimler noch von unschätzbarem Wert.

Monatelang haben Union und SPD in Sachen Karenzzeit nichts auf die Reihe bekommen. Doch anstatt eines großen Wurfs präsentiert die GroKo nun einen Vorschlag, der in die Kategorie Symbolpolitik fällt. Wirksam ist eine Karenzzeit nur bei einer angemessenen Abkühlphase. abgeordnetenwatch.de fordert im Bund und in den Ländern eine Wartezeit von drei Jahren, sofern es sich um Tätigkeiten handelt, die das frühere Themengebiet eines Regierungsmitglieds berührt.

Quelle für die aufgeführten Seitenwechsel: Lobbypedia

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