Eilentscheidung: Bundestag muss Lobbyisten mit Hausausweisen nennen

Spektakuläre Entwicklung in Sachen Hausausweise: Der Bundestag muss nach einer Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom Freitag die Identitäten von Lobbyisten nennen, die regelmäßigen Zugang zum Parlament haben. Damit ist die abgeordnetenwatch.de-Klage auf Offenlegung der Lobbykontakte aber dennoch nicht vom Tisch.

von Martin Reyher, 24.11.2015

Welchen Lobbyisten haben die Fraktionen einen Hausausweis zum Bundestag verschafft? Linke, Grüne und zuletzt auch die SPD hatten dies im Zuge von abgeordnetenwatch.de-Recherchen freiwillig mitgeteilt - nur die Union weigerte sich beharrlich. Doch nun kann die CDU/CSU nicht weiter geheim halten, welchen Unternehmen, Verbänden und Organisationen sie Zugang zum Bundestag ermöglicht.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat am Freitag überraschend einer Informationsklage ("Eilklage") des Berliner Tagesspiegel stattgegeben. Die Zeitung hatte - gestützt auf das Presserecht - argumentiert, es gebe angesichts der abgeordnetenwatch.de-Klage und der damit einhergehenden Berichterstattung ein gesteigertes öffentliches Interesse an einem in der Öffentlichkeit intensiv diskutierten Thema. Dies sahen auch die Richter so; ihr Eilbeschluss ist unanfechtbar.

Was bedeutet das?

Darum hat unsere Klage weiter Bestand

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts heißt nicht, dass sämtliche Lobbykontakte der CDU/CSU-Fraktion auch tatsächlich veröffentlicht werden. Der Bundestag muss die Namen der Verbände, Unternehmen und Organisationen, die über die Union einen Hausausweis erhalten haben, lediglich dem Tagesspiegel mitteilen. Ob dieser die vollständige Liste veröffentlicht oder nur einzelne Hausausweisinhaber im Rahmen seiner Berichterstattung nennt, bleibt der Zeitung überlassen.

Auch aus diesem Grund hat sich die abgeordnetenwatch.de-Klage gegen den Bundestag noch nicht erledigt. Damit verfolgen wir zum einen das Ziel, dass die Lobbykontakte der Fraktionen allgemein zugänglich werden. Zum anderen wollen wir aber auch erreichen, dass künftig jede und jeder Informationen über die von den Fraktionen bewilligten Hausausweise einholen kann. Das ist bislang nicht der Fall und daran ändert auch die Eilentscheidung vom Freitag erst einmal nichts. Denn anders als eine Bürgerin oder ein Bürger konnte sich der Tagesspiegel auf das Presserecht berufen. Deswegen streben wir ein Grundsatzurteil an, das ein für allemal klarstellt: Jede Bürgerin und jeder Bürger muss jederzeit in Erfahrung bringen können, welche Lobbyisten über einen Hausausweis Zugang zu unseren Abgeordneten haben - und zwar per formloser Anfrage über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG). (Am Besten wäre natürlich, wenn der Bundestag diese und andere Informationen in einem verbindlichen Lobbyregister von sich aus öffentlich machen würde, doch das wird in absehbarer Zeit nicht passieren.)

Eilentscheid ist die nächste Niederlage für den Bundestag

Auf jeden Fall verbessert der OVG-Beschluss aber noch einmal deutlich die Erfolgschancen für unsere Klage. Denn der jetzige Richterspruch ist - nach dem eindeutigen Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom Juni - eine weitere Niederlage für den Bundestag und die von ihr beauftragte Rechtsanwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs.

Die Anwälte hatten stets behauptet, es verletze das freie Mandat der Parlamentarier wenn bekannt würde, welche Lobbyvertreter Zugang zum Bundestag - und damit zu den Abgeordnetenbüros - haben. Dies sei aber keineswegs der Fall, so die OVG-Richter. Denn Rückschlüsse darauf, ob bzw. wie häufig einzelne Abgeordnete mit Interessenvertretern zusammenkommen, ließen sich mit den Informationen nicht ziehen. Dies gelte auch für die Parlamentarischen Geschäftsführer, die lediglich stellvertretend für ihre Fraktion die Anträge auf Erteilung von Hausausweisen befürworten. Daher sei nicht ersichtlich, dass die Auskunftserteilung das Kommunikationsverhalten einzelner Abgeordneter beeinträchtigen könnte. Die OVG-Richter vermochten auch nicht zu erkennen, dass hierdurch das Recht der Lobbyisten auf informationelle Selbstbestimmung verletzt sein könnte.

Chronologie:

  • 10.4.2014: Mailanfrage on abgeordnetenwatch.de bei den Parlamentarischen Geschäftsführern von Union, SPD, Linke und Grüne, ob sie abgeordnetenwatch.de freiwillig die Namen von Lobbyorganisationen mitteilen, denen sie Bundestagshausausweise bewilligt haben (Linke und Grüne teilten diese mit, die SPD machte die Namen erst im Oktober 2015 öffentlich. Die CDU/CSU-Fraktion verweigert bis heute eine Veröffentlichung.)
  • 17.4.2014: IFG-Antrag von abgeordnetenwatch.de beim Deutschen Bundestag. Angefragt wird u.a. eine Auflistung von Interessenverbänden, bei denen die Ausstellung der Hausausweise von den Fraktionen befürwortet wurde.
  • 6.6.2014: Ablehnungsbescheid der Bundestagsverwaltung: Dem IFG-Antrag bzgl. einer Liste von Interessenverbänden, bei denen die Ausstellung der Hausausweise von den Fraktionen befürwortet wurde, wird nicht stattgegeben. Begründung: Hierbei handele es sich um eine parlamentarische Tätigkeit, die nicht unter das IFG fällt. abgeordnetenwatch.de argumentiert, dass die Ausstellung von Hausausweisen eine Verwaltungstätigkeit ist, die sehr wohl unter das IFG fällt.
  • 26.6.2014: Widerspruch von abgeordnetenwatch.de gegen den Ablehnungsbescheid der Bundestagsverwaltung.
  • 29.10.2014: Widerspruch wird von der Bundestagsverwaltung zurückgewiesen
  • 28.11.2014: abgeordnetenwatch.de reicht über die Anwältin Katja Pink Klage beim Berliner Verwaltungsgericht ein.
  • 23.3.2015: Nun wendet sich auch der Tagesspiegel mit Fragen zu den Hausausweisen an die Bundestagsverwaltung, die aber nur unzureichend beantwortet werden. Daraufhin zieht die Zeitung ebenfalls vor das Berliner Verwaltungsgericht und beruft sich auf ein gesteigertes öffentliches Interesse an einem aktuellen Thema, weswegen eine Eilbedürftigkeit vorliege.  
  • 18.6.2015: Verhandlung vor dem Berliner Verwaltungsgericht und Urteil: Das Gericht gibt abgeordnetenwatch.de in allen Punkten recht: Der Bundestag muss u.a. die Namen von Lobbyorganisationen mitteilen, die durch Unterschrift der Parlamentarischen Geschäftsführer einen Bundestagshausausweis erhalten haben.
  • 28.09.2015: Das Berliner Verwaltungsgericht gibt auch der Klage des Tagesspiegel recht.
  • 1.10.2015: Der Bundestagsältestenrat votiert mit den Stimmen von Union und SPD dafür, im Rechtsstreit mit abgeordnetenwatch.de in Berufung zu gehen. Linke und Grüne stimmen dagegen. Auch gegen das Urteil im Prozess mit dem Tagesspiegel legte der Bundestag Beschwerde ein.
  • Oktober 2015: Der Bundestag reicht beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eine Berufungsbegründung ein. Mit einem Verhandlungstermin ist voraussichtlich nicht vor Mitte 2016 zu rechnen.
  • 26.10.2015: abgeordnetenwatch.de veröffentlicht eine Liste mit den Namen von 607 Unternehmen, Verbänden und Organisationen, die über einen Bundestagshausausweis verfügen. Bis auf die Lobbykontakte der Unionsfraktion ist die Lobbyistenliste weitgehend vollständig.
  • 20.11.2015: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gibt dem Tagesspiegel in einem Eilbeschluss recht. Der Bundestag muss der Zeitung die verlangten Informationen zu den Lobbyisten-Hausausweisen herausgeben.

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