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Christian Lindner
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Frage von Christoph T. •

Frage an Christian Lindner von Christoph T. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Lindner,

in der Öffentlichkeit wird dieser Tage viel darüber debattiert, ob und für welche Personengruppen wann die Grundrechtseinschränkungen durch das IfSG wieder aufgehoben werden sollen. Aus Regierungskreisen hört man, dass die Einschränkungen für Geimpfte und Genesene bald fallen könnten. Dazu habe ich eine Frage, zu der ich aber kurz erst ein paar einleitende Worte sagen möchte:

In Deutschland leben heute ca. 83 Mio. Menschen. Unter diesen 83 Mio. Menschen gab es laut RKI-Lagebericht (Stand 26.04.2021) 3,3 Mio. nachgewiesene Corona-Fälle, und unter diesen sind leider 81600 Menschen an oder mit Corona verstorben. Es gibt aber auch ca. 2,9 Mio. Genesene, folglich also ca. 400.000 aktive Fälle. Inzwischen wurden 19,5 Mio. Bundesbürger bereits geimpft. Daraus ergibt sich, dass mit den Plänen der Bundesregerung für rund 22 Mio. Menschen, also etwa einem Viertel der Bevölkerung, die Beschränkungen bald fallen könnten. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass für 61 Mio. Menschen, ca. drei Viertel der Bevölkerung, die Einschränkungen weiter bestehen bleiben werden. Und dies, obwohl unter den 61 Mio. 60,6 Mio. gesunde, nicht-infizierte Menschen, darunter viele Kinder, sind.

Nun zu meiner Frage:

Mit welchem Recht sollen für diese 60,6 Mio. Menschen weiterhin Einschränkungen der Grundrechte gelten, wenn von Gesunden ja nachweislich keine Gefahr ausgeht, da sie gesund sind, und für die anderen o.g. Gruppen die Einschränkungen aufgehoben werden? Nach meinem Rechtsverständnis ist die Exekutive in der Pflicht, in jedem Einzelfall eine Gefährdung nachzuweisen, und kann nicht jedem einzelnen der 60,6 Millionen unbescholtenen Menschen pauschal, ohne Belege, unterstellen, eine Gefahr darzustellen, und in Folge elementare Grundrechte einschränken. Werden Sie sich, und die FDP, für die Rechte der ungeimpften Gesunden in diesem Land einsetzen, vor allem im Sinne der Kinder?

mit freundlichen Grüßen aus Kiel,
C. T.

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Sehr geehrter Herr Teresa,

vielen Dank für Ihre Frage.

Ihren Unmut kann ich verstehen. Die Frage, inwiefern Geimpfte und Genese noch in ihren Freiheiten beschränkt werden können, hätte schon vor Wochen intensiv diskutiert werden müssen. Hier hat die Bundesregierung wertvolle Zeit verstreichen lassen.

Grundsätzlich gilt: Im Staat des Grundgesetzes muss jeder individuelle Grundrechtseingriff begründet sein. Wo diese Begründung nicht mehr gegeben ist, muss auch die Beschränkung von Freiheits- und Bürgerrechten entfallen. Bei vollständig Geimpften und Genesenen wissen wir inzwischen, dass sie nicht mehr in relevantem Maße zum Infektionsgeschehen beitragen können und auch selbst einen hohen Schutz vor dem Corona-Virus genießen. Grundrechtseingriffe entbehren hier also einer notwendigen Grundlage. Dass für vollständig Geimpfte und Genesene Kontaktbeschränkungen aufrechterhalten werden und ihnen die Teilhabe am öffentlichen Leben verwehrt wird, ist mit unserem Grundgesetz schlicht nicht vereinbar.

Dennoch kann ich Ihre Kritik grundsätzlich nachvollziehen: Freilich treten Grundrechte nicht erst mit einer Impfung in Kraft. Auch ein potenzielles Infektionsrisiko entzieht ihnen nicht einfach die Grundlage. Wo immer Beschränkungen nicht mehr zwingend notwendig sind und durch technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt mildere Mittel zur Verfügung stehen, müssen auch für nicht geimpfte Personen kontrollierte Öffnungen möglich sein. In den FDP-regierten Bundesländern Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ist die Außengastronomie schon seit Wochen in bestimmten Modellregionen geöffnet, sofern Gäste ein negatives Testergebnis vorweisen können. Dieser Weg hat sich bewährt, ein problematischer Einfluss auf das Infektionsgeschehen ist nicht erkennbar. Daher sollte außerhalb von Hotspots in ganz Deutschland gelten: Für Geimpfte, Genesene und negativ Getestete sollten Gastronomie, Hotellerie und Handel genauso wie Theater, Museen, Kinos und Sportstätten mit wirksamen Hygienekonzepten öffnen dürfen.

Darüber hinaus sind viele der vom neuen Infektionsschutzgesetz vorgesehenen Maßnahmen – insbesondere die pauschale Ausgangssperre – ganz unabhängig vom Impfstatus der Betroffenen nicht verhältnismäßig. Daher haben alle 80 Abgeordneten unserer Fraktion gegen das Gesetz eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht.

Über unseren aktuellen Kurs in der Corona-Krise habe ich übrigens erst kürzlich mit der „Heilbronner Stimme“ gesprochen: https://www.christian-lindner.de/interviews/wir-wollen-teil-einer-modernisierungskoalition-sein

Seien Sie versichert, dass wir uns auch weiterhin mit aller Konsequenz für maßvolle und zielgerichtete Maßnahmen sowie den Schutz von Grund- und Freiheitsrechten einsetzen werden – sowohl für Geimpfte und Genese als auch für alle anderen Bürgerinnen und Bürger, wann immer bestehende Regeln nicht mehr verhältnismäßig sind.

Freundliche Grüße

Christian Lindner

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