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Frage von Timo W. •

Frage an Wolfgang Hellmich von Timo W. bezüglich Innere Sicherheit

Hallo Herr Hellmich,

sehen Sie die aktuellen Missstände in vielen Bereichen der Bundeswehr als ein Zeichen einer jahrelangen Fehlinvestition? Anders gefragt: Glauben Sie, dass die Bundeswehr in den letzten 20 Jahren kaputt gespart wurde?

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Sehr geehrter Herr W.,

vielen Dank für ihre Frage.

Es ist für die Beurteilung der heutigen Material- und Personallage in der Bundeswehr wichtig, sich die geschichtlichen Zusammenhänge der vergangenen Dekaden zu vergegenwärtigen. Als die Bundeswehr 1955 gegründet wurde, geschah dies einzig und allein um Westeuropa gemeinsam mit den NATO-Partnern im Falle einer Eskalation des Kalten Krieges gegen die Truppen des Warschauer Paktes zu verteidigen.

Mit dem Ende der Blockkonfrontation, der deutschen Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich auch jener Bezugsrahmen deutscher Sicherheitspolitik auf, der zuvor weit über 30 Jahre Bestand gehabt hatte. Zwar blieb der Auftrag der Landes- und Bündnisverteidigung von dieser Entwicklung formal unberührt, doch jene Kräfte, die diesen Fall hätten auslösen können, wurden nicht mehr als konkrete Bedrohung gesehen.
Folglich wurden in den Folgejahren weniger Mittel für Verteidigung ausgegeben, was gemeinhin als „Friedensdividende“ bezeichnet wird. Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass dies zu jener Zeit parteiübergreifender Konsens gewesen ist. Die Gesellschaften des Westens wendeten sich anderen Themen zu und die politische Systemkonkurrenz schien endgültig überwunden – ein Zeitgeist der sich im Postulat des US-amerikanischen Politologen Francis Fukuyama vom „Ende der Geschichte“ eindrücklich niederschlägt. Verteidigungsausgaben wie zu Hochzeiten des Kalten Krieges wurden vor diesem Hintergrund als schlicht nicht mehr notwendig angesehen.

Bedingt bereits der Einsatz im Kosovo, vor allem aber der hoch komplexe, hoch anspruchsvolle und sehr langfristige Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan seit 2001, zunächst im Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) und seit 2014 im Rahmen der Resolute Support Mission (RSM), zeichnete ein völlig neues Bild des zukünftigen Aufgaben- und Missionsprofils der Bundeswehr. Konzeptionell wurde das Ausrüstungsmanagement besonders hinsichtlich der Bewältigung von Auslandseinsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen ausgerichtet. Mit der NATO-Initiative Enhanced Forward Presence (eFP) und dem Stellen der Very High Readiness Joint Taskforce (VJTF) durch Deutschland für 2019 bis 2021 wird klar, dass die andere, auf dem NATO-Gipfel 2014 in Wales zugrunde gelegte Bedrohungsperzeption zu konkreten Material- und Personalanforderungen führt.

Mit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 und dem daraus resultierenden und auch weiterhin schwelenden Konflikt in der Ost-Ukraine, hat die Landesverteidigung in der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einen neuen Stellenwert erlangt. Vor diesem Hintergrund möchte ich mich der Forderung nach einer bedarfsorientierten Vollausstattung der Bundeswehr ausdrücklich anschließen – die Bundeswehr muss ihren Bündnisverpflichtungen wie auch der Landesverteidigung gleichermaßen nachkommen können. Es ist insofern richtig, dass hierfür in den nächsten Jahren mehr Geld aufgewendet werden muss.

Richtig ist aber auch der Hinweis, dass die Umsetzung von Geld im Beschaffungswesen Probleme aufwirft. Zu wenig Personal, regulatorische Überforderungen im Ausschreibungsrecht und viele weitere Punkte werden zu Recht genannt. Sie alle müssen zügig angegangen werden, um die Administration hoheitlicher Aufgaben zu beschleunigen. Dies muss am Output orientiert werden, denn daran bemisst sich, was wie schnell bei der Truppe ankommt. Die wieder verstärkte Anwendung des – ehemals so genannten – „einsatzbedingten Sofortbedarfs“ ist zu begrüßen, aber keine dauerhafte Lösung. Mehr Munition, mehr Ersatzteilpakete, mehr und schneller verfügbare persönliche Ausstattung wie auch eine verbesserte Verlegefähigkeit und ein verbesserter Truppentransport erfordern mehr Infrastruktur und eigene Lagerhaltung.

Wenn die Verteidigungsministerin nun also einen derartigen Aufwuchs der Mittel fordert, muss sie sich fragen lassen, wieso in den vergangenen Jahren nicht die nötigen strukturellen Reformen zur effektiven Umsetzung größerer Mittel angestoßen und umgesetzt wurden. Zudem sei nicht unerwähnt, dass die zur thematischen Abstimmung erforderlichen Ressortminister in der vergangenen Dekade alle Mitglieder der CDU/CSU waren.

Gleichwohl sind wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier an Lösungen, nicht an Schuldzuweisungen interessiert. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen in den von ihnen eingebrachten Haushaltsanträgen 2018 klare Schwerpunkte gesetzt. So ist in den bundeswehreigenen vordringlichen Bedarf die persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten aufzunehmen. Nachsichtbrillen, Bekleidung, Helme, Waffen, Stiefel und Schutzwesten gehören auf den ersten Platz der Beschaffungsliste. Auch hier müssen die Beschaffungsprozesse beschleunigt werden.

All diese Maßnahmen dienen dem Ziel, den notwendigen Richtungswechsel von einem restriktiven Sparkurs hin zu einer aufgabenorientierten Linie praktisch umzusetzen.

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort den gegenwärtigen Sachstand und die mittelfristigen Herausforderungen etwas näher gebracht zu haben. Selbstverständlich können Sie sich bei Fragen auch weiterhin gerne an mich wenden.

Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Hellmich, MdB

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