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Viola von Cramon-Taubadel
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Jim B. •

Frage an Viola von Cramon-Taubadel von Jim B. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Frau Viola von Cramon-Taubadel,

ich möchte gerne wissen warum Sie bei den Finanzhilfen für Griechenland zugestimmt haben, ohne auf die Mehrheit des Volkes zu hören, das genug davon hat das Deutsche Steuergelder an andere Länder verschleudert werden?
Wir leben doch in einer Demokratie, oder?
Warum hören Sie als Volksvertreterin dann nicht auf den Willen des Volkes?
Warum gab es keine Volksabstimmung, ob wir Bürger überhaupt noch mehr Geld geben wollen?
Warum gab es keine Volksabstimmung, ob wir Bürger den Euro überhaupt wollen?
Warum gab es keine Volksabstimmung, ob wir Bürger überhaupt in der EU sein wollen?
Uns hat nie jemand gefragt!

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Becker,

vielen Dank für Ihre E-Mail und die darin enthaltene Frage zu den Änderungen des griechischen Anpassungsprogramms. Gerne erläutere ich Ihnen meine Position dazu.

Ich habe einer Verlängerung der griechischen Sparziele zugestimmt, weil ich die von der Eurogruppe beschlossene Anpassung für Griechenland für richtig halte. Seit Monaten wurde über die nächste Auszahlung der Griechenlandhilfen beraten. Zwar bescheinigte der Bericht der Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, dass Griechenland die politischen Vorgaben weitestgehend umgesetzt hat. Mittlerweile zeigt sich aber deutlich: Die Auswirkungen der radikalen Kürzungsmaßnahmen auf die griechische Wirtschaft wurden seitens der Troika unterschätzt. Die derzeitige Strategie, die maßgeblich auf eine harte Sparpolitik setzt, hat nicht den erhofften Erfolg gebracht. Ich habe die einseitigen Kürzungsvorgaben oft kritisiert. Jetzt zeigt sich: Griechenland braucht für die Sanierung seines Landes mehr Zeit. Und das kostet mehr Geld. Unter einem Flickenteppich von komplizierten Einzelmaßnahmen versucht die Bundesregierung diese einfache Wahrheit zu verdecken. Statt diese Tatsache offen auszusprechen und einen transparenten und nachvollziehbaren Weg aus der Krise aufzuzeigen, beharrt die Bundesregierung auf einer undurchsichtigen Minimallösung und hofft einen Schuldenschnitt auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschieben zu können.

Ein schrittweiser und konditionierter (gegen Auflagen gewährter) Schuldenerlass in der Zukunft, wäre ein möglicher Weg aus der Krise in Griechenland. Denn nur ein gesunder Staat kann langfristig auch seine Kredite zurückzahlen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass auch über das nächste Jahrzehnt hinaus, Griechenland in seiner Phase der Transformation von den Europäischen Institutionen begleitet werden muss. Die Griechenland-Rettung wird spätestens am „Ende“ der Kreditzahlungen Geld kosten. Wobei man nicht der Illusion erliegen darf, dass die „Nicht-Rettung“ nichts kosten würde. Die Auswirkungen eines ungedämpften Bankrotts, und seiner Folgewirkungen für die anderen Krisenstaaten und damit für die wirtschaftliche Situation in Europa, wird von ExpertInnen in Summen geschätzt, die die jetzt geleisteten Hilfen um ein Vielfaches übersteigen. Es ist also Geld wert, Griechenland im Euro zu behalten und das Land auf wirtschaftlich gesunde Beine zu stellen. Aber das Geld darf nicht in undurchsichtigen Strukturen versickern, sondern muss sinnvoll investiert werden. Daher muss sichergestellt sein, dass nachhaltige Strukturreformen nicht nur auf den Weg gebracht, sondern auch transparent und überprüfbar abgeschlossen werden. Diese Reformen dürfen sich nicht auf die Haushalts-, Fiskal- und Wirtschaftspolitik beschränken, sondern müssen auf Bereiche wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, die Reform der Verwaltungskapazität, die ökologische Transformation der Energiewirtschaft etc. ausgeweitet werden. Ein Verfahren mit klaren Zielvorgaben, ähnlich wie bei Verhandlungskapiteln aus den EU-Beitrittsverhandlungen, könnte etabliert werden.

Die Troika bescheinigte den Griechen in ihrem letzten Bericht maßgebliche Erfolge bei den geforderten Reformprogrammen. So wurde eine umfassende Steuerreform auf den Weg gebracht, welche die Steuerbasis verbreitern und damit die Steuerlast auf mehr Schultern verteilen soll. Die Reform soll 2013 beginnen und ab 2014 zu Mehreinnahmen führen. Vielfältige Steuerausnahmen sollen abgebaut und die Selbstständigen stärker in die Verantwortung genommen werden. Die Steuerprüfer sollen in Zukunft stärker kontrolliert werden, um so der Korruption Einhalt zu gebieten. Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Wir dürfen von Griechenland keine Wunder erwarten und dann die Enttäuschung der selbst zu hoch gesteckten Erwartungen beklagen. Die Transformation, die Griechenland im Moment innerhalb kürzester Zeit zu vollziehen hat, ist international in der jüngsten Zeit beispiellos. Ich weiß um die Defizite der bisherigen Rettungspolitik und will die politische Lage in Griechenland nicht schönreden, sondern gehe vielmehr von einer realistischen Ausgangssituation aus, um weitreichende aber umsetzbare Ziele zu formulieren - für Griechenland und für Europa.

Sie sehen die Finanzhilfen für Griechenland kritisch, sie sollten aus meiner Sicht aber nicht ihre demokratisch Legitimation in Frage stellen. Ich glaube nicht, dass diese Fragen per Volksentscheid beschlossen werden sollten. Die grüne Bundestagsfraktion setzt sich hingegen für einen handlungsfähigen Euro-Rettungsschirm ESM und zugleich für starke Parlamentsrechte ein. Es gilt das Prinzip: Keine Entscheidung ohne parlamentarische Mitbestimmung! So muss der Deutsche Bundestag beispielsweise zustimmen, bevor einem Land Finanzhilfe gewährt wird, das Volumen des ESM erhöht oder die Hilfsinstrumente geändert werden.

Vor dem Bundesverfassungsgericht hat die grüne Bundestagsfraktion durchgesetzt, dass auch im Rahmen des Fiskalvertrags umfassende Informations- und Mitwirkungsrechte gelten. Mit dem Rückenwind aus Karlsruhe konnten wir trotz heftigen Widerstands der Koalition erreichen, das EU-Beteiligungsgesetz, welches die Rechte des Bundestags regelt, an die Neuerungen des Fiskalvertrags anzupassen. Nicht nur innerstaatlich kämpfen wir für ein starkes Parlament: Wir wollen das Europäische Parlament zum zentralen Ort europäischer Entscheidungen machen. Wir wollen mehr Rechte für die europäischen Abgeordneten. Europäische Integration heißt für uns auch, gemeinsam zu entscheiden!

Die grüne Bundestagsfraktion hat viele konstruktive Konzepte für die Lösung der Finanzkrise und zur Zukunft der Europäischen Union erarbeitet. Wir setzen uns weiter vehement für ihre Umsetzung ein (sehen Sie dazu auch die Informationen von der Grünen Infotour "Mehr Mut zu Europa").

Mit freundlichen Grüßen

Viola von Cramon

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