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Ulrike Bahr
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Frage von Maximilian Otto B. •

Frage an Ulrike Bahr von Maximilian Otto B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Ich bin seit einiger Zeit wieder Königsbrunner Bürger und Sie bewerben sich wohl darum mich im Bundestag vertreten zu dürfen. Ich kenne die Positionen Ihrer Partei recht gut und habe zu den meisten eine gefestigte Meinung. Was mich interessieren würde, wäre Ihre persönliche Einstellung zur Deutschen Außenpolitik in Bezug auf Syrien unddie Türkei.
Vor wenigen Tagen verlor der so genannte Islamische Staat eine seiner letzten großen Städte und die Demokratischen Kräften Nord Syriens marschieren auf die letzten Städte entlang der Irakischen Grenze des ehemaligen Kalifats. Es ist offensichtlich das die Revolution in Syrien gescheitert ist, dennoch ist die deutsche Außenpolitik noch immer in einem Zustand vollständiger Leugnung der Tatsachen: Der Sieg Assads über die Rebellen wird ignoriert. Große Teile des Bündnisse der Demokratischen Kräfte Nord Syriens (YPG,YPJ,PYD) werden in Deutschland (je nach Ansicht des Innen- oder Außenministeriums) als Terroristische Organisationen betrachtet. Ich frage Sie nach Ihrer ganz persönlichen Meinung, wie sich Deutschland angesichts dieser neuen Realität positionieren sollte.
Zweiten würde ich Sie bitten eine mittelfristige Position Deutschlands der Türkei gegenüber zu skizzieren. Mir ist klar, dass die Türkei eine wichtige Partnerin war, um 2015 wieder Herr der Lage zu werden. Ebenso steht völlig außer Frage, dass die Türkei mit der dieser Deal einmal geschlossen wurde, nicht dieselbe ist wie heute. Erdogan säubert seinen Staat, bombardiert willkürlich Kurdische Milizen in Syrien und in Shingal und finanziert in Syrien offen Milizen denen mehrfach Kriegsverbrechen nachgewiesen wurden. Und lassen Sie mich in aller Deutlichkeit sagen: Es steht der Würde dieser Republik sehr schlecht an, einen Flüchtlingsdeal mit einem Regime zu haben, aus dessen Land man politische Flüchtlinge aufnimmt! Sehen Sie keine Option das Deutschland, seiner Verantwortung in der Region besser gerecht zu werden?

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Sehr geehrter Herr B.,

vielen Dank für Ihre Mail und Ihre Fragen zu Syrien und der Türkei. Die Lage in Syrien bewerte ich etwas anders. Zwar haben die Syrian Democratic Forces (SDF), ein Zusammenschluss der syrischen Kurden, mit Unterstützung der USA beträchtliche militärische Erfolge erzielt. Von einem kompletten Sieg kann aber nicht die Rede sein. Im mittleren Euphrat-Tal ist der IS noch stark, auch Al Qaida hat noch Stützpunkte in Syrien.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat wiederholt festgestellt, dass die Terrororganisation Islamischer Staat unverändert eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt. Zahlreiche europäische Länder, aber auch Deutschland mussten dies schmerzlich erfahren. Selbst wenn am Ende eine tragfähige Friedensregelung in der Region nur politisch erreicht werden kann, muss der IS auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden. Aus diesem Grund haben sich 67 Staaten in der internationalen Anti-IS-Koalition zusammengeschlossen. Deutschland hat mit seinen Maßnahmen zu Luftaufklärung, Luftbetankung und Begleitung für einen französischen Flugzeugträger seinen Beitrag innerhalb dieser Koalition geleistet. Die Erfolge gegen den IS sind unübersehbar. Aktuell befindet sich der IS in der Defensive. Nun gilt es, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen, ergänzt um Aufklärungselemente von AWACS, die Deutschland gemeinsamen mit anderen Partnern in die Koalition einbringen kann. Deutschland zeigt sich hier als verlässlicher Partner, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Die kurdischen Organisationen sehen wir dabei übrigens vielfach als Partner, nicht als terroristische Vereinigungen. Lediglich die PKK wird in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet. Mit gutem Grund, denn sie befeuert in Deutschland Auseinandersetzungen zwischen Kurden und türkisch-nationalistischen Gruppierungen, sie wirbt massiv Mittel ein und Kämpfer an für den bewaffneten Kampf und terroristische Anschläge in der Türkei (s. Verfassungsschutzbericht 2015, S. 212 ff.)

Die SPD Bundestagsfraktion steht seit Beginn des Syrien-Konfliktes geschlossen hinter den kontinuierlichen Bemühungen der Vereinten Nationen, einen nachhaltigen Friedensprozess für Syrien zu etablieren. Für ein nachhaltig stabiles und friedliches Syrien gibt es keine militärische Lösung, nur eine politische. Darüber können auch die jüngsten militärischen Erfolge des Assad-Regimes nicht hinwegtäuschen. Sollte der IS wirklich komplett besiegt werden, ist auch noch keineswegs klar, wie sich das Verhältnis von Assad und den SDF gestalten wird. Um eine friedliche Lösung zu erreichen, sind weiterhin beständige Gespräche und auch anhaltender Druck auf alle Konfliktparteien und Akteure mit Einfluss auf das Geschehen notwendig, einschließlich Russland und Iran. Auch die Türkei ist gefragt, eine konstruktive Rolle im Konflikt zu spielen.

Der Kampf gegen den Terrorismus kann dabei nicht allein mit militärischen Mitteln erfolgreich zu Ende gebracht werden. Aus diesem Grund setzen wir uns für einen breiten zivilen Ansatz ein, mit dem eine Stabilisierung der vom IS befreiten Gebiete in Syrien und Irak angestrebt werden soll. Deutschland gehört bereits heute zu den größten internationalen Gebern für humanitäre und Wiederaufbauhilfe in der Region. Das übergeordnete Ziel bleibt eine umfassende politische Lösung für Syrien und eine dauerhafte Stabilisierung des Irak, für die sich insbesondere unsere Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel konsequent und mit großem persönlichem Engagement eingesetzt haben bzw. einsetzen.

Die gegenwärtigen Entwicklungen in der Türkei sehe ich mit größter Sorge und verurteile die massenhaften Entlassungen und Verhaftungen von Journalistinnen und Journalisten, Staatsbediensteten und Oppositionellen sowie die Einschränkung fundamentaler Grundrechte wie der Freiheit von Medien und Wissenschaft in aller Schärfe. Das Vorgehen der türkischen Regierung steht im Widerspruch zu den Werten der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die grundlegend für die europäische Wertegemeinschaft sind.

Die Türkei von Präsident Erdogan kann keinen Platz in der Europäischen Union haben. Die Fortführung von Beitrittsgesprächen macht entsprechend keinen Sinn. Gleichzeitig dürfen wir aber die Türkei nicht auf ihren derzeitigen Präsidenten reduzieren. Da erkläre ich mich solidarisch mit den Demokratinnen und Demokraten in der Türkei. Es ist auch nicht in unserem Interesse, dass sich die Türkei noch weiter von Europa abwendet. Darum ist es unsere Politik, die gegenwärtigen Spannungen im bilateralen Verhältnis abzubauen. Die bedeutet aber nicht, dass wir unserer eigenen Positionen oder unserer Ansprüche an die Türkei relativieren. Im Gegenteil: Die SPD-Bundestagsfraktion steht dafür, dass die deutsche Bundesregierung eine klare Haltung einnimmt und ihre Werte gegenüber ihren türkischen Gesprächspartnern selbstbewusst und mit Nachdruck verteidigt.

Deutschland und die Türkei sind und bleiben in vielfältigster Weise verbunden – nicht nur durch die fast drei Millionen Menschen türkischer Herkunft, die in Deutschland leben, und die engen familiären und freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen unserer Länder. Die Türkei ist zudem ein wichtiger Akteur in der Region, u.a. mit Blick auf den Syrienkonflikt und im Verhältnis zu den syrischen und irakischen Kurden.

Das Flüchtlingsabkommen zwischen EU und der Türkei dient in erster Linie den Flüchtlingen in der Türkei, nicht Präsident Erdogan. Mithilfe der EU-Gelder wird die humanitäre Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei sichergestellt und die Anreize für lebensgefährliche Überfahrten nach Griechenland werden minimiert. Es ist weder im Interesse von Präsident Erdogan noch im Interesse der EU, das Abkommen aufzukündigen. Und das Abkommen hindert uns nicht daran, mit der Türkei Klartext zu reden. Europa macht sich durch das Abkommen auch nicht von der Türkei abhängig; insofern sind auch "Drohungen" von Präsident Erdogan, das Abkommen zu kündigen, recht hohl. Ich sehe darum auch keinen Widerspruch darin, das Flüchtlingsabkommen weiterzuführen und gleichzeitig politisch Verfolgten aus der Türkei in Deutschland Asyl zu gewähren.

Mit freundlichen Grüßen,
Ulrike Bahr

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