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Ulrich Petzold
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Frage von Mario P. •

Frage an Ulrich Petzold von Mario P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Herr Petzold,

wie passen Fraktionszwang und Demokratie bei Abstimmungen ihrer Meinung nach zusammen?
Was muss passieren, damit Sie sich dem Fraktionszwang bei Abstimmungen entziehen?

Danke für die kommende Antwort
M.Prell

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Prell,

Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz)

In der Praxis kommt der Konflikt von Gewissen und Parteilinie allerdings weitaus seltener vor, als oftmals suggeriert. In der Regel tritt ein Politiker nämlich in eine Partei ein, die seine eigenen politischen Überzeugungen vertritt. Und Politiker wissen, dass zu erfolgreicher Politik *Kompromisse* und *Geschlossenheit* notwendig sind. Daher sind Politiker - gerade in den großen Volksparteien wie der CDU und der SPD - in aller Regel bereit, über ihren Standpunkt mit ihren Fraktionskollegen zu verhandeln und Kompromisse abzuschließen - eben weil sie es ihrem Gewissen schuldig sind, soviel wie möglich dessen, was sie für richtig halten, in praktische Politik umzusetzen. Diese Kompromisssuche z.B. zwischen den einzelnen Flügel einer Partei, geschehen sehr intensiv im Vorfeld einer Entscheidung und führen dann auch meist zu von der Mehrheit getragenen Kompromissen. Ist dieser Kompromiss in der eigenen Partei gefunden, dann muss ich zusätzlich erneut einen weiteren Kompromiss auch noch in einer Koalition erzielen. Auch das ist nicht immer leicht und nimmt Zeit in Anspruch. Diese Kompromisse vertreten sie dann geschlossen nach außen und stimmen in der Regel auch geschlossen im Parlament ab. Habe ich eine knappe Mehrheit, dann steigt natürlich der Druck auf den einzelnen Abgeordneten, die Mehrheit nicht zu gefährden. Gerhard Schröder hat dies in seiner Kanzlerschaft mehrfach leidlich erfahren, dass ihm die Abgeordneten seiner Fraktion nicht folgten und er Gesetze nur mit den Stimmen der Opposition durch bekam, was ihn am Ende auch zermürbte. Habe ich dagegen eine satte Mehrheit, dann kann ich mir auch mehr "Abweichler" von der herrschenden Meinung erlauben. Dies macht natürlich in der öffentlichen Wahrnehmung kein so gutes Bild.

Alle Entscheidungen sind letztlich Gewissensentscheidungen, das heißt: bei allen Entscheidungen darf ein Abgeordneter grundsätzlich gegen seine Fraktionskollegen stimmen.

Der Abgeordnete darf eben selbst entscheiden wie er abstimmt, unabhängig von der Auffassung seiner Fraktionskollegen und ebenso unabhängig von dem, was er vor der Wahl gesagt hat. Denn kein Parteichef und kein Fraktionsvorsitzender kann einen Abweichler dazu zwingen, anders abzustimmen. Im schlimmsten Fall könnte jemand aus der Fraktion ausgeschlossen werden.Auch wenn er aus der Fraktion und Partei ausgeschlossen würde, bleibt der Abweichler im Parlament. Aber selbst der Ausschluss aus Fraktion und Partei ist nicht so ohne weiteres zu bewerkstelligen. Die Aufmerksamkeit, die solche Fälle erhalten, zeigen, wie wenig charakteristisch sie sind.
Der letzte spektakuläre Fall war Dagmar Metzger in Hessen, die die Ypsilanti-Lüge nicht mittragen wollte. Metzger wollte als einzige aus der SPD-Fraktion die vor der Wahl öffentlich vertretene Linie (keine Zusammenarbeit mit der Linkspartei) weiterhin vertreten. Insofern war nicht Metzger die Abweichlerin, sondern der Rest der SPD-Fraktion. Das Ergebnis ist bekannt. Aber sie sehen daran, die Entscheidungsrelevanz des freien Mandats.
Das freie Mandat ist Grundlage der innerfraktionellen und damit der innerparteilichen Demokratie.

In der Praxis würde ich daher also von Fraktionsdisziplin, nicht von Fraktionszwang sprechen. Dabei spielt gegenseitiger Druck durchaus eine Rolle: Dagmar Metzger hat den Druck ihrer Kollegen und ihrer Partei sicher zu spüren bekommen. Druck lässt sich kaum vermeiden, aber er ist auch nicht so wirkungsvoll, wie viele gemeinhin glauben. Häufig heißt es, ein Abweichler habe zu befürchten, dass er bei der nächsten Wahl nicht wiederaufgestellt wird. Das ist zwar grundsätzlich richtig und auch in der Sache nicht zu beanstanden: Schließlich ist kein Parteiverband dazu gezwungen, jemanden erneut als Kandidaten aufzustellen, dessen Arbeit ihm nicht gefallen hat. Aber wenn ein Abweichler eine starke Hausmacht hat also die Unterstützung seines Wahlkreisverbandes oder auch nur eines Flügels des Landesverbandes -, dann ist die Drohung mit der Nicht-Wiederaufstellung eine leere Drohung.

Frau Metzger hatte übrigens diesen Rückhalt in ihrem Wahlkreis. Am Ende bleibt es letztlich immer eine Entscheidung des Abgeordneten, ob man dem Druck nachgibt oder nicht. Bei tatsächlichen lebensrelevanten Fragen, wie z.B. bei der Abtreibungsfrage oder zuletzt im Bundestag die Frage der Patientenverfügung, kann es Mehrheitsmeinungen in einer Fraktion geben, aber sie sahen gerade bei dieser Diskussion, dass das Meinungsspektrum quer durch die Parteien ging und da völlig ungewöhnliche Koalitionen bei der Entscheidung zustande kamen, die über die Partei- und Fraktionsgrenzen hinaus gingen.

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Petzold