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Frage von Laura G. •

Frage an Ulla Jelpke von Laura G. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Jelpke,

da Sie eine bedeutende Politikerin sind, fiel unser Augenmerk bei unserer Schulrecherche auf Sie.
Wir sind vier Schülerinnen des „Europaschule Gymnasiums“ in Gommern und momentan führen wir ein Projekt zum Thema „Nationalismus“ in unserer Schule durch.
Aus diesem Grund würden wir uns freuen, wenn Sie uns einige Fragen diesbezüglich beantworten könnten.
Sind Sie der Meinung, dass der Frühnationalismus den heutigen Nationalismus geprägt hat und wie stark ist dieser heute (noch) ausgeprägt? Sind beispielsweise Namensgebungen von Schulen und Straßen von bedeutenden Personen des Nationalismus des 19. Jahrhunderts noch angemessen (z.B. E. M. Arndt).
Vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Bemühungen für die Beantwortung unserer Fragen.

Mit freundlichen Grüßen
L. G.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Gaschi,

gerne beantworte ich Ihnen Ihre Fragen, muss aber gleich darauf hinweisen, dass ich sie natürlich aus einem politischen Blickwinkel heraus beantworte. Ich würde Ihnen raten, sich auch noch mit Historiker*innen zu beraten, falls Sie das nicht eh schon gemacht haben.

Ich glaube, es ist nicht möglich, den „Frühnationalismus“ über einen Kamm zu scheren. Dass er nicht nur Geschichte ist, sondern nach wie vor wirkt, sieht man am besten an der deutschen Nationalfahne: Ihre Farben werden auf die Farben zurückgeführt, die die Angehörigen des Lützowschen Freikorps trugen, die sich 1813/14 an den sogenannten Befreiungskriegen gegen Napoleon beteiligt haben. Auch die Bundeswehr beruft sich in öffentlichen Verlautbarungen und in ihrer Traditionspolitik gerne auf dieses Freikorps.

Auch die Befreiungskriege selbst sind allerdings nicht widerspruchsfrei. Sie haben natürlich einen mobilisierenden Effekt gehabt und beförderten das bis dahin in Deutschland noch wenig vorhandene Nationalgefühl, und es gab selbstverständlich auch politisch fortschrittliche Positionen darin. Hieran hat übrigens nicht nur die Bundeswehr bzw. die Bundesrepublik angeknüpft, sondern auch die DDR. Dort hat man zu Beispiel vor allem darauf hingewiesen, dass damals eine Massenbewegung von unten gegen die Ungerechtigkeiten der herrschenden Klasse gekämpft habe.
Und dieser Gedanke ist vom Grundsatz her auch heute noch stark verbreitet, bei sozialen Bewegungen aber zum Glück meistens ohne Einengung auf einen nationalen Rahmen.

Anders zum Beispiel bei Aufmärschen wie Pegida: Diese Leute tragen ja auch gerne schwarz-rot-goldene Fahnen bei sich und nehmen für sich in Anspruch, eine Bewegung von unten zu sein, die gegen „die da oben“ kämpft. Tatsächlich geht es ihnen aber nicht um politische Freiheitsrechte, sondern einzig und allein um die Abgrenzung des „eigenen“ Nationalstaates gegenüber allen, was sie für „fremd“ erklären, in der Regel mit rassistischer Motivation.
Einer der übelsten Vordenker in diesem Sinne war sicherlich der von Ihnen erwähnte Ernst Moritz Arndt. Der steht ganz eindeutig für einen reaktionären, rassistischen und antisemitischen Nationalismus, dem es nur um „Befreiung“ des Nationalstaats von ausländischer Herrschaft ging, nicht aber um eine innere Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger. (Meines Erachtens verdient so eine Haltung gar nicht die Bezeichnung „Befreiung“). Öffentliche Gebäude und auch Straßen sollten nach meiner Meinung nicht nach ihm benannt sein. Bei anderen Angehörigen der damaligen Nationalbewegung würde ich mir wünschen, dass nicht nur einfach ein Name auf dem Schild steht, sondern eine Erläuterung, die die Person (oder auch ein Ereignis, z. B. eine Schlacht) einordnet und auf die Widersprüchlichkeit hinweist.

Und ganz generell möchte ich noch anfügen: Nationalstaaten sind eine vorübergehende Erfindung der Neuzeit. Mein politischer Kampf gilt nicht ihrer Verteidigung oder Verlängerung, sondern ich setze mich für politische und soziale Rechte der Menschen ein – ob diese nun in einem Nationalstaat, einem Staatenbund oder auch einer anders organisierten Assoziation freier Menschen leben.

Ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg für Ihr Projekt; freundliche Grüße

Ulla Jelpke