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Sylvia Löhrmann
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Frage von Patrick B. •

Frage an Sylvia Löhrmann von Patrick B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Löhrmann,

nun, wo die Chancen auf eine rot-rot-grüne Koalition in NRW dahin sind und es auf eine Koalition zwischen SPD und CDU hinaus laufen wird, stellt sich mir folgende Frage:
Glauben Sie, dass Ihre Wählerschaft in NRW es positiv auffassen wird, dass es wegen Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und der Linksfraktion in NRW, u.a. über die Beurteilung der DDR Vergangenheit, weder zur Abschaffung des gegliederten Schulsystems, noch zur Abschaffung der Studiengebühren, noch zu einem Stop der Kohlekraft-Politik in NRW kommen wird? Oder können Sie sich vorstellen, dass beispielsweise StudenteInnen die grün gewählt haben, mehr Wert auf ein gebührenfreies Studium gelegt hätten als darauf, dass Sie Ihre persönliche Meinung verteidigen, zu Themen, die für die meisten Ihrer Wählerinnen in NRW selbst nicht die geringste Rolle spielen?

Mit umweltfreundlichen Grüßen,

Patrick Binkofski

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Binkofski,

Sie können sich sicher vorstellen, dass wir im Moment sehr viele Briefe und Mails bekommen. Viele beglückwünschen uns noch immer zu dem grandiosen Wahlergebnis vom 9. Mai 2010, viele geben uns Ratschläge oder äußern ihre Wünsche dazu, wie es in Nordrhein-Westfalen weitergehen soll. Natürlich bewerten auch viele die Sondierungsgespräche mit der Linkspartei. Aufgrund der Vielzahl von Zuschriften bitte ich um Verständnis, dass ich Ihnen insgesamt antworte.

Das Spektrum der Zuschriften geht sehr weit auseinander: Die einen bedauern das Scheitern der Gespräche mit der Linkspartei, andere äußern Verständnis und zollen uns Respekt für unsere klare Haltung. Einige wollen die Ampel mit der FDP, andere auf keinen Fall.
Wir Grüne haben nach der Wahl an unserem bisherigen Kurs festgehalten: die Orientierung an unseren Inhalten. Wenn wir regieren, dann nur, wenn wir unseren Zukunftsplan weitestgehend umsetzen können. Genau dafür sind wir gewählt worden, genau das war und ist unser Maßstab für jegliche Gespräche: Energiewende, beste Bildung für Alle, Rettungsschirm für unsere Kommunen, mehr soziale Gerechtigkeit.

Ich sage es nach den Sondierungsgesprächen mit der Linkspartei klipp und klar: Dieser sozial-ökologische Politikwechsel ist mit dieser Linkspartei in Nordrhein-Westfalen nicht möglich!
Wir und die SPD sind in die Gespräche mit der Linkspartei gegangen mit der Option auf eine Koalition für diesen Politikwechsel. Wir sind ernüchtert und enttäuscht aus diesen Gesprächen herausgegangen. In entscheidenden Punkten hat die Linkspartei diesen Politikwechsel unmöglich gemacht. Sie hat die Öffentlichkeit und ihre Wählerinnen und Wähler über ihre eigene Handlungsfähigkeit getäuscht.

1. Verlässliche Arbeit in einer gemeinsamen Regierung:

Die Linkspartei hat nicht akzeptiert, dass die Landespartei Entscheidungen, die in einer gemeinsamen Regierung getroffen und auch von den Fraktionen beschlossen werden, mittragen muss.
Angesichts einer zu erwartenden Frontstellung des konservativen politischen Lagers und weiter Teile der Landesmedien ist ein einheitliches Auftreten und gemeinsames Einstehen für die eigene Politik unerlässlich für den politischen Erfolg. Es ist in einem solchen Regierungsbündnis für keine Partei möglich, zugleich Regierung und Opposition zu sein

2. Demokratischer Grundkonsens und Rechtsstaat

Im Vorfeld der Gespräche haben Abgeordnete der Linkspartei problematische Äußerungen zu Stasi, NVA und Verfassungsschutz gemacht. Für uns war es notwendig, diese Fragen anzusprechen - denn hierbei geht es um ein gemeinsames Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis. Wir wollten dazu eine gemeinsame Erklärung aller drei Parteien - eine Erklärung, die Grüne, SPD und Linkspartei in Thüringen vereinbart haben (vgl. http://www.bejm-online.de/gfz/dokumente/aktuelle-dokumente/aufarbeitung-ddr-geschichte/ ). Aber die Linkspartei NRW war dazu nicht bereit. Statt hier in wenigen Minuten zu einem Konsens zu kommen, relativierte die Linkspartei immer wieder, dass die DDR ein Unrechtsstaat war.

Wichtig ist mir festzuhalten, dass das Thema "DDR" durch das Verhalten der NRW-Abgeordneten zu einem NRW-Thema geworden ist, nicht weil SPD und Grüne dies wollten.

Außerdem beharrte die Linkspartei auf ihrer Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes. Sie wollte sogar, dass im Koalitionsvertrag vereinbart wird, dass die Linkspartei nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Wir Grüne haben diese Beobachtung vielfältig kritisiert und halten sie für überflüssig - aber eine solche Vereinbarung kann in keinem Koalitionsvertrag stehen: Das wäre eine unzulässige politische Einmischung in die Arbeit des Verfassungsschutzes - und wäre damit rechtswidrig.

3. Finanzsituation des Landes:

Angesichts der Finanzlage von Nordrhein-Westfalen (130 Mrd. Euro Schulden, jährlich 6,6 Mrd. Neuverschuldung, wegbrechende Steuereinnahmen zwischen 1 und 1,8 Mrd. Euro jährlich von 2011 bis 2013) geht eine Wünsch-Dir-Was-Politik nicht. Auch bei den 300.000 Beschäftigten des Landes dürfen Einsparungen nicht von vorneherein tabu sein. Natürlich sind die großen Bereiche Schule, Hochschule, Polizei und Justiz davon ausgenommen. Aber in den anderen Bereichen müssen die Einsparpotentiale aufgabenkritisch ausgelotet und gegebenenfalls genutzt werden können. Das lehnt die Linkspartei kategorisch ab und verschanzt sich hinter populistischen Überschriften. Gleichzeitig fordert sie noch eine zusätzliche jährliche Neuverschuldung für ein Zukunftsinvestitionsprogramm von + 3,6 Mrd. Euro. Die Gegenfinanzierungsmaßnahmen der Linkspartei in NRW basieren auf diversen Steuererhöhungen auf Bundesebene - das ist völlig unrealistische Haushaltspolitik. Auch wir Grüne treten für nachhaltige Investitionen ein, aber blinde Schuldenmacherei ist unseriös und angesichts der Belastungen für nachfolgende Generationen völlig verantwortungslos.

4. Landespolitische Unkenntnis

Dass die Linkspartei als neue Fraktion keine Erfahrung hat, ist ihr nicht vorzuwerfen. Das entschuldigt aber nicht ihre zum Teil dramatische Unkenntnis der Landespolitik. Da vergleichen sie die von ihr geforderten und völlig unbezahlbaren 300.000 neuen Stellen im öffentlichen Dienst mit den 200.000 Arbeitsplätzen, die wir Grüne durch einen Green New Deal weitgehend in der freien Wirtschaft möglich machen wollen. Da fordert die Linkspartei die "Vergesellschaftung" der Energiekonzerne, ohne zu wissen, dass sie damit die Kommunen in die Pleite treibt, die an diesen Konzernen große Anteile besitzen. Und ständig vermischt die Linkspartei Landes- und Bundespolitik. (Hartz IV, höhere Steuern für Reiche, ...)

Wir Grüne aus der Sondierungskommission mussten uns nach dem Gespräch nur kurz in die Augen schauen, um zu wissen: Mit dieser Linkspartei in Nordrhein-Westfalen geht gar nichts. Und alle haben das mit großem Bedauern festgestellt. Denn die Hoffnungen auf Umsetzung unseres Zukunftsplans waren nach nur fünfeinhalb Stunden geplatzt.

Es haben sich all die Stimmen bestätigt, die die Linkspartei in NRW als regierungsuntauglich, ja sogar als "Hort des Wahnsinns" bezeichnet haben. Dieses vernichtende Urteil - selbst der eigenen Linken-Parteifreunde in Berlin - haben wir erschreckend deutlich erleben müssen.

Gerade für uns Grüne ist es nach dem herausragenden Wahlerfolg bitter, vorerst erneut in die Opposition gehen zu müssen. Die Bildung einer rot-grün-roten Landesregierung ist leider an der fehlenden Fähigkeit der Linkspartei, in diesem Land Verantwortung zu übernehmen, gescheitert.

Wir werden unsere Aufgabe verantwortungsbewusst annehmen und hoffen auf Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung.

Mit freundlichen Grüßen

Sylvia Löhrmann MdL