Portrait von Rita Schwarzelühr-Sutter
Rita Schwarzelühr-Sutter
SPD
96 %
53 / 55 Fragen beantwortet
Frage von Peter F. •

Frage an Rita Schwarzelühr-Sutter von Peter F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Schwarzelühr-Sutter
Minister Spahn lanciert ein "Masernschutzgesetz" mit Impfpflicht - also eine erhebliche Einschränkung der bürgerlichen Grundrechte - und begründet dies mit nachweislich falschen Behauptungen, wie:
1) Es gäbe in Deutschland eine Zunahme von Masernfällen in den letzten Jahren und Monaten
ABER: bis Ende der 37. Kalenderwoche liegen die 2019er Zahlen bei deutlich weniger als 40% des langjährigen Durchschnitts für diesen Zeitraum (Robert-Koch-Institut)
2) Es gäbe in Deutschland eine Zunahme von Menschen, die Schutzimpfungen ablehnten.
ABER: Der Anteil der Impfbefürworter ist im Vergleich zu den Vorgängerstudien aus den Jahren 2012 und 2014 signifikant gestiegen. (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA für 2016 / neueste Zahlen)
3) Die Durchimpfungsraten in Deutschland wären wegen der zunehmenden Impfmüdigkeit/Impfskepsis zu niedrig und/oder sogar rückläufig.
ABER: seit mehr als 10 Jahre lassen 97% der Eltern in Deutschland ihre Kinder gegen Masern impfen
4) Der Zeitpunkt, zu dem die Durchimpfungsraten erfasst/erreicht würden sei zu spät, es seien ja vor allem die Kleinkinder, die gefährdet seien.
ABER: Masern werden in D zunehmend eine Erkrankung Erwachsener (Kutter 2015, Löll 2011)
...
Die Liste liesse sich fortsetzen, Quelle: impf-info.de / Faktencheck

Bitte teilen Sie mit, wie Sie zu dazu stehen, wie Sie abstimmen werden.
Vielen Dank und freundliche Grüsse
P. F.

Portrait von Rita Schwarzelühr-Sutter
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr F.,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 31. Oktober 2019 zum Thema Masernschutzgesetz.

Wir haben mit dem Koalitionsvertrag vereinbart, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Impfquoten zum Schutz der Bevölkerung zu erreichen. Die Verbesserung der Impfprävention ist ein wichtiges gesundheitspolitisches Vorhaben, neben zahlreichen weiteren, zu denen wir in dieser Legislaturperiode bereits gesetzgeberische Maßnahmen umgesetzt haben. Alle Vorhaben und Initiativen dienen dem Ziel, die Qualität der medizinischen Versorgung im Interesse der Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern und damit letztlich auch Behandlungsfehler zu vermeiden. Wir beschäftigen uns also bei weitem nicht nur, aber eben auch mit dem Thema Impfen.

Da Sie den Standpunkt vertreten, selbst über den Körper Ihrer Kinder bestimmen zu wollen, darf ich Sie gerne auf die aktuelle Stellungnahme „Impfen als Pflicht?“ des unabhängigen Deutschen Ethikrates hinweisen. Dort heißt es u.a., die Freiheit gegen eine moralisch gerechtfertigte Impfverpflichtung habe Grenzen, sofern die Folgen dieser Handlungen die legitimen Interessen anderer Menschen tangieren:

https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-impfen-als-pflicht.pdf

Bei Infektionskrankheiten wie den Masern, die von Mensch zu Mensch übertragen werden, fällt laut Deutschem Ethikrat insbesondere ins Gewicht, dass sich manche Menschen (z.B. kranke Menschen mit eingeschränkter Immunabwehr oder Kinder und Erwachsene ohne ausreichenden Schutz trotz Zweifachimpfung) nicht ausreichend gegen diese Infektion schützen können, selbst wenn sie das wollten. Sie können vor Erkrankung und möglichem Tod nur mithilfe von impfwilligen Dritten geschützt werden.

Von einer Masernerkrankung sind besonders häufig Kinder in den ersten beiden Lebensjahren betroffen. Sie tragen auch ein erhöhtes Risiko dafür, dass eine Maserninfektion zu schwerwiegenden Komplikationen führen kann und müssen besonders häufig wegen einer Masern-Erkrankung stationär behandelt werden. Durch eine vorübergehende Immunschwäche kommt es nach einer Masernerkrankung zu anderen Erkrankungen wie z.B. Durchfall, Mittelohrentzündung, Hörschäden, Lungenentzündung und Gehirnentzündung. Bei 10 von 10.000 Masern-Erkrankten entwickelt sich in Folge der Erkrankung eine Gehirnentzündung, etwa 2 bis 3 Betroffene behalten schwere Schäden wie geistige Behinderungen und Lähmungen zurück.

Als Spätfolge kann die so genannte subakut sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) auftreten, eine schwere und stets tödlich verlaufende Gehirnerkrankung. Eine SSPE entwickelt sich bei 2 bis 6 von 10.000 Kindern, die zum Zeitpunkt der Maserninfektion jünger als 5 Jahre alt sind. Die Wahrscheinlichkeit, an Masern zu sterben, liegt bei 1 Todesfall pro 1.000 Masernerkrankte. Gegen die Masern-Erkrankung selbst gibt es keine Behandlung. Masern sind extrem ansteckend. Ohne Impfschutz infizieren sich etwa 95 von 100 Menschen, wenn sie Kontakt zu einem Erkrankten hatten. Sowohl für den individuellen Schutz jeder und jedes Einzelnen als auch für den Gemeinschaftsschutz zugunsten von Menschen, die nicht geimpft werden können, brauchen wir eine ausreichende Masern-Impfquote.

In der Europa-Region der WHO sind die Masernfälle zuletzt stark angestiegen. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 30. Juni 2019 berichteten 49 der 53 Länder der Region zusammen über 174 000 Masernfälle und über 100 masernbedingte Todesfälle. Vier Länder in der Europaregion der WHO haben ihren Masern-Eliminierungsstatus verloren: Albanien, Griechenland, Tschechien und das Vereinigte Königreich. Weltweit haben sich die Masernfälle 2019 vervierfacht.

Unser Ziel ist es, Masern in Deutschland zu überwinden und in Europa weiter einzudämmen. Dazu brauchen wir eine Impfquote von mindestens 95 Prozent der Bevölkerung. Bei Kindern vor dem Schuleintritt erreichen wir mit der ersten Masernimpfung deutschlandweit zwar 97 Prozent, aber schon hier gibt es deutliche regionale Unterschiede. Zweimal gegen Masern geimpft sind nur noch 93 Prozent der Schulanfängerinnen und Schulanfänger. Laut BARMER-Arzneimittelreport 2019 könnten die Impfquoten sogar noch darunter liegen. Eine Maserimpfpflicht kann helfen, Impflücken zu schließen. Manche mögen diesen Schritt als Bevormundung empfinden, aber es geht hier nicht nur um dem Schutz jedes Einzelnen, sondern um den Schutz der gesamten Bevölkerung. Ein ausreichender Impfschutz kann unnötiges Leid vermeiden.

Das Paul-Ehrlich-Institut prüft und bewertet fortlaufend anhand aktueller wissenschaftlicher Daten den Nutzen und das Risiko von Impfstoffen und dokumentiert jährlich die Meldungen des Verdachts einer Impfkomplikation oder einer Nebenwirkung nach Impfung. Neben den bestehenden gesetzlichen Meldepflichten können seit 2012 auch betroffene Personen und deren Angehörige den Verdachtsfall einer unerwünschten Impfreaktion oder Nebenwirkung melden. Das Meldeverfahren ist in den letzten Jahren kontinuierlich verbessert worden. Defizite sehe ich hier nicht.

In der Tat gibt es in Deutschland derzeit keinen zugelassenen Einfach-Impfstoff gegen Masern. Wir werden uns im parlamentarischen Verfahren damit auseinandersetzen müssen, was das für die beabsichtigte Masern-Impfpflicht bedeutet. Impfstoffe werden wie alle anderen Arzneimittel in Deutschland durch den jeweiligen Hersteller und nicht etwa den Bundesgesundheitsminister in den Verkehr gebracht. Es kommt also darauf an, ob und wann ein Hersteller die Zulassung für einen Einfach-Impfstoff gegen Masern bei der zuständigen Arzneimittelbehörde beantragt und erhält.

Die verfügbaren Kombinationsimpfstoffe sind wirksam und gut verträglich. Von 10.000 Geimpften entwickeln etwa 500 bis 1.500 allgemeine Beschwerden wie leichtes bis mäßiges Fieber, Kopfschmerzen, Mattigkeit oder Magen-Darm-Beschwerden. Bei etwa 500 Geimpften entwickelt sich an der Einstichstelle in den ersten drei Tagen nach der Impfung eine Rötung oder Schwellung. Etwa 10 Tage nach einer MMR-Impfung bekommen 200 bis 500 von 10.000 Geimpften für wenige Tage einen masernähnlichen Hautausschlag, der auch „Impfmasern“ genannt wird. Dieser kann mit mäßigem Fieber einhergehen. Impfmasern sind nicht ansteckend. Nach einer MMR-Impfung tritt extrem selten, in weniger als 1 von 10.000 Fällen, eine allergische Reaktion auf.

Niemand bestreitet, dass eine Masernimpfung auch eine unerwünschte Reaktion oder Nebenwirkung zur Folge haben kann. Das Risiko einer schwerwiegenden Komplikation im Zusammenhang mit einer Masernimpfung ist aber sehr gering, im Gegensatz zum Risiko, ungeimpft schwer an Masern zu erkranken.

Unser Ziel ist es, einen besseren individuellen Schutz insbesondere von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht geimpft werden können, sowie einen ausreichenden Gemeinschaftsschutz vor Maserninfektionen zu erreichen. Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes verhindert die zweifache MMR-Impfung bei 93-99% der Geimpften den Ausbruch einer Erkrankung und führt bei diesen erfolgreich Geimpften in der Regel zu lebenslanger Immunität. Eine Antikörpertiterbestimmung führe dagegen, so das Robert-Koch-Institut, nicht immer zu einem eindeutigen Ergebnis und sei deshalb als Entscheidungskriterium für Immunität schlechter geeignet als der Nachweis einer zweimaligen Masernimpfung.

Der Deutsche Bundestag nimmt aktuell parlamentarischen Beratungen zum Entwurf eines Masernschutzgesetzes der Bundesregierung vor und setzt sich intensiv mit den Regelungen des Gesetzentwurfes auseinander. Im Oktober ist eine öffentliche Anhörung im Gesundheitsausschuss durchgeführt worden, um die auch von Ihnen angesprochenen Fragen zum Nutzen-Risiko-Verhältnis mit den Expertinnen und Experten, beispielsweise vom Robert-Koch-Institut oder dem Paul-Ehrlich-Institut, zu beraten:

https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw42-de-masernschutzgesetz-659910

Ich stimme Ihnen zu, dass wir weiterhin deutlich mehr Information und Aufklärung über die Masern-Erkrankung und die Impfung brauchen, um Menschen, die einer Impfung skeptisch gegenüberstehen, stärker als bisher anzusprechen. Dazu enthält der Gesetzentwurf konkrete Regelungsvorschläge.

Mit freundlichen Grüßen nach Höchenschwand

Rita Schwarzelühr-Sutter, MdB

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Rita Schwarzelühr-Sutter
Rita Schwarzelühr-Sutter
SPD