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Rasmus Andresen
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Frage von Barbara C. •

Frage an Rasmus Andresen von Barbara C. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Andresen, ich wende mich an Sie, weil ich die Flüchtlingssituation auf den griechischen Inseln schwer ertragen kann. Ich selbst war mehrfach als Ehrenamtliche vor Ort, zuletzt in der Seenotrettung zwischen der Türkei und Lesbos. In den letzten beiden Wochen hat sich die Situation sehr verändert - viele hunderte Menschen sind - warum auch immer türkische Küstenwache ihr Prinzip der Abschottung verändert hat - auf den kleinen Inseln angekommen. Die Kapazitäten sind längst ausgeschöpft, das Minimum an Menschenrechten wird nicht mehr eingehalten wie Unterkunft, ärztliche Versorgung - nicht zu sprechen über das Recht auf Bildung oder kindgerechte Versorgung. Die Transfers auf das Festland sind fast zum Erliegen gekommmen und Menschen stapeln sich förmlich in den überfüllten Camps. Hilfsorganisationen berichten, dass die Situation fast vergleichbar mit 2015 ist, nur dass es nicht mehr weitergeht und alle Menschen festsitzen. Meine Frage an Sie ist: wir sprechen von einem europäischen Problem, nicht einem griechischen. Die Medien berichten nicht oder kaum. Wie stellt sich Europa vor, wie es weitergehen kann und vor allem, wie wir zu humanitären Verhältnissen vor Ort oder irgendwo anders in Europa kommen können? Welche Rolle können Sie in diesem Diskurs einnehmen? Ich habe Die Grünen auch gewählt, damit dieses Thema nicht wie in den Medien auch im Europaparlament depriorisiert wird. Gibt es etwas, was wir als engagierte Zivilbevölkerung tun können, um Sie zu stärken?

Mit freundlichen Grüßen und Dank für eine Antwort!
B. C.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Costanzo,

auch wenn sich die Situation mittlerweile sehr viel weiterentwickelt hat, möchte ich auf Ihnen eingehend vor allem auf die aktuelle Situation eine Antwort geben.

Die Situation auf den griechischen Inseln ist dramatisch, vor allem auf Lesbos. Die Bilder und die Nachrichten erschüttern auch mich und die Entwicklungen an der griechischen Außengrenze machen mich wirklich fassungslos. Menschenrechte werden mit Füßen getreten und Menschen, darunter Minderjährige, misshandelt. Ein Kind starb, als Geflüchtete versuchten, an Land zu gehen. Eine Erstaufnahmeeinrichtung ist abgebrannt. Geflüchtete werden angegriffen und von einem rechtsextremen Mob am Ankommen gehindert, ebenso werden Journalistinnen und Journalisten verprügelt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und Menschen, die auf der Insel leben und sich für Geflüchtete einsetzen. Sie alle sind ihres Lebens dort nicht mehr sicher. Gleichzeitig gibt es Berichte, dass die griechische Küstenwache Boote mit Menschen abdrängt und sogar mit Warnschüssen gegen sie vorgeht. Das ist in keinster Weise akzeptabel.
Wir Grüne setzen alles daran, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit an Europas Außengrenzen wieder geschützt werden. Die europäische Antwort auf Erdogans unsägliche Instrumentalisierung von Flüchtlingen darf nicht Gewalt gegen Flüchtlinge sein, sondern sie muss rechtstaatlichen und menschenrechtlichen Ansprüchen genügen.

Die griechische Regierung hat den Artikel 78 des EU-Vertrags aktiviert, der besagt, dass die Europäer in der Pflicht sind, zu unterstützen, wenn es zu Notsituationen an europäischen Außengrenzen kommt. Die Europäische Union ist in der Pflicht, Griechenland bei der Bewältigung der Lage mit allen Mitteln zu unterstützen – finanziell, personell, mit Hilfsgütern und Material. Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex muss nun gemeinsam mit der Europäischen Asylbehörde Unterstützung auf den griechischen Inseln leisten, für Humanität und Ordnung vor Ort sorgen. Das ist angesichts der katastrophalen Lage allein in den Lagern auf den griechischen Inseln eine immense Aufgabe, die längst hätte geleistet werden müssen.
Es geht hier nicht um ein Problem Griechenlands, sondern es geht an den Außengrenzen um die ganze EU. Wenn wir Griechenland jetzt allein lassen, produzieren wir weiteres unmenschliches Leid, Chaos, Unsicherheit und Instabilität. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass es Sicherheit auf den Inseln für alle dort lebenden oder ankommenden Menschen gibt, und die Geflüchteten müssen von dort evakuiert und in Sicherheit gebracht werden.

Griechenland darf EU-Recht nicht weiter aushebeln und den Zugang zum europäischen Asylsystem abriegeln. Die EU-Regierungen müssen sich auf Kontingente für Schutzsuchende festlegen und mit geordneten Verfahren Wege aus der Krise ermöglichen. Das fordern wir auch in unserer Petition - bitte unterstützen Sie sie! https://www.change.org/p/eil-petition-humanit%C3%A4re-krise-in-griechenland-deutschland-europa-m%C3%BCssen-fl%C3%BCchtlingen-schutz-bieten

Wenn Sie sich in Ihrer Gemeinde oder Stadt dafür einsetzen wollt, dass sie Geflüchtete aus Griechenland aufnimmt, hilft Ihnen vielleicht dieses Gutachten. Es zeigt, dass die Bundesregierung die Aufnahme von geflüchteten Kindern durch die Bundesländer nicht ablehnen darf: https://erik-marquardt.eu/2020/03/09/gutachten-belegt-bundeslaender-duerfen-eigenstaendig-gefluechtete-aufnehmen/.

Ich habe in der letzten Woche in Brüssel im Haushaltsausschuss dafür gesorgt, dass wir auch über die Hilfsgelder, die die EU zahlt, diskutieren müssen. Für mich ist klar: es darf keine weiteren Zahlungen an die Türkei geben, wenn Herr Erdogan Menschen als Geiseln für seine Außenpolitik nimmt.
Gleichzeitig muss die EU ihrer Verantwortung gerecht werden und sofort mehr humanitäre Hilfe leisten. Vor Ort müssen ad hoc Aufnahmekapazitäten geschaffen werden und die Menschen auf die EU-Mitgliedsstaaten verteilt werden.
So sehr ich die griechische Regierung für ihre menschenrechtswidrige Politik kritisiere, so sehr dürfen wir Griechenland nicht alleine lassen.

Sie können sich darauf verlassen, dass wir Grüne in diesem Sinne alles probieren, um den Menschen vor Ort zu helfen und eine Verteilung der Geflüchteten zu organisieren.
Es ist beschämend, dass dies nicht selbstverständlich ist.

Herzliche Grüße
Rasmus Andresen

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