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Ralph Lenkert
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Frage von Justin M. •

Frage an Ralph Lenkert von Justin M. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Lenkert,
Das Statement: "Ein vollständiges Verbot von Gentechnik in der Landwirtschaft darf es nicht geben." lehnen Sie ab. Können Sie dazu eine differenziertere Antwort abgeben? Als Student der molekularen Lebenswissenschaften habe ich mir ein Bild vom positiven Effekt, den die genetische Veränderung landwirtschaftlich relevanter Organismen auf alle Aspekte des Zusammenlebens und der Wirtschaft hat, machen können.
Des weiteren bin ich mir bewusst, dass eine unbegründete Angst vor eben solchen GMO (genetically modified organism) weit verbreitet ist. Die wissenschaftliche Community steht weitestgehend geschlossen für die Nutzung der Gentechnik in der Landwirtschaft ein.

Ich danke Ihnen für Ihre Antwort.
Viele Grüße
J. M.

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Sehr geehrter Herr M.,

vielen Dank für Ihre Frage zur grünen Gentechnik. Sie baten mich um eine differenzierte Beurteilung meiner Ablehnung von Gentechnik in der Landwirtschaft. Insbesondere auch, weil die wissenschaftliche Community für das Nutzen der Gentechnik in der Landwirtschaft ist.

Ich bin Maschinenbautechniker und habe auch in der Qualitätssicherung der Autoindustrie gearbeitet. Deshalb gestatten Sie mir eine Gegenfrage: Würden Sie es akzeptieren, wenn in Ihrem PKW-Treibstoff ein neues Öl verwendet wird, welches im Labor gut funktioniert, wo aber die Langzeitwirkung auf Dichtungen, Schläuche und andere Materialien nicht getestet wurde? Würden Sie es akzeptieren, dass nach kurzen Testen bei einem Hersteller dann alle PKW-Treibstoffe für alle Hersteller sofort auf dieses Öl umgestellt werden? Würden Sie es dann akzeptieren, wenn sich Jahre später (wie bei Blei im Benzin) Langzeitschäden einstellen, sie einen neuen Motor brauchen, und niemand haftet dafür? Ich persönlich würde dies nicht wollen.
Es gibt aber einen Unterschied vom Motorbeispiel zur Freisetzung genveränderter Organismen. Fehler in der Automobilindustrie kann man in der nächsten PKW-Generation korrigieren. Einmal freigesetzte genveränderte Pflanzen oder Tiere sind nicht mehr rückholbar.
In der Autoindustrie gibt es noch eine Regel - vermeide unnötige Risiken, wenn Du ohne diese klarkommst. Auch aus dem Dieselskandal lernt man. Wenn es um Profite geht wird getrickst und betrogen. Vielleicht sind alle Forscherinnen und Forscher ehrlich, aber spätestens wenn es um gewinnbringende Produkte für Unternehmen geht, wird auch bei der Freigabe und den Tests mit genveränderten Organismen (GVO) betrogen werden. Nur weil es noch keinen schweren Unfall mit GVO gab, heißt dies nicht, dass er nicht möglich wäre.
Auch die Atomkraft galten vor Tschernobyl und Fukushima als sicher.

Ich komme zurück zu GVO in der Landwirtschaft.
1. Derzeit und auch auf absehbare Zeit ist es möglich, ohne genveränderte Pflanzen und Tiere in der konventionellen Landwirtschaft auszukommen. Daraus folgt für mich - ablehnen von GVO als unnötiges Risiko.
2. In der Natur gibt es innerhalb einer Art, manchmal auch Artübergreifend natürliche Genveränderungen. Dies geschieht zufällig und wahrscheinlich nur an einem Ort. Damit breitet sich die neue Gensequenz langsam aus und die restliche Flora und Fauna kann sich anpassen. Eventuell sterben einige Arten wegen der neuen Eigenschaften von Pflanzen oder Tieren aus. Aber zumindest gibt es natürliche Hindernisse, wie Gebirge, Wüsten und Meere, so dass eine ungehinderte weltweite Ausbreitung unterbleibt. Bei GVO in der Landwirtschaft sieht dies anders aus. Entsprechende GVO würden sofort weltweit eingesetzt, Probleme würden weltweit auftreten. Was im Extremfall passieren kann, erkennt man an den Nebenwirkungen, die beispielsweise "harmlose" Füchse und Hauskatzen auf die Tierwelt Australiens und Neuseelands hatten.
Mit der Forderung nach der Freigabe von GVO wird auch die Forderung nach einfacheren Zulassungen aufgestellt. Alle, ich betone alle von mir befragten Industrievertreter lehnten es ab, nach einer Freigabe von GVO, für eventuelle später auftretende Schäden zu haften. Da bleibt für mich nur die Schlussfolgerung, dass es ein Restrisiko gibt. Dieses Risiko muss hoch sein, denn sonst würden diese Unternehmen ja zur Übernahme der Haftung bereit sein. Wenn Firmen nicht bereit sind für ihre GVO-Produkte einzustehen, dann lehne ich GVO ab, weil ich eine Haftung der Allgemeinheit ablehne und keinen ausreichenden Gegenwert sehe.
3. In den USA wurden Farmer, die ohne GVO arbeiten von Monsanto verklagt, weil auf ihren Feldern Gene von patentierten GVO gefunden wurden. Ob dies durch verunreinigtes Saatgut, oder durch natürliche Ausbreitung geschah, spielte keine Rolle. Diese Praktiken von Monsanto und ähnlichen Firmen werden auch auf Europe übergreifen, wenn TTIP oder CETA oder ähnliche Freihandelsabkommen ratifiziert werden sollten. Sind GVO prinzipiell verboten, können unsere Landwirte beim Auftreten von GVO nicht verklagt werden, im Gegenteil, ihnen stehen Entschädigungen zu. Weiterhin besteht die Gefahr, dass wegen der kostspieligen Entwicklung und Freigabe von GVO und durch das Patentieren der GVO und die Klagen der Patentinhaber, die Zahl der Anbieter von Saatgut oder Zuchttieren sinkt und Monopole entstehen. Landwirte werden abhängig von Monopolisten und dies führt langfristig zu steigenden Preisen für alle. Schauen Sie auf die Preis-Exzesse bei einigen patentierten Medikamenten in den USA und Sie verstehen meine Sorgen. Auch aus diesen Gründen lehne ich GVO in der Landwirtschaft ab.
4. Bei meinen Gesprächen in Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen fragte ich oft, wie viel Potential auf die Risikoforschung in neuen Wissenschaftsgebieten, auch bei der Gentechnik aufgewendet werden. Die Antwort war fast immer ein Schulterzucken, weil dafür gibt es keine Projektmittel. Aus meiner Sicht muss es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben, die neue Forschungen auf Nebenwirkungen, in allen möglichen und scheinbar unmöglichen Gebieten untersuchen. Aber dafür gibt es, abgesehen von einigen Ethikkommissionen, derzeit keine Forschungsmittel. Meine Forderungen dahingehend wurden von Regierungsfraktionen, Wissenschaftseinrichtungen und auch Unternehmen weggewischt. Ohne gründliche Risikobewertung kann ich einer Freigabe von GVO nicht zustimmen. Ich erinnere hier jetzt an das "Wunderkältemittel" FCKW, das galt als perfekte Lösung, bis man feststellte, es zerstört die lebenswichtige Ozonschicht. Die Wissenschaft hatte dies nicht vorhergesehen.

Meine Fraktion befasste sich sehr gründlich mit dem Thema Gentechnik. Wir lehnen die Gentechnik dort strikt ab, wo es Alternativen gibt. Im Gesundheitswesen und auch bei neuen Prozessen in der Industrie plädieren wir auf eine differenzierte Einzelfallbetrachtung mit Nutzen-Risiko-Vergleich.

Meine Erfahrungen mit den finanziellen "Zwängen" und den Profitmechanismen in der Marktwirtschaft, mein Wissen um Risikomanagement und Risikominimierung, die fehlende Bereitschaft zur Haftungsübernahme sowie die mangelhafte Risikoforschung durch die Wissenschaft bringen mich zur Ablehnung von GVO in der Landwirtschaft.

Mit freundlichen Grüßen

Ralph Lenkert

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