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Ralph Lenkert
DIE LINKE
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Frage von Holger H. •

Frage an Ralph Lenkert von Holger H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Lenkert

in den letzten Monaten haben tausende Menschen beim „Aufbruch 2017“ der Bürgerbewegung Campact in Wohnzimmern, Cafés und unter freiem Himmel darüber diskutiert, welche Aufgaben eine neue Bundesregierung angehen muss. Über 75.000 haben über die Ergebnisse dieser Diskussionen abgestimmt, herausgekommen ist ein Kompass mit 10 Forderungen für demokratischen, sozialen und ökologischen Fortschritt.

Auch ich mache beim „Aufbruch 2017“ mit – und lebe in Ihrem Wahlkreis. Bevor ich am 24. September wähle, möchte ich gerne wissen, wie Sie zu den Themen stehen, die mir und so vielen anderen wichtig sind. Bitte erklären Sie mir kurz, wie Sie und Ihre Partei sich im Falle einer Regierungsbeteiligung dazu verhalten würden.

Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen,

H. H.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für die Frage zu Aufbruch 2017. Ich bitte um Entschuldigung, aber kurz lässt sich dies nicht beantworten. Zum besseren Verständnis schreibe die Forderungen und meinen jeweiligen Standpunkt zusammen. Die Antworten habe ich mit Hilfe der jeweiligen Fachleute meiner Partei DIE LINKE erarbeitet. Jetzt komme ich zu den 10 Punkten.

Das Gesundheitssystem nachhaltig und gerecht gestalten. Eine umfassende Bürgerversicherung muss unsere Gesundheitsversorgung auf eine tragfähige Grundlage stellen und die Zwei-Klassen-Medizin beenden.

DIE LINKE und ich wollen eine gesetzliche Solidarische Gesundheitsversicherung, die je zur Hälfte von Arbeitgebern und Beschäftigten finanziert wird. Alle in Deutschland lebenden Menschen werden Mitglied und zahlen entsprechend ihres gesamten Einkommens ein, auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige. Versicherte mit einem Einkommen oberhalb der bisherigen Beitragsbemessungsgrenze werden mit ihrem gesamten Einkommen in die solidarische Finanzierung einbezogen. Das Prinzip lautet: Alle zahlen ein, damit es für alle besser und bezahlbar wird. Zuzahlungen und Zusatzbeiträge können dann wegfallen. Die Beiträge sinken von jetzt durchschnittlich 15% auf dann unter 12%. Und die Finanzierung der Krankenhäuser kann wieder bedarfsdeckend erfolgen. In der Pflege können 100 000 Stellen geschaffen werden. Wir wollen Krankenhäuser stärker für die ambulante Behandlung öffnen und moderne Versorgungskonzepte gerade für die ländlichen Räume verwirklichen. Dazu sollen Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte stärker miteinander kooperieren, auch von den Kommunen zu schaffende Versorgungszentren und Polikliniken sollen einbezogen werden.

Eine auskömmliche Rente einführen. Altern in Würde braucht eine großzügige Mindestrente. Um sie zu finanzieren, sollten alle Einkommensarten in die Rentenversicherung einbezogen werden.

In Deutschland leben immer mehr Rentner*innen unter der Armutsgrenze. Bis 2030 wird ihr Anteil auf ein Drittel steigen, wenn nicht sofort umgesteuert wird. Wir wollen das Nebeneinander gesetzlicher und privater Vorsorgesysteme beenden. Privat angesparte Rentenansprüche sollen in die Gesetzliche Rentenversicherung überführt werden können. Wir wollen das Rentenniveau dauerhaft bei 53% des Durchschnittslohns sichern. Alle Erwerbstätigen sollen in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, auch Beamte, Politiker*innen und Selbständige. Sie soll zu einer echten Erwerbstätigenrente werden. Phasen mit niedrigem Lohn wollen wir bei der Rentenberechnung aufwerten. Das bedeutet für eine Einzelhandelskauffrau mit 1940 Euro brutto 270 Euro mehr Rente. Für jedes Kind wollen wir drei Jahre Erziehungszeit anrechnen. Wer dennoch keine ausreichenden Rentenansprüche erwirbt, soll die Solidarische Mindestrente von 1050 Euro erhalten.

Den Bahnverkehr attraktiver machen. Damit niemand den Anschluss verliert, braucht es Investitionen in Busse und Bahnen. Der Staat muss ausreichend in seine Infrastruktur investieren.

Die Fahrpreise im ÖPNV sind zu hoch. Wir wollen deutlich günstigere Fahrpreise, flächendeckende Sozialtickets für einkommensschwache Haushalte, eine Sozial-Bahncard sowie kostenlose Schüler- und Azubitickets. Unser Ziel ist der solidarisch finanzierte Nulltarif im ÖPNV für alle. Er ist wichtiger Teil der von uns angestrebten sozial-ökologischen Mobilitätswende. Hierzu gehören auch strukturelle Änderungen. Verkehrsvermeidung, durch eine Stadt- Regionalplanung, die Wohnen, Lernen, Freizeit und Arbeiten wieder zusammen denkt, ist eine wichtige Voraussetzung der Verkehrswende. Statt Milliardeninvestitionen in den umweltschädlichen Flug- und Straßenverkehr, wie sie der kürzlich beschlossene Verkehrswegeplan 2030 vorsieht, wollen wir den schienengebundenen Personen- und Güterverkehr stärken. Wir wollen den Ausbau des ÖPNV vorantreiben. Wir treten für kommunale, öffentliche Verkehrsunternehmen ein. Wir wollen eine Mobilitätsgarantie für die ländlichen Räume. Die Deutsche Bahn AG muss auf das Gemeinwohl verpflichtet werden, und nicht auf einen Bilanzgewinn. Die von CDU/CSU, SPD, Grünen beschlossene Privatisierung und Deregulierung der Bundesbahn waren ein großer Fehler. Diese zentrale Daseinsaufgabe ist wieder vollständig in öffentliche Hand zu überführen. Statt teurer Prestigeprojekte wie Stuttgart 21 brauchen wir den Erhalt und Ausbau des Schienennetzes und seine weitere Elektrifizierung. Elektrifizierung von Bahntrassen ist die effektivste Form der Elektromobilität Unser Ziel ist ein flächendeckendes Bahnangebot mit einem integrierten Taktfahrplan. Bei der Bahn müssen Beschäftigte und Kundinnen und Kunden mitbestimmen können.

Lobbyismus bekämpfen, z.B. durch ein zentrales Lobbyistenregister. Ein öffentlich einsehbares Lobbyregister schafft Transparenz: es macht ersichtlich, wer auf welchem Weg versucht, demokratische Entscheidungen zu beeinflussen.

Beim Bundestag soll es ein Lobbyistenregister geben, in dem die dort angemeldeten Lobbyisten für jede und jeden sichtbar sind. Das größte Problem mit Lobbyismus liegt nicht bei Parteien oder im Parlament, sondern in den Ministerien. Gerade im Gesundheits- und im Finanzministerium platzieren Konzerne und Beratungsfirmen eigene Mitarbeiter als Praktikanten. Damit nehmen sie unmittelbar Einfluss auf das Schreiben von Gesetzentwürfen. Über die einmal geknüpften Kontakte haben sie über Jahre hinaus einen exklusiven Zugang in die Ministerien. Diese Praxis der Entsendung von vermeintlichen Experten muss beendet werden. Den Einsatz von Firmenvertretern oder ihren Anwälten in den Ministerien wollen wir komplett unterbinden. Nach dem Ausscheiden aus einem Ministeramt soll eine dreijährige Karenzzeit vergehen, bis ein Konzernjob angenommen werden darf. Unternehmensspenden wollen wir ganz verbieten und Spenden der Bürgerinnen und Bürger bei 25.000 Euro im Jahr deckeln. Firmen sollen nicht mehr gegen eine unverhältnismäßige Gebühr Stände bei Parteitagen anmieten dürfen („Partei-Sponsoring“). Abgeordnete sollen ihre Nebenverdienste auf den Cent genau offenlegen. Ich selbst bin einer von 43 Bundestagsabgeordneten, die sich verpflichteten, alle ihre Einkünfte und Lobbykontakte offenzulegen, das ist für mich selbstverständlich.

Keine undemokratischen und unfairen Handelsabkommen abschließen. Abkommen wie TTIP, CETA und JEFTA dürfen den Spielraum für demokratische Entscheidungen nicht einschränken.

Wir LINKEN haben den Widerstand der hunderttausend Bürgerinnen und Bürger gegen TTIP, CETA und JEFTA unterstützt und werden dies auch weiterhin tun. Zu den Großdemonstrationen organisierte ich Busse und in Vorträgen kläre ich über die Gefahren der derzeitigen Freihandelsabkommen auf. Wir, DIE LINKE, werden im Bundestag gegen die Ratifizierung dieser Abkommen stimmen. Die EU hat aber noch viele weitere ungerechte Wirtschafts- und Freihandelsabkommen mit afrikanischen, karibischen und weiteren Staaten geschlossen, beutet deren Ressourcen gnadenlos aus und überschwemmt zugleich ihre Märkte mit den EU- eigenen, subventionierten Produkten. Wir setzen uns dafür ein, dass Rohstoffe angemessen bezahlt und ihre Verarbeitung in den Herkunftsregionen gezielt gefördert wird. Nur so kann dort eine eigene Wertschöpfung entstehen und die Abhängigkeit von multinationalen Konzernen verringert werden. Nur so können die Menschen in diesen Ländern eine wirtschaftliche, lebenswerte Zukunft erhalten. Wenn sich internationale Unternehmen unfair behandelt fühlen, müssen sie vor den zuständigen nationalen Gerichten klagen – und nicht vor internationalen Schiedsgerichten ohne jede demokratische Legitimation. Wirtschafts-, Investitions- und Handelsabkommen dürfen niemals den demokratischen Gestaltungsspielraum der beteiligten Länder einschränken. Profitinteressen müssen hinter Gesundheits- und Umweltschutz zurückstehen.

Steuerflucht konsequent verfolgen und bestrafen. Damit die Demokratie handlungsfähig bleibt, müssen die Steuerverwaltung ausgebaut und das Steuerstrafrecht verschärft werden. Unternehmensgewinne sollen dort versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden.

Unternehmen, Geschäftsleute und reiche Privatleute schleusen Milliarden am Finanzamt vorbei – durch Steuerflucht, Steuervermeidung und -hinterziehung. Selbst das Bundesfinanzministerium schätzt die Summe aller unversteuerten Einnahmen aus Erwerbs- und Geschäftstätigkeit, also Schwarzgeld, auf mehr als 100 Mrd. € jährlich. Wirksame Gegenmaßnahmen der Großen Koalition? Fehlanzeige. Es gibt zu wenig Personal in den Steuerbehörden. Es gibt wenige Kontrollen von „Hochverdienern“. Auch Deutschland ist eine Steueroase. DIE LINKE will eine Bundesfinanzpolizei aufbauen und das Personal im Steuervollzug aufstocken. Jeder Steuerfahnder bringt etwa eine Million Euro mehr ein, als er kostet! Alle Zahlungen, die in Steueroasen abfließen, belegen wir mit einer Steuer von 50 Prozent. Doppelbesteuerungsabkommen mit unkooperativen Staaten werden sofort gekündigt und ihren Finanzinstituten die Lizenz in Deutschland entzogen. Wer Beihilfe zur Steuerhinterziehung leistet, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Wir erstellen ein online-Transparenzregister über Briefkastenfirmen, in dem auch die Begünstigten und Eigentümer genannt werden. Wir wollen europaweite Mindest-Steuersätze für Unternehmen, um den Wettlauf nach unten zu unterbinden.

Den Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv beschleunigen. Die Energiewende wird international bestaunt. Wir müssen sie schnell und entschlossen zu Ende bringen – indem wir Wind und Sonne wieder stärker fördern und auf Speichertechnologien setzen.

Statt in gefährliche und schmutzige Energieträger wollen wir stärker in Erneuerbare Energien und Energieeffizienz investieren, zum Beispiel in Windkraft, Solarenergie, Blockheizkraftwerke, Wärmespeicher und energetische Modernisierungen von Gebäuden. Vor allem müssen die Ausbaugrenzen für Ökostrom fallen, die die Bundesregierung eingezogen hat. Die Energiewende kann nur erfolgreich sein, wenn sie sozial gerecht gestaltet und von den Bürgerinnen und Bürgern getragen wird. Wir wollen die Energieversorgung bürgernah gestalten und den Profitinteressen von Großkonzernen entziehen. Die Netze gehören in öffentliche Hand. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz muss mit seinen ursprünglichen, vorwärtsweisenden Instrumenten wie dem Vorrang von Ökostrom bei der Einspeisung und den kostenorientierten Vergütungssätzen wieder hergestellt und um eine soziale Komponente erweitert werden.

Einen schnellen Ausstieg aus der Kohle verankern. Um den Klimawandel aufzuhalten, müssen wir fossile Energien im Boden lassen. Für Deutschland heißt das: bis 2030 raus aus der Kohlekraft.

Wir fordern ein Kohleausstiegsgesetz, mit dem der Ausstieg aus der Kohleverstromung 2018 beginnt. Spätestens 2035 muss der letzte Kohlemeiler vom Netz gehen. Mit dem Gesetz muss der Neubau von Kohlekraftwerken, der Neuaufschluss bzw. die Erweiterung von Braunkohletagebauen unterbunden werden. Um für Beschäftigte und die Wirtschaft der betroffenen Regionen den Wandel sozial zu gestalten, fordern wir einen Strukturwandelfonds in Höhe von 250 Mio. Euro / pro Jahr. Auch die Lausitz, das Mitteldeutsche Kohlerevier und West-NRW brauchen eine Zukunftsperspektive, diese Perspektive soll mit dem Fond ermöglicht werden.

Massentierhaltung einschränken. Die bäuerliche Landwirtschaft schwindet. Die Tiere leiden. Die Lösung: die Massentierhaltung muss mit scharfen Auflagen drastisch eingeschränkt werden.

Ich möchte eine artgerechte Tierhaltung. Entscheidend sind die Haltungsbedingungen und die Anzahl der Tiere je ha Nutzfläche in einer Region. Wir wollen eine Nutztierhaltung, die flächengebunden, auf die einheimische Nachfrage bezogen und tiergerecht ist. Dafür wollen wir regional festgelegte Bestandsobergrenzen. Formen der Nutztierhaltung, die für die Tiere quälerisch sind, die mit dem Einsatz von Wachstumsmitteln und dem massenhaften Einsatz von Antibiotika einhergehen, wollen wir verbieten. Entscheidend für eine tiergerechte Nutztierhaltung sind die Haltungsbedingungen, nicht die Größe des Betriebes.

Plastikmüll reduzieren. Nichts zeigt den respektlosen Umgang mit unserer Umwelt so sehr wie die Verschwendung von Kunststoffen. Eine Abgabe auf Plastikverpackungen wäre der erste Schritt, den Trend zu stoppen.

Wir wollen eine Ressourcenverbrauchsabgabe für nicht erneuerbare Primärrohstoffe und Einwegverpackungen einführen. Diese Abgabe würde in erster Linie Plastikverpackungen betreffen. Wir wollen ein Pfandsystem für Energiesparlampen, Mobiltelefone und andere elektronische Geräte einführen aber auch für Einweggeschirr (z.B.Coffee to Go Becher), um Wertstoffe effektiver zu erfassen und wiederverwerten zu können.

Ich hoffe, Ihnen meine Standpunkte klar dargelegt zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Ralph Lenkert

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