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Rainer Wieland
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Frage von Benedikt M. •

Frage an Rainer Wieland von Benedikt M. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Wieland,

ich würde gerne Ihren Standpunkt sowie Ihr Abstimmungsverhalten zum ESM-Vertrag kennen lernen.

Insbesondere die Erläuterung Ihres Standpunktes zu sowie eine kritische Diskussion der nachfolgenden ESM-Artikel im Zusammenhang mit dem essentiellen Budgetrecht des Bundestages wünsche ich mir:
Artikel 8: ... 700 Miliarden Euro ... die Brandmauer reicht nicht aus für alle Staaten und noch mehr Geld löst das Problem nicht, sondern schafft mehr Risiken. Eine Fiskalunion ist vertraglich ausgeschlossen.
Artikel 9: ... unwiderruflicher Kapitalabruf binnen 7 Tagen ...kein Einspruch seitens des Parlaments möglich ... sofort haushaltswirksam ... setzt europaweit die Abwärtsspirale in Gang
Artikel 10: ... Änderung des Grundkapitals ... jederzeit kann eine beliebige Erhöhung stattfinden, ohne Widerspruchsrecht ... keine Revidierung der Entscheidung möglich, auch nicht durch neu gewählte Volksvertreter
Artikel 27: ... volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit des ESM und umfassende gerichtliche Immunität ... d.h. ESM kann klagen, aber nicht verklagt werden und dies auch nicht von den gewählten Parlamenten
Artikel 30: ... Immunität von Personen ... keinerlei Rechenschaftspflicht, noch nicht einmal Offenlegungspflicht

Es ist kaum vorstellbar, dass Sie als Privatperson einen Vertrag unterzeichnen würden, der Ihnen wie oben ausgeführt unwiderruflich jegliches Recht aus der Hand nimmt und über Ihr Leben sowie das Ihrer Nachfahren so tiefgreifend bestimmen kann.

Sie sind als Abgeordneter in erster Linie Ihrem Gewissen verpflichtet. Würden Sie diesen ESM-Vertrag stellvertretend für die Bundesbürger ihres Wahlkreises unterzeichnen?

Bitte nehmen Sie öffentlich dazu Stellung.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Benedikt Mandel

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Mandel,

vielen Dank für Ihre Anfrage auf Abgeordnetenwatch. Wegen eines Personalwechsels in meinem Büro hat sich die Antwort etwas verzögert. Dafür bitte ich Sie um Nachsicht.

Zuerst einmal möchte ich auf Ihre Frage zu meinem Abstimmungsverhalten eingehen. Der ESM-Vertrag wurde nicht im Europäischen Parlament abgestimmt, sondern wird und wurde von den einzelnen Mitgliedstaaten ratifiziert. Das Europäische Parlament hat lediglich über eine stärkere Haushaltskonsolidierung in den Mitgliedstaaten, die sogenannten "Six-und Two-Packs", abgestimmt. Diese Berichte fanden meine Zustimmung.

Dennoch habe ich natürlich zum ESM einen eigenen Standpunkt. Gestatten Sie, dass ich dazu etwas weiter aushole.

Wir befinden uns derzeit in einer beispiellosen Krise, die man als Staatsschuldenkrise und nicht als Eurokrise benennen muss. Unser Problem ist nicht unsere gemeinschaftliche Währung, sondern die Schulden der Staaten, die den Euro als Währung führen, genauer gesagt, deren Refinanzierung.

Die hohe Verschuldung der EU-Mitgliedstaaten führt vor allem dort zu einem sinkenden Vertrauen der Märkte in die Fähigkeit, für Schulden gerade zu stehen, wo strukturelle Haushalts- und Handlungsdefizite massiv Fragen nach der dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit eines Landes aufwerfen. Kurzfristige Liquiditätsengpässe in Ländern, die wie Spanien und Italien an sich auf einem guten Wege sind, verschärfen die Lage zusätzlich. Dazu droht dem Euroraum eine ständige Erpressung durch Akteure in den Finanzmärkten, die auf die Krise wetten. Dies wird durch Teile der Berichterstattung verstärkt.

Ich begrüße daher die Schritte der Staats- und Regierungschefs der Länder, deren Währung der Euro ist, nach dem provisorischen Rettungsschirm, der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), nun den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu vereinbaren. Diese Staatengemeinschaft stellt jenen Staaten durch Notkredite und Bürgschaften Hilfen zur Verfügung, die im Gegenzug den so genannten Fiskalpakt ratifizieren und eine Schuldenbremse für ihre Haushalte umsetzen. Die EFSF/ESM-Finanzhilfe ist damit an eine Stabilitätspolitik geknüpft, die eine Entschuldung in den Mitgliedstaaten fordert und fördert. Sie stellt umgekehrt sicher, dass die Stabilitätspolitik nicht durch hohe Schuldzinsen für das jeweilige Land konterkariert wird.

Die zukünftige Kontrolle der Haushalte in allen Mitgliedstaaten wird sich positiv auf unsere Märkte auswirken. Sie schafft Transparenz, Verlässlichkeit und Vertrauen innerhalb der Euro-Zone. Da Entscheidungen über Hilfen aus dem ESM in der Regel einstimmig zu treffen sind und einer detaillierten Abstimmung bedürfen, ist dies die Grundlage für ein reibungsloses aber auch wirkungsvolles Funktionieren des ESM. Als ständiger Krisenmechanismus bringt der ESM damit nicht nur Stabilität in den Euroraum, er schafft auch wieder das nötige Vertrauen außerhalb des Euroraumes.

In besonders dringlichen Fällen soll eine Beschlussfassung mit einer qualifizierten Mehrheit von 85 Prozent der Stimmen möglich sein. Dafür ist ein erhöhtes Maß an gegenseitigem Vertrauen nötig. Auch dem dient die Transparenz der Haushalte der Mitgliedstaaten. So wird man im Zweifelsfall schnell reagieren können und die Wirksamkeit des ESM weiter erhöhen. Diese Reaktionsfähigkeit des ESM sehe ich als sehr positiv an. In Zukunft kann damit auf Marktveränderungen mit der nötigen Geschwindigkeit und Flexibilität reagiert und die Märkte weiter beruhigt werden. Im Übrigen besitzt Deutschland nach jetzigem Stand 27% der Stimmen, sodass eine qualifizierte Mehrheit nur mit deutscher Beteiligung möglich ist.

Nicht zuletzt kann sich der Euroraum damit von schnellen Winkelzügen der Finanzmarktspekulation emanzipieren, die die Zinsen für die Schuldenstaaten weiter in die Höhe zu treiben versuchen. Deutschland ist ein "Export-Schwergewicht"! Ca. 60% der deutschen Exporte gehen in EU-Länder. Erhebliche Teile der Lieferungen die in Länder außerhalb der EU gehen werden in Euro faktorisiert. Daher reagiert Deutschland als Exportland sehr sensibel auf Veränderungen im europäischen Ausland, aber auch auf Veränderungen des Gewichts Europas in der Welt. Stabilität und Vertrauen im Euroraum liegen im vitalen deutschen und europäischen Interesse.

Wir handeln deshalb aus ureigenstem deutschen und aus europäischem Interesse, wenn wir unseren materiellen und politischen Beitrag dazu leisten, den Euro und die europäische Einigung nicht auf Grund laufen zu lassen. Die Krise bietet die Chance, durch gezielte Hilfen sowie durch eine daran geknüpfte, vernünftige Haushaltskonsolidierung und durch gesunden Reformdruck unserem Kontinent seine Spielräume als globaler Akteur intakt zu halten - wenn nicht sogar neue zu eröffnen.

Wäre daher über den ESM-Vertrag im Europäischen Parlament abgestimmt worden, hätte ich diesem, aufgrund der oben genannten Punkte, in jetziger Form zugestimmt.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort dienlich gewesen zu sein, stehe für weitere Fragen selbstverständlich gerne zur Verfügung und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Rainer Wieland

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