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Patrick Cem Öztürk
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Frage von Nuriye K. •

Frage an Patrick Cem Öztürk von Nuriye K. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Patrick Öztürk,

nun hat die SPD bewirkt, dass die Oberschulen kommen. Wir hatten jedoch in den vergangenen Jahren so viele Reformen im Bildungsbereich - bitte klären Sie mich auf was das alles bringen soll und wie Sie zur Bildungsreform stehen.

Mit freundlichen Grüßen
N.K.

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Antwort von
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Nun ja, ich kann die Bedenken einiger sehr gut nachvollziehen. An sich ist die Bildungsreform auf wissenschaftlichen Erkenntnissen gestützt. Dennoch steht die Bildungsreform in Kinderschuhen und es gibt viele Dinge, die in der Praxis noch entwickelt werden müssen...

Um dies beispielsweise anhand der Frage zu beantworten welchen Einfluss denn die Reform konkret auf einen Schüler hat:

1) Der Hintergrund ist es „intern“ zu differenzieren statt „extern“ (so wie es bisher gewesen ist - H, R, Gy). Damit wird eine höhere „Durchlässigkeit“ zwischen den Schulformen erzeugt, was dem „Lernschwachen“ die Chance gibt sich über einen längeren Zeitraum zu steigern, um so doch noch vielleicht das Abitur zu schaffen. Viele Schüler kennen das und haben es mir geschildert, als ich nachgefragt habe: oft waren „die Guten“ früher sehr schwach in der Schule; viele haben ihr Engagement auch erst in den höheren Klassen ausleben können. Das ist entwicklungspsychologisch aber auch ganz normal. Vor allem in den „jüngeren“ Klassen spielen andere Dinge wie die Persönlichkeitsentfaltung und die Sozialisation eine vordergründige Rolle - die durch die Schule künstlich erzeugte Messung der Leistung anhand von Noten ist eigentlich entwicklungspsychologischen Erkenntnissen entgegengesetzt. Deshalb ist es mittlerweile auch so, dass Entwicklungsberichte geschrieben werden. So sind Lehrer dazu angehalten die ganzheitliche Entwicklung des Kindes zu verfolgen und zu lenken. Da Persönlichkeitsbildungsprozesse jedoch über Jahre dauern, aber auch manchmal nötig sind, um eine gesteigerte Leistungsbereitschaft des Kindes überhaupt zu aktivieren, ist eine „interne“ Differenzierung sinnvoller als eine „externe“. Der Einfluss auf leistungsstärkere Schüler durch die Bildungsreform ist noch nicht ausreichend untersucht worden, internationale Studien belegen jedoch auch einen positiven Einfluss auf diese Schüler, meist aber nur dadurch, dass sie mit in Lehrprozesse mit einbezogen werden. Bei übermäßig leistungsstarken Schülern sehe ich jedoch noch eine Lücke in der Bildungsreform, da es kaum Angebote für Hochbegabte gibt und ich mir noch nicht sicher bin ob die Zentren für unterstützende Pädagogik (ZuP) aufgrund der derzeitigen (geringen) Kapazität in der Lage sein werden dieser Aufgabe ausreichend nachzukommen. Dieses Defizit zu bewältigen ist eine Aufgabe für die Zukunft. Deshalb plädiere ich auch für eine Erhöhung der Kapazitäten/Ressourcen der ZuPs.

2) Da nun alle Schüler - ob Leistungsstark oder Leistungsschwach - im Klassenzimmer sitzen, kommt es aber auch zu einem nicht unerheblichen Problem: nach fachdidaktischen Erkenntnissen, soll der Stoff möglichst so vermittelt werden, dass er das Kind weder unterfordert, noch überfordert. Stattdessen sollte der Stoff so vermittelt werden, dass er immer etwas „höher“ als das momentane Leistungsniveau des Kindes ist. Doch was heißt das nun für die Praxis? Das bedeutet im Idealfall, dass der Lehrer bei einer Klasse von 28 Schülern auch 28 verschiedene Arbeitsmaterialien, 28 verschiedene Klausuren und 28 verschiedene Arbeitsformen in jeder Unterrichtsstunde bereitstellt. Wie es klingt, ist es auch tatsächlich: nämlich schwachsinnig, weil es einfach zeitlich unmöglich für den Lehrer ist. Daher wird meist so „binnendifferenziert“, dass der Lehrer 2 bis 3 verschiedene Niveaustufen anbietet, wodurch der Lernschwache bspw. Die Chance bekommt auszuwählen, ob er die schwierige Klausur schreiben will und normal bewertet wird, oder ob er die leichtere Klausur schreiben möchte, mindestens eine 4 bekommt aber auch nur höchstens eine 2 (Beispiel). Aber auch diese Differenzierung bedeutet immer noch einen wahnsinnigen Aufwand für den Lehrer, weil er eigentlich einen Kurs 2-3x vorbereiten und nachbereiten müsste. Bei 12-14 verschiedenen Kursen bedeutete das, dass man insgesamt 42 verschiedene Kurse vor- und nachbereiten müsste (3x14). Dementsprechend sieht die Realität eher so aus, dass überhaupt nicht binnendifferenziert wird.

3) Das gleiche Problem gilt auch für die Umsetzung der Inklusionsprinzipien (Lernbehinderte werden gemeinsam mit gesunden Kindern in einer Klasse unterrichtet): Angedacht war es, nicht mehr als 2-3 Lernbehinderte in einer Klasse unterzubringen. In der Realität kommt es aber schon mal vor, dass 4-5 Lernbehinderte Kinder in einer Klasse sind, die auch aufgrund des speziellen Förderbedarfs 4-5 x mehr Betreuung durch die Lehrkraft benötigen. Hat ein Lehrer nun 5 Lernbehinderte und 25 weitere Schüler in einer Klasse ist er allein aus zeitlichen Gründen nicht mehr in der Lage effiziente, pädagogische Interventionen durchzuführen.

Fazit: Die Bildungsreform ist gut gedacht - und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhend. Allerdings hapert es noch bei der Umsetzung, was aber auch „normal“ ist. Denn das Bildungswesen ist ein „langsames Wesen“. Im Bildungsbereich werden Erfolge nicht sofort sichtbar; es bedarf an Evaluationen, an Vergleichen über die Jahre hinweg, und und und. Bis politische Beschlüsse durchgesetzt sind und dann auch tatsächlich umgesetzt werden, vergeht zudem auch noch einige Zeit. D.h. wir stehen mit der Bildungsreform noch ganz am Anfang, und die jetzigen Fortschritte sind noch lange nicht genug. Dieser Anfang setzt jedoch den Grundbaustein für eine erfolgreichere Schulbildung. Es wurde bereits erwähnt, dass die Neuerungen nun erst einmal durch Fortbildungen an die Betroffenen herangetragen werden müssen. Das ist momentan das wichtigste. Auch der Ausbau der Schulen zu ganzheitlichen und ganztätigen Einrichtungen (mit Mensa, sozialpädagogischer und psychologischer Betreuung, etc.) hat bereits begonnen. Dies ist ebenso einer der besten Veränderungen, die man dich im Bildungswesen vorstellen kann, weil Bildung auch immer an soziale Herkunft gekoppelt ist und man mit einer ganzheitlichen und ganztägigen Betreuung der Schüler diese Kopplung verringern kann. Was jedoch zukünftig auch notwendig sein wird, um die Bildungsreform erfolgreich umzusetzen, ist eine massive Entlastung der Lehrer - d.h. MEHR LEHRPERSONAL! WENIGER GROßE KLASSEN! Aber auch das Zusammenspiel zwischen den beteiligten Instanzen wird immer wichtiger, wenn man Schule ganzheitlich betrachtet. D.h. Sozialpädagogen, Lehrer, Psychologen, Nachhilfeeinrichtungen, Eltern, Schüler, Köche (Mensa), Jugendämter und alles was noch dazu gehört, müssen besser miteinander kooperieren. Es müssen Barrieren abgebaut werden. Eine zusätzliche Betreuung eines Lernbehinderten Schülers durch einen Psychologen kann beispielsweise, dazu beitragen, den Schüler besser zu fördern. Oder eine zusätzliche Betreuung eines „gewalttätigen“ Kindes durch einen Sozialpädagogen kann bei einem solchen Problem helfen. Das Angebot an gesunden und kalorienreduzierten Lebensmitteln in der Mensa, kann Schülern helfen Gewicht zu reduzieren. USW… Hier ist auch der schulpsychologische Dienst gefragt sowie öffentliche Träger, Behörden und vor allem auch die Politik, die die Ressourcen bereitstellen muss, welche notwendig sind, um die Bildungsreform erfolgreich durchzuführen. Eine Kürzung von 1/3 aller Zuwendungen für den sozialen Bereich durch die CDU/FDP Regierung ist dabei absolut TÖDLICH und UNVERANTWORTUNGSVOLL! Ich setze mich dafür ein, dass mehr Investitionen in die Bildungsreform getätigt werden, damit die Bildungsreform erfolgreich umgesetzt werden kann. Für weitere Informationen zu meinen Zielen im Bildungsbereich besuchen Sie bitte auch gerne meine Homepage: www.patrick-oeztuerk.de

In diesem Sinne hoffe ich ansatzweise einige Unklarheiten bereinigt zu haben.

Beste Grüße
Patrick C. Öztürk