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Frage von Dorothea S. •

Frage an Oliver Keymis von Dorothea S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Hr. Keymis,

ich wohne zwar in Hamburg - bin aber dennoch von der Änderung des Rundfunkstaatsvertrags betroffen. Denn die Änderungen des Rundfunkstaatsvertrags werden ja in ganz Deutschland wirksam.

Ich habe ihre Antworten zum genannten Thema sorgfältig durchgelesen und das meiste verstanden. Dennoch bleiben mir da zwei Fragen ständig präsent:

1. Die Öffentl. Rechtlichen Rundfunkanstalten geben das meiste Geld ja nachweislich für "Unterhaltungsformate" aus, also für Unterhaltungsshows, Großshows (Wetten dass ...), Kochsendungen, Krimis und Actionfilme, Volksmusikshows und Sportübertragungen. Die
meisten Gebühren fließen hierhin. In welcher Art sind diese Formate für die demokratische
Bildung und Information der Bürger so wichtig. So wichtig, dass sie Verfassungsrang haben?
Das verstehe ich so gar nicht.

2. Die ab 2013 erhobene Gebühr wird in absoluter Höhe pro Haushalt erhoben. Die Gebühr ist, wenn ich das richtig verstanden haben, nicht abhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen (wie Steuern etwa), sondern absolut konstant. "Pro-Haushalt erhoben" bedeutet ja eigentlich ja eine Quasi-Kopf-Pauschale. Für Geringverdiener (ohne Hartz-IV) bedeutet das eine
Belastung, die mit dem Spielzeug oder dem Schulausflug oder Büchern der Kinder konkurriert. Für prächtige Einkommen kein Problem - aber für diejenigen, die jeden Cent umdrehen macht das schon viel aus. Wie ist das mit sozialstaatlichen Grundsätzen vereinbar? Oder sind 17 Euro/m ja eigentlich so wenig, dass man darüber hinwegsehen kann? Wie verbinden Sie das? Ich freue mich auf Ihre Antworten,

Dorothea Schmidt-Lake.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Schmidt-Lake,

vielen Dank für Ihre beiden Fragen, die Sie am heutigen 8.12.2011 über "abgeordnetenwatch.de" gestellt haben. Ich antworte Ihnen wie folgt:

1. Täglich informieren sich rund 33 Millionen Bürgerinnen und Bürger über eine Nachrichtensendung im Fernsehen, eine Mehrheit davon zieht dabei die öffentlich-rechtlichen Angebote den Privat-TV-Info-Angeboten vor und hält sie auch für glaubwürdiger, wie uns repräsentative Befragungen signalisieren. Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umfasst neben Information und Bildung auch die Unterhaltung. Die Anteile der Programmkategorien in der sogenannten "Primetime" (19 bis 23 Uhr) stellen sich z.B. beim größten deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, dem ZDF - bei der ARD sieht das ähnlich aus - für 2010 wie folgt dar:
Fiktion (ohne Kinderprogramm) 42,6 %, Information (Nachrichten, Magazine, Politik, Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Umwelt) 36,4 %, Sport 8,6 %, Unterhaltung 6,9 % Konzert- und Bühnendarbietung 0,7 %. Die von Ihnen als "überrepräsentiert" empfundene "Unterhaltung" liegt demnach auf dem vorletzten Platz der Programmanteile. Diese Zahlen gelten für das ZDF-Hauptprogramm. Wenn Sie nun noch die diversen öffentlich-rechtlichen Programmangebote auf PHOENIX, ARTE, 3SAT, Kinderkanal sowie die Digitalkanäle von ARD und ZDF bei einer solchen Betrachtung hinzuziehen, dann ergibt sich ein noch viel differenzierteres Bild zugunsten eines insgesamt sehr vielfältigen, hochqualitativen und abwechslungsreichen Programmangebots allein der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, wie es weltweit seinesgleichen sucht. Die zahlreichen öffentlich-rechtlichen Radioangeboten in bester Qualität von ARD und Deutschlandradio will ich nicht unerwähnt lassen.

2. Dieses weitreichende und vielfältige Angebot wird frei empfangbar für ca. 60 CENT pro Tag und pro Haushalt geboten und im Rahmen eines Solidarprinzips, welches uns das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen vorgegeben hat, finanziert. Allein für Nordrhein-Westfalen kann ich Ihnen mitteilen, dass aus sozialen Gründen rund 10 % der RundfunkteilnehmerInnen von der Rundfunkgebührenzahlung befreit sind. Es handelt sich entgegen Ihrer Einschätzung nicht um eine "Kopfpauschale", da die Abgabe ab 2013 pro Haushalt erhoben wird, unabhängig davon, wie viele Menschen in dem Haushalt leben und welche verschiedenen Empfangsgeräte sie nutzen.

Zu der Frage der Gleichbehandlung der Haushalte, hat Dr. jur. Hans Peter Bull, Univ.-Prof. (em.) für Öffentliches Recht Bundesbeauftragter für den Datenschutz a.D. folgendes festgestellt: "Der Gleichheitssatz verlangt für das Abgabenrecht, dass der Abgabepflichtige nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gleich belastet wird. Diese Belastungsgleichheit fordert also eine gleichheitsgerechte Gesetzgebung und ebenso eine gleichheitsgerechte Durchsetzung des gesetzlich Angeordneten". Diese Feststellung entspricht der Rechtsprechung des BVerfG, das in Aufsehen erregenden Urteilen deutlich gemacht hat, welche große Bedeutung die Gleichbehandlung gerade bei der Rechtsdurchsetzung hat. Das materielle Steuerrecht müsse "in ein normatives Umfeld eingebettet sein [...], welches die Gleichheit der Belastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet".

Sehr geehrte Frau Schmidt-Lake, ich danke Ihnen für Ihre Fragen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Oliver Keymis MdL