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Oliver Kaczmarek
SPD
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Frage von Ingo R. •

Frage an Oliver Kaczmarek von Ingo R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kaczmarek,

ich habe eine Frage zu der geplanten Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Von vielen Seiten wird die Verhältnismäßigkeit der VDS gegenüber den fundamentalen Grundrechten der Bürger angezweifelt. Darüber hinaus konnte bisher in keinem Fall nachgewiesen werden, dass eine anlasslose Speicherung von Massendaten zu einer erhöhten Aufklärungsrate bei Straftaten geführt hat. Studien (z.B. die des Max-Planck-Instituts https://www.mpg.de/5000721/vorratsdatenspeicherung.pdf ) kommen zu dem Schluss, dass während der letzten Phase der VDS keine Veränderungen in der Tendenz der Aufklärungsraten zu erkennen war. Zudem bezweifelt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags die Verfassungskonformität der VDS und der Europäische Gerichtshof erklärte 2014 die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig, da sie mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar ist. Darüber hinaus zeigt die aktuelle Lage der IT im Bundestag, dass das Versprechen, nur befugte Stellen hätten Zugriff auf die gespeicherten Daten, nicht gehalten werden kann. Ein Bundestag, dessen Informationssysteme kompromittiert wurden und dessen Hilflosigkeit dagegen sich in der Folge offenbart, kann nicht glaubhaft für die Sicherheit der Massendaten der Bürger Deutschlands einstehen.
Nicht nur die Opposition lehnt die VDS ab, auch innerhalb der SPD haben bereits die Landesverbände von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bayern, Saarland, Berlin, Bremen, Sachsen, Thüringen und Mecklemburg-Vorpommern gegen eine Wiedereinführung der VDS gestimmt.

Meine Frage vor diesem Hintergrund: Wie werden Sie sich bei der Abstimmung zur VDS positionieren?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Redemann,

vielen Dank für Ihre Mail. Auch wenn die Abstimmung über das Gesetz längst erfolgt ist, möchte ich Ihnen nachträglich die Beweggründe für meine Zustimmung darlegen.

Ich habe die Argumente der Kritiker in meine Entscheidungsfindung einbezogen und erachte die Diskussion, die um die Vorratsdatenspeicherung geführt wurde, für einen wichtigen Beitrag für die Sensibilisierung im Umgang mit Daten durch den Staat. In der digitalisierten Welt werden wir über diese Frage immer wieder neu zu entscheiden haben. Die Entscheidung für oder gegen die Vorratsdatenspeicherung ist nicht widerspruchsfrei und so konnte ich auch nicht alle Zweifel komplett ausräumen. In der Abwägung bin ich jedoch zu einem anderen Ergebnis als die Kritiker gekommen.

Ich habe dem Gesetz zugestimmt, weil ich Höchstspeicherfristen für geboten halte. Das Gesetz beschreibt im Gegensatz zur öffentlichen Debatte insbesondere in der Netz-Community nicht nur den Zugriff der Ermittlungsbehörden auf Daten bei begründetem Verdacht auf eine schwere Straftat, sondern legt eben auch hohe Ansprüche mit Blick auf die Datensicherheit an die Speicherung von Daten bei den Telekommunikationsunternehmen an und beschreibt Zeiträume, in denen diese Daten wieder gelöscht werden müssen. Ich halte es für wichtig, dass die Telekommunikationsunternehmen nun einen verbindlichen Standard für meine Daten einhalten müssen und auch mit Bußgeld belegt werden können, wenn sie meine Daten zum Beispiel länger als gesetzlich geregelt speichern. Ich habe dem Gesetz zugestimmt, weil der Zugriff auf die Daten eng und klar durch staatliche Institutionen geregelt wird. Unter den beschriebenen Voraussetzungen können nur staatliche Organe nach einem Richterbeschluss auf die Daten zugreifen. Mir ist diese Unterscheidung wichtig: Im Gegensatz zu den Daten, die wir alle freiwillig bei Facebook, Google, WhatsApp usw. hinterlassen, werden bei der Vorratsdatenspeicherung meine Daten nicht für kommerzielle Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU zum Zweck der Gewinnerzeugung freigegeben. Die Vorratsdatenspeicherung regelt einen klar umrissenen Sachverhalt mit dem Zugriff durch demokratisch legitimierte Institutionen des Rechtsstaates. Gerade mit Blick auf die Sorglosigkeit der Datenspuren im Internet finde ich die generelle Verdachtshaltung gegen den Rechtsstaat nicht nachvollziehbar.

Diesen Punkt halte ich übrigens für einen zentralen Schwachpunkt des netzpolitischen Diskurses. Die wachsende Marktmacht weniger Anbieter und deren grenzenloser Datenhunger allein zum Zweck der Gewinnerzeugung werden kaum in Frage gestellt. Es gehört zwar nur am Rande zur Vorratsdatenspeicherung und klingt vielleicht altmodisch, aber ich möchte nicht, dass der Offline-Kapitalismus mit noch enthemmteren Kräften einfach auf die Online-Welt übertragen wird. Es geht darum, den digitalen Wandel zu gestalten und das betrifft nicht nur Arbeit und Bildung, sondern auch die wirtschaftlichen Verhältnisse.

Und schließlich habe ich dem Gesetz zugestimmt, weil ich den Grundrechtseingriff bei allen Bauchschmerzen unter der Voraussetzung eines Verdachts auf schwere Straftat und Richterbeschluss für vertretbar halte. In der Praxis werden selbst Grundrechte gelegentlich eingeschränkt. Beispielsweise wird die Versammlungsfreiheit eingeschränkt, wenn die öffentliche Sicherheit bei Durchführung einer Versammlung nicht garantiert werden kann. In der Praxis werden diese Grundrechte aber vor allem mit großem Aufwand gesichert. So auch bei der Vorratsdatenspeicherung. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird nicht aufgehoben. Deshalb und vor dem Hintergrund der hohen Auflagen an die Nutzung der Vorratsdaten mal anders herum gefragt: Warum soll eigentlich die Polizei nicht auf die Daten eines Menschen zugreifen können, der einer schweren Straftat begründet und richterlich bestätigt verdächtigt wird? Diese Daten können wertvolle Hinweise auf Täter und Täternetzwerk liefern. Möglicherweise beweisen sie aber auch die Unschuld. Und sie können Hinweise liefern, wie zukünftig Straftaten verhindert werden können.

Mit freundlichen Grüßen
Oliver Kaczmarek

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