Portrait von Oliver Kaczmarek
Oliver Kaczmarek
SPD
100 %
15 / 15 Fragen beantwortet
Frage von Rolf S. •

Frage an Oliver Kaczmarek von Rolf S. bezüglich Jugend

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

die Bundesregierung will noch im November einen Gesetzentwurf einbringen, der die Beschneidung der Penisvorhaut von nichteinwilligungsfähigen Jungen als Körperverletzung ohne medizinische Indikation legalisiert (bis zum Alter von 6 Monaten durch Laien). Hintergrund ist ein Urteil des LG Köln von Mai und eine Bundestagsresolution vom 19. Juli 2012, der Sie zugestimmt haben. Über 60 Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben jetzt einen Alternativentwurf vorgelegt, der die Legalisierung dieses mit Risiken behafteten, schmerzhaften und irreversiblen Eingriffs von der Einwilligung ab dem Alter von 14 Jahren und nur durch zugelassene Ärzte nach ausführlicher Aufklärung vorsieht. Können Sie diesem Alternativentwurf zustimmen und sind Sie mit mir der Meinung, dass die Praxis einiger Religionsgemeinschaften nicht vereinbar ist mit dem Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2,2 GG), dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3, Satz 1 und 2 und dem Artikel 24,3 der UN-Kinderechtskonvention ("Die Vertragsstaaten haben alle wirksamen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um überlieferte Bräuche, die für die Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen"), zu deren Umsetzung sich auch Deutschland verpflichtet hat?

Portrait von Oliver Kaczmarek
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Stöckel,

vielen Dank für Ihre Frage zum Thema religiöse Beschneidung von Jungen.

Bei der namentlichen Abstimmung am 12. Dezember 2012 habe ich mich für den Gesetzentwurf der Bundesregierung entschieden, der es Eltern erlaubt, in die religiös motivierte Beschneidung von Jungen einzuwilligen. Änderungsanträge aus der SPD-Bundestagsfraktion, die weitere Präzisierungen zur ärztlichen Aufklärung, Ausbildungsvoraussetzungen nichtärztlicher Beschneider, Schmerzbehandlungen und Vetorecht forderten, fanden leider keine Mehrheit im Bundestag. Den Alternativ-Gesetzentwurf, der vorsah, dass eine Beschneidung nur möglich wäre, wenn der Junge das 14. Lebensjahr vollendet und der Beschneidung zugestimmt hat, habe ich abgelehnt.

Zu Recht wurde bei der Diskussion um religiöse Beschneidung das Kindeswohl an die erste Stelle gesetzt. Daneben waren aber auch das Recht der elterlichen Fürsorge und die Religionsfreiheit zu betrachten und abzuwägen. Meine Entscheidung habe ich natürlich vor dieser rechtlichen Kulisse, insbesondere aber von den realen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen getroffen.

Beschneidungen werden in Deutschland in der islamischen und in der jüdischen Religionsgemeinschaft seit Jahrhunderten durchgeführt. Und ich würde mir wünschen, dass dieses Ritual, dass bei jüdischen Jungen bis zum 8. Tag nach der Geburt und bei Muslimen im Kindesalter durchgeführt wird, vielleicht in den Religionsgemeinschaften hinterfragt würde. Allerdings ist das eine Debatte, die aus den Religionsgemeinschaften selbst kommen muss. Diese Debatte kann nach meinem Verständnis nicht gesetzlich verordnet und entschieden werden.

Letztlich habe ich bei meiner Entscheidung versucht mir vorzustellen, was es bedeuten würde, wenn der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Beschneidung erst ab dem 14. Lebensjahr des Jungen erlaubt würde. Und allein die Vorstellung fällt mir schwer. Soll Deutschland das erste Land sein, dass Moslems und Juden in der Ausübung ihrer Religion beschränkt? Und welche Wirkung würde eine solche Entscheidung bei den Religionsgemeinschaften und auch in der Weltgemeinschaft haben? Ich kann mir darüber hinaus nicht vorstellen, dass ein solches Gesetz der gelebten Realität in Deutschland gerecht würde. Würden Eltern, die ihr Kind gemäß ihren religiösen Ansichten beschneiden lassen, strafrechtlich belangt werden? Die Auswirkungen einer solchen Herangehensweise wären gesellschaftlich fatal.

Das Kindeswohl ist durch einige Verbesserungen bei der Beschreibung der ärztlichen Kunst für die Beschneidung und der Schmerzbehandlung mit der neuen Regelung besser berücksichtigt worden. Meine Entscheidung, die Beschneidung auch weiterhin zu ermöglichen, ist auch der Verantwortung für das Zusammenleben von Kulturen und Religionen in Deutschland geschuldet. Sie ist natürlich angreifbar. Es gibt auch gute und konsequente Gründe, die Beschneidung für unter 14-Jährige zu verbieten und ich habe Respekt vor der Entscheidung der Kolleginnen und Kollegen, die sich für diesen Weg eingesetzt haben. Meine Sichtweise auf das Thema ist jedoch eine andere und deshalb habe ich für das Gesetz gestimmt, dass die Beschneidung unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin ermöglicht.

Mit freundlichen Grüßen

Oliver Kaczmarek

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Oliver Kaczmarek
Oliver Kaczmarek
SPD